Mittwoch, 29. April 2009 – Vieruhrneunundfünfzig, siebenkommaeins. Ziemlich laut schon da draußen.
Gestern ist die neue Dylan gekommen, gleich mehrmals gehört: Leicht, aber nicht unbeschwert. Bisschen zu viel “You-and-Me”-Themen. Viel zu entdecken. Nicht zuversichtlich, aber gelassener als früher. Gnädiger, freundlicher.
Als Blogger muss man geduldig sein wie ein katholischer Pfarrer. Egal, wie viele Leute vorbei schauen, die Kirchentüren werden offen gehalten, es wird weiter gepredigt.
In einem Brief aus dem Jahr 1946 an seinen Jugendfreund Kurt Schumacher schreibt Fritz Bauer über Willy Brandt: “Es gibt Genossen, die ihn für einen ‘Windhund’ halten, weil er manchmal smart ist wie ein Amerikaner. Daran ist etwas richtiges, er ist in der Emigration ein an den Westen, insbesondere Amerika assimilierter Journalist geworden.”
Im selben Jahr bewarb sich Willy Brandt bei der DANA, der Deutschen Allgemeinen Nachrichtenagentur in der amerikansichen Zone, wurde aber von dem verantwortlichen amerikanischen Captain als zu “rechts”, zu kritisch gegenüber den Sowjets abgewiesen.
Das erfährt man aus Irmtrud Wojaks wunderbarer Fritz-Bauer-Biografie, wo sich auch das Zitat von Georg-August Zinn findet, des langjährigen hessischen Ministerpräsidenten, der noch 1959 sagte: Hessen wird “ein sozialistisches Bollwerk gegen alle restaurativen Bestrebungen bleiben.”
Von Frau Engel die Nachricht, dass “Ein allzu schönes Mädchen” bei den Ausleihzahlen der Frankfurter Stadtbibliothek im Jahr 2008 hinter “Harry Potter und der Halbblutprinz” und “Tintenherz” an dritter Stelle stehe.
Kommentar C: “In Lüdenscheid und Passau sind die ersten beiden Plätze wahrscheinlich genauso besetzt …”
Am 29. April 1815 starb in einem Wiener Bordell Hölderlins Freund Isaac von Sinclair.
Samstag, 25. April 2009 – Siebenuhrachtzehn, vierzehnkommafünf (ach so, der Temperaturfühler liegt in der Sonne). Wird gut.
Vor dem Essen: “Mmmh, riecht’s hier aber gut!”
Nach der Mahlzeit: “Puuh, hier riecht’s nach Essen!”
Am Dienstag mit Demski und Herl bei Branko. Danach von Eva eine Mail: …”ein wunderbarer ort. wenn irgendwann die ordnungswüteriche nach ihm greifen, werden wir uns dort anketten, ja?”
Gestern mit einer Riesenrunde der LokomotiveRotesRitzel samt Sympathisanten in der “Linse” in Oberursel. Während wir auf’s Essen warten, werden Trikots probiert. Unglaublich gute, lässige Stimmung. Selten eine Ansammlung von Leuten erlebt, wo man sich so … läßt wie bei den “Ritzeln”. Respektvolle Nähe und sorgender Abstand …
Leider ist Alex doch nicht gekommen. Mit ihm, dem Lightbike-Spezialisten, hätte ich auch gerne mal mein “Projekt: Leichter Stahl” besprochen.
Am 25. April 1956 starb in Hödingen der Typograf Paul Renner – Erfinder der Futura.
Dienstag, 21. April 2009 – Fünfuhrachtundfünfzig, neunkommaacht. Peubleu der Himmel.
Wenn die Weigerung, sich auf ein Tandem zu setzen, ein Gradmesser für Asozialität ist, dann bin ich aber auch so was von heftig asozial …
1. Meldung – Der Linksextremismus ist nach Ansicht des Staatssekretärs im Bundesinnenministerium, August Hanning, in jüngster Zeit gefährlicher geworden. “Wir sind in Deutschland zu tolerant gegenüber Gewalt. Wir dürfen nicht dulden, dass Meinungsverschiedenheiten mit Gewalt ausgetragen werden”, sagte Hanning.
Andere Länder, andere Sitten:
2. Meldung – Fast jeder zweite Franzose findet es akzeptabel, wenn von Entlassung bedrohte Arbeitnehmer ihre Chefs aus Protest als “Geisel” nehmen. Nur sieben Prozent der Franzosen verurteilen nach einer Umfrage des Instituts Ifop für das Magazin “Paris Match” Geiselnahmen von Chefs. Aber 30 Prozent unterstützen sie ohne Vorbehalt und weitere 63 Prozent äußern Verständnis.
“Alle rechtsstaatlichen Errungenschaften beruhen auf revolutionärer Gewalt” Otto Schily (ehemaliger RAF-Anwalt, ehemaliger Bundesinnenminister)
Am 21. April 2004 starb an Herzversagen in einem Altersheim in Castel Gandolfo der SS-Sturmbannführer Karl Hass, der die Principessa Mafalda in einen Hinterhalt gelockt hat (worauf hin sie nach Buchenwald deportiert wurde), der gemeinsam mit Erich Priebke an dem Massaker in den Adreatinischen Höhlen beteiligt war und der 1969 in Viscontis Film “Die Verdammten” mitgespielt hat.
Donnerstag, 16. April 2009 – Zölfuhrfünfunddreißig, einundzwanzig- kommasechs. Der Himmel: bedeckt. Ich: wacklig.
Gestern lange mit Degenhardt telefoniert. Er bedankt sich für “Ein kleiner Abend Glück” und dafür, dass wir ihm die CD gewidmet haben. Wegen seines kranken Herzens könne er keine langen Gänge mehr machen. Und schlimmer werde es, statt besser … Nein, der Tellkamp habe ihm nicht gefallen, schreibe wie Thomas Mann, allerdings ohne Ironie, dabei hätte ihn, den Degenhardt, die niedergehende akademische Bourgeoisie in der niedergehenden DDR schon interessiert, aber so gehe es nun wirklich nicht. Stattdessen legt er mir den kleinen Roman “Tod eines Trüffelschweins” von Thomas Weiss ans Herz. Ein bißchen über die Franzosen und die Deutschen, über die Gegangenen und die paar Gebliebenen. Und dass er “das Dogmatische nie gemocht” habe. Was für ein Solitär in dieser Branche von Waschlappen … Eine Linke, die nicht lernt, von diesem Mann wieder zu lernen, ist nicht der Mühe wert.
Lektüre: Die wunderbare Fritz-Bauer-Biografie von Irmtrud Wojak, eine Sozialgeschichte vom 19. Jahrhundert bis in die späten Sechziger. Plötzlich bekommt man wieder eine Ahnung davon, dass es einmal eine starke Gruppe von Sozialdemokraten gab, die sich mit Stolz und Selbstverständlichkeit als Sozialisten, als Marxisten bezeichnet hat. Kann es denn wirklich sein, dass in Frankfurt kein Platz, keine Straße, keine Schule nach Fritz Bauer benannt ist?
Dabei auch auf Fritz Tarnow gestoßen …
Goya ist tot.
Ostersonntag, 12. April 2009 – Sechsuhracht, zwölfkommavier. Dämmert kräftig.
Vorgestern 140 Kilometer durch den Spessart. In Wiesen zwei alkoholfreie Weizenbier. Auf der Toilette ein Automat mit Kondomen: “Sechs Stück 4 Euro”. Daneben ein anderer: “Travel Pussy – Ein Stück 4 Euro”. Aber was, um Himmels Willen, ist eine Travel Pussy? Die Frage wird uns noch begleiten als wir unter der Banderole an der Fußgängerbrücke der B3 am Unfallkrankenhaus hindurchfahren: “Die dicksten Eier bekommst Du bei erodis – Erotic Competence Store”.
Was? Du kennst die Travel Pussy nicht? Die gibt’s sogar bei Neckermann! – Echt? – Ja, hier, schau: “Travel Pussy – Ihre Lust-Muschi für unterwegs! Lust auf einen Quickie? Dieser rosa-transparente Beutel ist einfach und schnell zu handhaben: Die selbstschließenden Kammern mit warmem Wasser füllen und Penis einführen. Warm und weich, wie von einer echten Muschi, wird ER empfangen… 24 cm Gesamtlänge, Ø durch Wassermenge variabel. Für den einmaligen Gebrauch. Inklusive Gebrauchsanweisung und Gleitmittel.”
Na dann …
Und, wie war die Fahrt? – Ach so, ja, schön. Ich war so kaputt wie seit dem Henninger-Rennen vor zwei Jahren nicht mehr.
Von Ati ein Link auf ein Video mit einer Rede Sarah Wagenknechts – “Ein bisschen steif” komme sie ihm vor. Und C: “Eine Mischung aus Snob und Stalin”. Aber wo sie Recht hat, die Wagenknecht …
Und von Susanne und Norbert der Hinweis auf einen Roman von Elke Vesper über Suzanne Valadon: “Schreckliche Maria”.
Tot ist Carl Ulrich. Über die nach ihm benannte Brücke bin ich schon oft gefahren, aber erst jetzt weiß ich, wer ihr Namensgeber war.
Karfreitag, 10. April 2009 – Vieruhrachtundfünfzig, elfkommaacht Grad.
Eine Woche lang hat er uns aufgejagt mit immer neuen Attacken und Unterstellungen. Und plötzlich ist Schluss. Jemand kann sich so sehr ins Unrecht setzen, dass man noch ein paar Mal ungläubig den Kopf schüttelt, schließlich die Schultern zuckt und denkt: Egal. Egal, was jetzt noch kommt, es geht mich nichts mehr an. Immerhin, jetzt weiß ich, was das Wort “heillos” bedeutet. Mehr noch: Es ist, als habe man dem Teufel in die Seele geschaut und wendet sich nun schaudernd ab. “Was er berührt, versteinert. Unter seinen Blicken erstirbt die Welt …”
Von Eva ein wunderbares Bändchen der Friedenauer Presse. Darin enthalten: Rosa Luxemburgs Büffel-Brief (der für Karl Kraus “zum Allerschönsten” gehörte und der ihn in seiner “Fackel” abdruckte), der Leserbrief einer Ida von Lill-Rastern von Lilienbach, Kraus’ Replik auf diesen Brief und schließlich Celans Gedicht “Coagula” vom Anfang der sechziger Jahre, das sich direkt auf Luxemburgs Text bezieht: “Auch deine Wunde, Rosa. Und das Hörnerlicht deiner rumänischen Büffel an Sternes Statt …”
“Willst Du’s mal sehen?” fragt Ati leutselig. Als hätte ich den Tag über etwas anderes getan, als darauf zu warten, ES endlich zu sehen: sein neues KLEIN Quantum Pro Team, das ich dann fahren darf und von dem ich nach einer kleinen Runde mit dem niederschmetternd-erhebenden Gefühl absteige, nie auf einem besseren Rennrad gesessen zu haben.
Die Sängerin Little Eva (“Loco-Motion”) ist tot.
Dienstag, 7. April 2009 – Vieruhrachtundvierzig, schon zehnkommavier Grad. Laut die Autobahn.
Am Sonntag um zwei Uhr aufgewacht und nicht wieder eingeschlafen. Um kurz nach acht Richtung Eppertshausen. Dann 110 Kilometer durch Rodgau und Odenwald mit dem Pinarello.
Abends bei A. und S. zum Essen. “Wir alle haben doch geglaubt, es gehe immer so weiter”, sagt S. “Aber wir können so nicht weitermachen. Wir müssen neu über unsere Werte nachdenken.” Es dauert eine ganze Weile, bis ich merke, dass er über die Krise spricht und mit “wir” das Bürgertum meint, die Banker, das Management, mithin: “die Stützen der Gesellschaft”. Früher habe als fester Grundsatz gegolten, dass der Chef das Zwölffache oder maximal das Zwanzigfache seines Portiers verdienen dürfe, um noch erhobenen Hauptes und unbehelligt durch seine Firma gehen zu können. Aber heute, die Raffkes, die Absahner, das Hundert-, ach was, das Tausendfache, das könne ja nicht gut gehen: “Wir müssen einen neues Maß finden”, sagt er. Aber wieso glaubt er, dass ausgerechnet ich mich dazu zähle zu diesem “wir”, zu diesem selbstverlorenen Bürgertum, das seine Töchter und Söhne zwar noch Griechisch und Latein lernen lässt, aber weit mehr als nur die eigene Herkunft vergessen hat?
Aber schon interessant: es geht wirklich ein leises Zittern durch diese Stützen.
Gestern Brief an J. und Garten: Pfirsichbäumchen, gemeine Wegwarte. Himbeeren entgrasen, Unkraut raus, Nacktschnecken einsammeln … Abends ein aufregender Film im Bayerischen Fernsehen über Erich Epple, den Bruder jenes Richard Epple, der 1972 auf dem Höhepunkt der RAF-Hysterie siebzehnjährig mit unzähligen Schüssen aus der Maschinenpistole eines Polizisten erschossen wurde. Er war betrunken Auto gefahren und hatte sich einer Kontrolle entzogen.
Tot ist Suzanne Valadon. Mal näher mit befassen!
Samstag, 4. April 2009 – Fünfuhrdreiundfünfzig, elfkommasechs Grad. Um halbvier aufgewacht. Und seitdem schon wieder im Stillen gehadert.
Was für schöne Tage – die Sonne, die Knospen, die laue Luft, das Grün, die ersten Hummeln, die Vögel, ein Goldfasan am Wegrand. Fast möchte man noch einmal leichthin seinen Frieden machen mit der Welt …
… aber dann ist es, als habe – in Gestalt eines Freundes – das Böse selbst seinen Auftritt.
Am 4. April 1945 starb im Alter von achtunddreißig Jahren der französische Widerstandskämpfer Jean Burger im KZ Dora.
Am 4. April 2003 starb im Alter von dreiundneunzig Jahren der Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD in Paris Helmut Knochen. Er war verantwortlich für die Deportation von 200.000 Franzosen in verschiedene Konzentrationslager.
Mittwoch, 1. April 2009 – Neunuhrneunundvierzig, elfkommasechs. Sonnig, soll immer noch besser werden.
Gestern Abend die CD-Premiere von “Ein kleiner Abend Glück”. War aber viel zu viel, um heute schon drüber schreiben zu können. Viel zu schön, viel zu aufregend. Deshalb nur das dynamische Foto eines dynamischen Menschen.
Makarenko ist tot.