Mittwoch 28. Februar 2007 – Vieruhrdreiunddreißig, neunkommasechs. Seit kurz nach zwei wach.
Am Montag um sieben Uhr Anruf von P. : Nachts gegen drei Uhr ist es passiert. Um viertel vor elf, dass ich kommen soll. Um elf auf der Autobahn. Alles andere dieser Tage: nicht für die Welt.
Florian Henckel von Donnersmarck – Gibt es einen besseren Grund für ein Pseudonym als diesen Namen?
Todestag von Pat Garrett, der 1908 vom Pächter seiner Farm erschossen wurde.
Montag, 26. Februar 2007 – Fünfuhrsiebenundzwanzig, siebenkomma neun. Dunkel. Nass? Vögel.
Freitag mit Jürgen nach Kransberg. Dort treffen wir Jürgen Wagner und Michael, der eine Besichtigung der alten Bunker organisiert hat. Unser Führer: Herr Demuth, der den Krieg hier als Kind mit erlebt hat, dessen Mutter für den Albert Speer gekocht hat (“Der muss ja ganz in Ordnung gewesen sein”), der immer sagt: So ist das. Dann nach Wiesental. Das Gebäude der Gaststätte “Adlerhorst” steht noch, aber kein Betrieb mehr. Muss aufpassen, dass ich mir die Phantasie nicht klein recherchiere …
T. schickt einen Brief von Christian Görlitz, der “Ein allzu schönes Mädchen” will.
Abends zu Christina und Johannes. Alter, spanischer Hochzeitsfilm.
Samstag kleine Wind- und Wetter-Runde: Bonames, Nieder-Eschbach, Ober-Erlenbach, Burgholzhausen, Petterweil, Kloppenheim, Dortelweil, Vilbel. Tolles Bild: Das geschlossene Wasserhäuschen in Bonames. Vielleicht ein paar Tauben, dahinter jemand auf den Gleisen. Die Schranken senken sich…
Nachmittags Schläfer von Benjamin Heisenberg, dem Enkel von Werner Heisenberg. Ist mir zu kalkuliert, zu hermetisch, zu sehr auf die Plotpoints orientiert. Dabei unglaublich viele fassbindersche Löcher. Wahnsinnig konservativ. Ich finde nicht, dass Kino gefährlich sein muss, aber muss es so ungefährlich sein? Ich hatte mir einen nervösen, neugierigen, offenen Film erwartet. Mein Fehler. Aber wirklich gute Musik von Lorenz Dangel.
Abends Annika und Rainer.
Sonntag. Anruf M., heult sofort los. “Was ist mit mir?”
Selbe Runde nochmal. Diesmal erwischt mich der Regen erst in Petterweil. Amseln huschen wie Ratten durchs Gehölz. Drei Elstern werfen sich schreiend gegen den Wind.
Mit Jürgen ins Orfeo. Dort Rainers Wolfsmänner. Genau das ist es, was wir für den Film brauchen. Dann Aufschneider, manchmal lustig, manchmal klamaukig. Aber warum haben die das so realistisch ausgestattet? Warum nicht wie Helge Schneider einfach in irgendwelchen wackligen Kulissen gespielt, um es auf die absurde Spitze zu treiben?
Tot ist Fernandel.
Freitag, 23. Februar 2007 – Fünfuhrfünfzehn, achtkommazwei. Guten Morgen. Oh, Atilla hat auch schon gebloggt. Und wie schön …
Wenn irgendwo in der Stadt eine kleine Fläche frei ist, werden sofort diese kleinen, hässlichen, struppigen Sträucher gepflanzt, an denen dann diese kleinen, häßlichen, leuchtend-orangefarbenen Beeren wachsen. Und wenn dann ein Wind kommt, fängt sich in den Sträuchern der ganze Müll, der so durch die Straßen weht – die zerfetzten Werbeprospekte, die leeren Pappbecher, die Fastfoodpackungen und Papierservietten. Dann stiefeln die orangefarbenen Müllmänner zwischen den orangefarbenen Beeren umher und sammeln das alles mit ihren langen Zangen ein.
Anruf eines Journalisten. Was ich von der Überfremdung der deutschen Sprache halte. Anders gesagt, die Reinheit des Deutschen, ob mir dazu etwas einfalle. Dann diktiert er mir seinen Namen: “Schmidt – hinten mit DeTe, wie Damentoilette.”
Nichts Neues von den Frauenmorden in Atlantic City. Allerdings hat eine private Ermittlerfirma namens “s.t.a.l.k.,inc.” (“Solving murders is our business.”) ein selbst erstelltes Profil des Mörders veröffentlicht. Die Strafverfolgungsbehörden legen Wert auf die Feststellung, nichts mit dieser Firma zu tun zu haben.
Todestag von Friedrich Ludwig Weidig, Pfarrer und Revolutionär aus Oberkleen im Taunus. Hat in Butzbach gepredigt und unterrichtet. Wurde nach Ober-Gleen im Vogelsberg strafversetzt. Maßgeblich beteiligt am “Hessischen Landboten”. Am 23. Februar 1837 begeht er im Arresthaus von Darmstadt Selbstmord. Man sollte mal eine Radtour machen: Auf Weidigs Spuren …
Ebenfalls tot: William Bonin, “The Freeway Killer”, ein LKW-Fahrer der verdächtigt wurde, mindestens 21 junge Männer vergewaltigt und ermordet zu haben. Am 23.2.1996 in San Quentin hingerichtet.
Donnerstag, 22. Februar 2007 – Vieruhrfünfzig, sechskommaeins. Seit kurz vor vier wach.
Auf Spiegel online ein Bericht, dass es in den USA unter Jugendlichen aus der Mittelschicht zum Sport geworden sei, Obdachlose anzugreifen, zu schlagen, zu treten, zu quälen. Von den 122 Opfern im Jahr 2006 kamen 20 ums Leben. Fast schon selbstverständlich, dass viele der Übergriffe von den Tätern gefilmt und fotografiert wurden.
Während der 22 Monate dauernden Durchsuchung von Robert Picktons Grundstück sind in den Autowracks, Schuppen, Wohnwagen, Schlachthäusern und Abfallcontainern zahllose Dokumente, Kleidungsstücke, DNA-Spuren und Leichenteile gefunden worden, die den verschwundenen Frauen aus Vancouver zugeordnet werden konnten. Die Verteidigung verlegt sich darauf, die Jury immer wieder darauf hinzuweisen, dass sehr viele Leute Zugang zu dem Gelände hatten – unter anderem Robert Picktons Bruder Dave.
In Paris reagierte man irritiert auf die Ankündigung Wladimir Putins, dass Jacques Chirac Ende März zum Staatsbesuch nach Moskau kommen werde. Es gebe zwar eine Einladung, aber noch keine Antwort. Wie spricht man in Frankreich eigentlich “Putin” aus?
Todestag von Jean-Baptiste Camille Corot.
Mittwoch, 21. 2. 2007 – Sechsuhracht, zweikommaacht. Dunkel.
Im Supermarkt wieder diese Frau, die schon auf den ersten Blick ein wenig irre wirkt – oder sagen wir: fahrig, unwirsch. Vielleicht Mitte vierzig, schlank, halblange, brünette Haare. Alternativer Nordend-Adel. Ihr Gesicht ist vollständig von einer weißen Creme bedeckt – keine Schminke, wirklich Creme – wahrscheinlich Penaten. Auf dem Kopf eine Art Südwester – aus glänzendem türkisfarbenem PVC-Lack. Natürlich fängt sie sich die Blicke sämtlicher Frankfurter Krähen ein.
Lade mir Rainald Goetz’ Blog auf die “Lesezeichen-Symbol-Leiste” und benenne ihn gleich mal um. Damit auf meinem Bildschirm bloß nirgends das Wort “Vanity Fair” auftaucht!
Im Pickton-Prozess wurde am Montag eine Polizistin vernommen, die von Februar 2002 bis November 2003 an der Durchsuchung der Schweinefarm beteiligt war. Sie brach in Tränen aus, als sie sich an den Zustand einiger Schweine erinnerte, die die Ermittler vorfanden, als sie mit ihren Untersuchungen begannen.
Am 21. Februar 1980 ist Alfred Andersch gestorben. im Sommer desselben Jahres sind wir zu viert mit Petras Audi 50 von Locarno aus in das enge Valle Onsernone gefahren und haben dann am Ortseingang von Berzona Anderschs frisches Grab mit dem kleinen Holzkreuz besucht.
Dienstag, 20. 2. 2007 – Fünfuhrsieben, sechskommavier. Dunkel. Dennoch liegt ein ungewöhnlich heller Schimmer in der Luft. Und die Vögel machen auch schon ihre Sachen.
Traum: Zwei Perserkatzen, die einen alten Retriever attackieren. Immer wieder greifen sie ihn an, versetzen ihm Hiebe. Als seine Kraft nachlässt, zerfetzen sie ihn förmlich mit ihren Krallen. Das alles begleitet vom Fauchen und Schreien der beiden Angreiferinnen und dem schwächer werdenden, fast menschlichen Stöhnen des Hundes.
Morgens im HR mit der netten Imke Turner. Gespräch über Dürrenmatts “Versprechen” für die Sendung Mikado. Schon wieder auf dem Weg zum Ausgang fragt mich die Moderatorin, ob ich denn die Beethoven-Sinfonien unter Leibowitz kenne. Schon die Frage genügt, mir für den Rest des Tages die Stimmung zu heben.
Am Ende seines Buches schreibt Reemtsma, dass ihm in seiner Gefangenschaft “das Konzept des Individuums … zu einer gänzlich obsoleten Vorstellung” geworden sei.
Hoffentlich ist bald mal Schluss mit dem Gewese um diesen Popidioten Falco.
Zweiter Todestag des viel zu lauten Hunter S. Thompson, von dem man jetzt bitte auch mal 100 Jahre schweigen möge. Wie von all den anderen Mythos- und Kult-Nasen.
Montag, 19. 2. 2007 – Siebenuhrelf, sechskommafünf. Halbdunkel.
Noch kein Sommer. Aber die erste Fliege.
Dass wir uns nicht mehr bedenkenlos freuen können, wenn es draußen wärmer wird. – Diesen Umstand wird man als eine der tiefgreifenden Veränderungen unseres Lebensgefühls bezeichnen müssen.
Gestern kurz nach neun aus dem Haus, Runde über den Hauptfriedhof, dann zur Deutschen Bibliothek. Die Sonne ist schon da. Mit Atilla über Bonames aus der Stadt. In Bad Homburg holen wir Karsten ab. Stehfrühstück in der Fußgängerzone, Schlauch wechseln. Köppern, Bundeswehrdepot, Wehrheim. Und nun? Flach oder bergig? Neu-Anspach, Schmitten, Sandplacken, Oberursel, Bad Homburg. Tschüß Karsten! Durchs Feld nach Kalbach, Bonames. Dreieinhalb Stunden.
Dürrenmatts “Versprechen” beendet. Und weiter in Reemstmas “Im Keller”. Im Buch wirkt er genauso verspannt, wie damals, als ich neben ihm saß – auf Gremlizas Geburtstagsfeier im Cuneo. Und dann mit Harry Rowohlt in irgendeine irische Kneipe geflohen bin.
Todestag von Georg Büchner.
Samstag, 17. 2. 2007 – Vieruhrsechsunddreißig, fünfkommaeins. Dunkel, still.
Liebe Pressekolleginnen und –kollegen,
Anna Nicole Smith ist tot – doch ihre Schönheit ist unsterblich. Die als Cyndi Lauper geborene Texanerin fesselte uns alle nicht nur mit ihrer weiblichen Erotik, sondern auch mit all den Skandalen, die sich um sie und ihr Leben rankten. Ihr früher Tod und der medienwirksame Verfall von einer der sexiest Frauen der 90er hin zum drogen- und skandalumwitterten It-Girl werden Sie für viele unvergessen machen. Mit der am 28.02.2007 erscheinenden DVD „Playboy – The Best of Anna Nicole Smith“ wenden wir uns noch einmal den schönen Seiten der Monroe-der-90er zu. Ein erotisches Erlebnis, das Sie Ihren Lesern nicht vorenthalten sollten. Rezensionsmuster, Verlosungen und Kooperationen sind wie immer gerne möglich. Bei Rückfragen stehe ich Ihnen natürlich jederzeit gerne zur Verfügung.
Unschlagbar: “Anna Nicole Smith … Die als Cyndi Lauper geborene Texanerin …”
Tot ist: César Marcelak – der als Pole geborene französische Radrennfahrer. Obwohl, was weiß man schon? Innerhalb von fünf Minuten habe ich im Netz drei unterschiedliche Angaben über Marcelaks Geburtsort gefunden: Mülheim, Mehlen, Flours. Keiner dieser Orte liegt in Polen. Von wegen: Weisheit des Kollektivs …
Donnerstag, 15. 2. 2007 – Fünfuhrvierzig, siebenkommafünf. Dunkel. Aber schon Vögel. Und sonst? Ah, der Mopedfahrer ist wieder da.
Gestern stundenlang an einem Irrweg geschrieben, gegrübelt, gelöscht, neu angesetzt, na ja.
Abends Burga. Selbst die Namensgeberin sitzt an einem der Tische, alterslos. Michael empfiehlt eine Führung durchs Kransberger Schloss. Atilla empfiehlt die Freitagsküche. Und Stefan empfiehlt Audacity. Gleich mal schauen.
Immer wenn unten auf der Straße die Schüler vorbeigehen, schiebt der Typ aus dem Haus gegenüber die Gardine beiseite und glotzt runter. Noch nie habe ich ihn anders als im Unterhemd gesehen. Noch nie auf der Straße.
Heute vor 41 Jahren starb im Kampf mit der kolumbianischen Armee der Priester und Guerillero Camilo Torres Restrepo.
Mittwoch, 14. 2. 2007 – Siebenuhrzweiunddreißig, sechskommavier. Über dem Dach des gegenüberliegenden Hauses ist der Himmel grau, aber in den Fenstern spiegelt sich rot der Sonnenaufgang im Osten.
Reemtsma berichtet, dass er eigentlich vorhatte, gemeinsam mit seiner Frau ein Buch über die Entführung zu schreiben. Dann stellte sich jedoch heraus, dass beide das Ereignis vollkommen gegensätzlich erlebt hatten. Dem Entführten war die Intimität mit den Verbrechern aufgezwungen worden; seiner Frau war durch die unentwegte Gegenwart der Polizei die Intimität genommen worden.
Siebzig Jahre alt wurde gestern der ehemalige Kosmonaut Sigmund Jähn – der erste Deutsche im All. Seinen Namen kann ich nicht lesen, ohne an den alten DDR-Witz zu denken: “Kein Brett für die Laube, für’n Trabant keine Schraube, für’n Arsch kein Papier, aber ‘n Kosmonauten haben wir.”
Es war Braun, der neulich erwähnte, dass es im Nachlass von Boehlich eine große Polemik gegen Thomas Mann gebe. Merken! Nachfragen!
Tot ist Maurice Dewaele, belgischer Radrennfahrer, Sieger der Tour de France von 1929.
Dienstag, 13.2.2007 – Dreiuhrachtunddreißig, siebenkommasieben. Windig. Um halbzwei durch die schlagenden Flügel des Küchenfensters aufgewacht. Noch anderthalb Stunden gelegen, ohne wieder einschlafen zu können. Also an den Schreibtisch.
Der Firma Intel ist es gelungen, die Leistung eines ganzen Computerzentrums auf einen einzigen Chip zu packen. Ein Rechner mit dieser Leistung hat noch vor zehn Jahren 185 qm Platz eingenommen. Warum diese Meldung bei “Yahoo” allerdings unter der Rubrik “Kriminalität” steht …
Als Hitlers Tross beim Vorrücken der Alliierten im Januar 1945 den “Adlerhorst” im Taunus verließ, um sich auf die letzte Reise in den Berliner Bunker zu begeben, sagte Hitlers persönlicher Adjutant Otto Günsche: “Berlin ist sehr praktisch als Hauptquartier. Man kann dort sehr bald mit der S-Bahn von der Ostfront zur Westront fahren.”
Lektüren: Jörg Schröder, Siegfried. Reemtsma, Im Keller.
Deutsche Tote: Hans-Jürgen Krahl, Hans Globke, Otto Niebergall, Arno Breker.
Montag, 12. 2.2007 – Siebenuhrzweiunddreißig, achtkommadrei. Dämmerig, trüb.
Morgens zwei Stunden Rolle. Dann eine Stunde durch den Regen. Was für ein Himmel über der Stadt. Dunkelgraue, schwarze Wolken, Durchstoß der Sonne. Und schließlich ein Regenbogen von Bergen bis Vilbel, so breit, so rund, so leuchtend, dass man sich wünscht, nie zuvor einen anderen gesehen zu haben. Damit dieser hier für immer mit dem Wort “Regenbogen” verbunden bleibt.
Und mir steht das Wasser in den Schuhen.
Auf die Nerven fällt diese demonstrative Beiläufigkeit, die manche Leute pflegen. Sie teilen dir etwas scheinbar en passant mit, um so die volle Aufmerksamkeit auf ihre Worte zu lenken. “Übrigens: ich bin schwer krank, aber na ja …”
Am 12. Februar 1993 wurde der knapp dreijährige James Bulger im englischen Merseyside von zwei zehnjährigen Jungen ermordet. John Venables und Robert Thompson, die an diesem Tag die Schule schwänzten, entführten James Bulger aus einem Kaufhaus, wo der Junge sich mit seiner Mutter aufhielt. Sie traten den Kleinen, schütteten ihm Farbe ins Gesicht, schlugen ihn mit einer Eisenstange, steckten ihm Batterien in den Mund, legten ihn auf auf die Gleise einer Bahnstrecke, beschwerten seinen Kopf mit Schutt und verließen ihn. Als ein Güterzug ihn überrollte, war er bereits tot.
Freitag, 9. Februar 2007 – Dreiuhrneunundfünfzig, vierkommasieben. Heh, du, Martinshorn! Was gibt’s denn schon zu lärmen, um diese Zeit? Anna Nicole Smith ist doch bereits gestern gestorben.
Mit B. hin und hertelefoniert, welche Waffe die richtige wäre – für den Roman. Ein Gewehr, nein, zu sehr Klischee! Revolver, nein, zu exotisch. Pistole, ja, aber nicht so ein Standardpolizeiding. Also was? Doch nicht etwa die Desert Eagle Mark VII, mit dem 6-Zoll-Lauf, Kaliber .44 Magnum von Israel Military Industries?
Niederschmetternde Mails von Annika und Cyril. Was eigentlich muss geschehen, dass sich in dieser verkommenen Filmundfernsehbranche mal was tut? Wo sonst würden so viele Talente, so viel Kraft, so viel Energie, so viel Phantasie, so viel Zeit, so viel Moral, so viel Geld einfach: verbrannt? Und rauskommt: immer nur Asche, Dreck. Und was nicht Dreck ist, beruht auf Selbstausbeutung – der nobelsten Existenzform, die in diesem Metier denkbar ist.
Warum gibt jemand die Wortkombination “Ballack Penis” in die Suchmaschine ein? Und warum landet der dann auf dieser Seite?
Man gebe mir Nachricht, wenn in der deutschsprachigen (allein das ist schon ein Euphemismus) Vanity Fair mal ein Text erscheinen sollte, der auch nur halb so gut ist wie dieser Fairriss von Andrea Diener: shiny happy people holding goats.
Tot sind Karl Valentin, Bill Haley, Fritz Graßhoff (der eine Zeit lang als der meistrezitierte deutsche Autor galt).
Donnerstag, 8. Februar 2007 – Sechsuhrzwölf, dreikommaacht Grad.
Langes, schon etwas älteres Interview mit Jan Philipp Reemtsma. Alles, was er sagt, ist so klar gedacht und formuliert und wirkt zugleich so gerecht. Immer denkt er den Anderen und das Andere mit. Erinnert stark an Boehlich. Trotzdem spürt man bei beiden – wie bei vielen Atheisten, Agnostikern (so auch bei D. und P.) – einen Unterstrom von Kälte.
Im Fall Pickton wurde jetzt die Abschrift des Gesprächs veröffentlicht, das Pickton mit seinem vermeintlichen Mithäftling, einem Undercover-Ermittler, kurz nach seiner Verhaftung geführt hat und dass von einer Kamera aufgezeichnet wurde. Das Geständnis Picktons, 49 Frauen umgebracht zu haben, ist deutlich. Mehrmals fragt er seinen Cellmate, ob der wisse, welche Opferzahl Weltrekord sei.
Der Tatbestand der Freiheitsberaubung ist erfüllt, wenn der Entzug der Bewegungsfreiheit länger als ein “Vater-unser” dauert.
Am 8. Februar 1944 starb während eines Bombenangriffs der Schriftsteller Alfons Paquet im Keller seines Hauses am Frankfurter Schaumainkai 17 an einem Herzinfarkt. Begraben wurde er auf dem Frankfurter Hauptfriedhof (Gewann A 276a). Im Frankfurter Telefonbuch gibt es zwei Einträge: “Jean Paquet” und “S. Paquet”. Mal schauen …
Mittwoch, 7. Februar 2007 – Vieruhrneunzehn, dreikommavier. Um drei Uhr aufgewacht. Merkwürdig hell draußen. Eine Stunde Kunstmarkt … nee, nix.
Gerade wär ich gern weg. Hunsrück, Pfalz, Allgäu, Elsass, Franken, Rhön …
Gestern mit Specht, Braun und Brunow “zum Mongolen” am Baseler Platz. Lange über Boehlich und seinen Nachlass. Er habe alles, jede Zeile aufgehoben. Braun und Reichert wollen nun doch eine Ausgabe von Boehlichs Schriften betreiben. Dabei erinnere ich mich noch gut, als ich ihn fragte, ob wir nicht endlich mal einen Sammelband mit seinen Texten herausbringen sollten: “Nein, ein für alle Mal, nein!” – “Also wollen Sie sterben und vergessen werden?” fragte ich. – “Genau so ist es”, erwiderte er.
Dann in den Verlag. Über Brinkmann, Revolver und die Filmautoren AG.
Heute vor zwei Jahren wurde die 23-jährige Elektroinstallateurin Hatun Aynur Sürücü an einer Bushaltestelle in Berlin-Tempelhof durch mehrere Kopfschüsse getötet. Gegen ihre drei Brüder wurde Anklage wegen gemeinschaftlichen Mordes erhoben. Ihr jüngster Bruder gestand die Tat. Die beiden Älteren wurden freigesprochen.
Dienstag, 6. Februar 2007 – Sechsuhrsieben, vierkommasechs Grad. Dunkel.
Über was man alles informiert wird: Hitlers Schäferhund Blondi kam im Dezember 1944 mit ins “Führerhauptquartier Adlerhorst” nach Wiesental. Er hatte “ein eigenes Häuschen und lag auf Schlaraffiamatratzen”.
In welchen Supermarkt ich auch komme: es liegen noch immer die nicht verkauften Exemplare der Tempo-Sondernummer in den Zeitschriftenregalen.
Zwei junge Männer. Beide schauen auf den Hintern der jungen Frau, die vor ihnen geht. Der eine: “Den hätt ich gern als Bildschirmschoner.”
In Sittensen wurden drei Männer und drei Frauen in einem China-Restaurant erschossen. Ein weiterer Mann schwebt in Lebensgefahr. Ein zweijähriges Kind war offentsichtlich Zeuge der Taten.
Gestorben ist vor einem Jahr die katholische Haushälterin Karin Struck.
Montag, 5. Februar 2007 – Sechsuhrsechsunddreißig, einskommaneun. Voll der Mond? Noch nicht? Nicht mehr?
Gestern um zehn fährt Atilla mit dem blauen Basso vor. Kurz darauf Jörg mit dem seinen. Endlich wieder. Raus über Vilbel Richtung Taunus. Vor uns sechs Rehe, die im gestreckten Galopp die Straßenseite wechseln. Seltsames Kratzen der Hufe über den Asphalt. Hoch zum Bundeswehrdepot, runter nach Wehrheim, dann Pfaffenwiesbach, Kransberg. Dort steiler Aufstieg zum Schloss, das zum “Führerhauptquartier Adlerhorst” gehörte. Albert Speer hat es umgebaut und selbst dann später als Kriegsgefangener hier gesessen – bis er zum Prozess nach Nürnberg überstellt wurde. “Dustbin” haben die Amerikaner das Schloss damals genannt, als sie die Reste des Reiches hier zusammenkehrten. Jetzt ranzen uns grinsend zwei Typen an: Privatbesitz. Dann eine braune Dogge und was Blondes. Ati: “Komm, lass uns weg hier”. Ist aber auch alles gar zu Nazi.
Weiter nach Ziegenberg. Unten der Gasthof Möckel. Damals Dreh- und Angelpunkt der Bauaktivitäten. Das ganze Gebiet zwischen Usingen und Bad Nauheim war gesperrt. Oben das Schloss, für Millionen mit Bunkern versehen und umgebaut, dann hat es Hitler nicht beziehen wollen. Heute ist es ein Wohnhaus mit teuren Eigentumswohnungen.
Kurz dahinter ein seltsames Militärareal. Teils verfallen, verlassen, aber nicht ganz. Auch verriegelte Tore: Fotografieren verboten, betreten verboten, von der Schusswaffe wird Gebrauch gemacht. Dann Wiesental, vollkommen abgelegen. Hier hat Hitler seine letzten vier Wochen ausserhalb Berlins verbracht. Die Häuser und Bunker wurden 1945 gesprengt. Auf den Trümmern entstand die sogenannte Siedlung Obernberg – von Flüchtlingen aus dem Osten erbaut. Das Gasthaus “Adlerhorst”, von dem Hedi Fett aus Münster in ihrem Buch noch berichtet, scheint es nicht mehr zu geben. Oder?
Todestag von Violeta Parra.
Sonntag, 4. Februar 2007 – Sechsuhrfünfundvierzig, achtkommaeins. Drüben schon Licht.
Michael Wolpert – hieß der wirklich so, der Mörder von 6 Joggerinnen in Neu-Isenburg? Sohn von Professor Wolpert? Finde nichts über ihn heraus.
Hinweise nimmt jedes Gästebuch auf dieser Seite entgegen.
Tour durch die Stadt. Ein Tag wie Frühling. Fürstenberger Straße durch, rechts in die kleine August-Siebert-Straße. Da fummeln sie oben noch irgendwas Asiatisches hin. Zwei Frauen fotografieren sich. “Das sieht ja süß aus” – “Sag ich doch”.
Dann Kettenhofweg 124 a, Gründerzeitvilla. Hier wurde 1994 Gabor Bartos erschlagen, der einbeinige Betreiber des Bordells, das sich im Haus befand. Seine Frau und vier russische Prostituierte wurden mit einem Kabel erdrosselt. 1996 verurteilt: der Russlanddeutsche Eugen Berwald, der für seine Tat auf die Mass Murderers Hit List kommt. Jörg Schröder erzählt, Bartos sei im Besitz eines Jaguar gewesen, der vorher einmal ihm gehört habe.
Dann quer durch Westend und Bahnhofsviertel nach Sachsenhausen, Untermainbrücke, Tatort das Restaurantboot “Sultans Imbiss”. Nochmal überprüfen, ob man vom Haus aus wirklich die Bank unten sehen kann. Doch, geht.
Überall Polizei in der Stadt. Wer spielt denn? Eintracht gegen Mainz. Ach so.
Abends Fellinis Roma.
Todestag von Alex Harvey.
Samstag, 3. Februar 2007 – Fünfuhrsechsundfünfzig, fünfkommazwei. Dunkel.
Gestern zwei Stunden durch die Wetterau. Temperatur gut, Luftfeuchtigkeit gut, Wind gut. Nur bei mir fehlt es an allem: an Kraft, an Ausdauer, an Lungenvolumen.
Sitz so rum, guck so ins Netz, geh so einkaufen, fahr so Fahrrad, schreib so Sachen, les so Zeitung, koch so Risotto, ess so was, trink so was, guck so Fernsehen, gähn so lang, schlaf so kurz, wach so auf.
Tot: John Cassavetes, Bohumil Hrabal. Und die zweifache Mörderin Karla Faye Tucker, die erste Frau, die in Texas seit dem Bürgerkrieg hingerichtet wurde. Unterschrieben hat das Todesurteil George W. Bush.
Freitag, 2. Februar 2007 – Siebenuhrsiebenundzwanzig, achtkommaeins. Regen ist erst für den Nachmittag angesagt. Sobald es hell ist, werde ich fahren.
Gestern wieder eine Stunde Rolle. Dabei die erste CD von Rolf Dieter Brinkmanns Tonbandprotokollen “Wörter Sex Schnitt”. Interessant die Zurückweisung alles Stilisierten, das Misstrauen gegen Sprache überhaupt, auch die eigene. Manchmal sehr zart. Manchmal plump und dumm wie ein RAF-Kommuniqué.
Der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge über den Rausschmiss von Felix Magath als Trainer des 1. FC Bayern München: “Da war Notwendigkeit vonnöten, da haben wir uns zu dem Entscheid entschieden”. Begnadet.
Mittags kommen die SKS-Raceblades. Früher hätte man gesagt: Schutzbleche. Aber die hier sind aus Kunststoff. Teuer, leicht, funktional. B. würde sagen: durchdachte Lösungen.
Später eine Mail von Jörg Müsse – die neuen Laufräder sind da. Diesmal mit Dura Ace Naben. Und einem Gruß von Volker Dohrmann.
Und abends fische ich aus dem Briefkasten John Hiatts Slug Line, die ich nur bestellt habe wegen Madonna Road – dem besten weißen Reggae, den ich bisher gehört habe.
Es sind 0 Besucher online. Dann redet wenigstens keiner dazwischen.
Tot sind heute viele: zum Beispiel Martin Schongauer und Max Schmeling.
Donnerstag, 1. Februar 2007 – Sechsuhrneunundzwanzig, siebenkommafünf Grad. Es dämmert.
Eine Stunde Rolle. Dabei die alte Hörspielfassung von “The War of the Worlds” gehört – die CBS-Produktion von 1938. Von und mit Orson Welles. Sagt mir nichts. Nichts als Dramaturgie.
Im Sommer, im Roussillon, sah ich zwischen den Dörfern Passa und Fourques in den Weinbergen einen Vogel, den ich nie zuvor gesehen hatte: bunt, mit spitzem Schnabel, dem Eisvogel nicht unähnlich. Jetzt, in einem Artikel über den Klimawandel, begegnet er mir auf einem Foto wieder: Es ist der Bienenfresser, der die steigenden Temperaturen im Norden nutzt und nun, obwohl eigentlich im Mittelmeerraum angesiedelt, bereits in größerer Zahl am Kaiserstuhl gesichtet wurde.
An den Ermittlungen im Fall Pickton waren zeitweise 270 Mitarbeiter beteiligt. Es wurden fast 300.000 Kubikmeter Erde auf der Schweinefarm umgegraben, durchgesiebt und untersucht. Es wurden 400.000 DNA-Proben sicher gestellt.
Im Prozess wurde gestern der Chefermittler der Taskforce, Inspector Don Adam von der Verteidigung “gegrillt”.
Todestag des “Stalingrad-Generals” Friedrich Wilhelm Ernst Paulus, der in Breitenau bei Kassel geboren wurde. Wikipedia: “Paulus starb am späten Nachmittag des 1. Februar 1957 in seiner Dresdner Villa. Er wurde mit militärischen Ehren auf dem Friedhof von Dresden-Tolkewitz beigesetzt.” Dresden lag damals in der Deutschen Demokratischen Republik.