Atilla Korap / Jan Seghers / Adrian Wille
WAS ABER IST DIE LIEBE ?
Texte + Musik
Sonntag, 14.2.2016, 11 Uhr
Nebbiensches Gartenhaus
Bockenheimer Anlage 8
(beim Hotel Hilton)
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Samstag, 13. Februar 2016 – Dreizehnuhrdreißig, vierkommafünf. Grau.
in Großteil derer, die ihm jetzt nachrufen, hat wahrscheinlich nie ein Buch von Roger Willemsen gelesen und wäre im Falle des Versuchs wohl überfordert gewesen. Sie schreiben oder sagen, er sei ein Freund des Lebens und der Menschen gewesen, zugewandt, hilfsbereit, freundlich und unendlich charmant. Sie alle haben Recht und tun ihm Unrecht. Sie kauen ihn sich klein, sie arbeiten an seiner Verniedlichung.
Man konnte den Eindruck gewinnen, dass er immer unterwegs und überall zugleich war. Er hat mitgemacht bei „Pi-Pa-Pop und Marktgeschrei“ (F. J. Degenhardt) und ist dabei ziemlich weitgegangen. So weit, dass er für Charlotte Roche vor laufender Kamera einen nackten Fuß ins Klo gehalten und seine Unterhose auf der Straße verbrannt hat.
Bei sich aber ist er gewesen, wenn er schrieb. Und aufgeschrieben habe er, sagte er selbst „nur das, was mir die Netzhaut belichtet hat“. Dann aber war er gallig, scharf, untröstlich. Einer der besten Autoren, die wir hatten und, in der Tat, ein reizender Mensch.
Heute vor acht Jahren ist der große Henri Salvador gestorben („Le Lion Est Mort Ce Soir“). Er liegt auf dem Père Lachaise.
Freitag, 5. Februar 2016 – Sechzehnuhrdreißig, neun Grad. Suppe.
Horst Seehofer will den anderen Rechtspopulisten Europas in nichts nachstehen und ist in den Kreml gereist, um sich in die Front der Putin-Versteher einzureihen. Weil er damit bei den russischen Medien zwar hochwillkommen, daheim aber noch nicht ganz salonfähig ist, begründet er sein Schweigen über das Treffen mit dem russischen Präsidenten wie folgt: „Man muss sein Wasser auch mal halten können.“
Während der bayerische Ministerpräsident in Moskau weilte, zeigten sich die Werbetexter von BMW im heimischen München weniger kontinent. In der heutigen Süddeutschen Zeitung brauchen sie eine halbe Seite um uns mitzuteilen: „Der BMW 5er. Überlegene Connectivity mit dem innovativen Business Package.“
Und erst vor ein paar Tagen bat mich der „adidas Online Shop“ per elektronischer Post: „Matthias, erfinde die Definition von Style neu“.
Charlotte Rampling hat Geburtstag.
Dienstag, 26. Januar 2016 – Achtuhrzweiundzwanzig, dreikommasieben. Gerade gehen die Rollläden hoch.
Am Sonntag, nach dem Besuch im Rebstockbad, wären wir unversehens beinah ins Europa-Viertel geraten, was aber durch einen beherzten U-Turn verhindert werden konnte. Solang es das Viertel gibt, das auf dem riesigen ehemaligen Gelände der Deutschen Bahn entstanden ist, schaudert mich vor ihm, ohne dass ich mich je gefragt hätte, woran das liegt. Heute nun schreibt Laura Weissmüller im Feuilleton der SZ einen ganzseitigen Verriss dieses Quartiers, in dem sie es nicht nur als einen Tiefpunkt der Architektur beschreibt, sondern auch als eine Bankrotterklärung der Stadtplanung und als ein Beispiel für die scheinbar fast kriminelle Vermischung privater und öffentlicher Interessen im Beziehungsgeflecht zwischen Planungsdezernat, städtischer Wohnungsbaugesellschaft, Deutscher Bahn und den Großinvestoren.
Hübsche Formulierung: In meinen Augen riecht das nicht gut.
Heute vor sechzehn Jahren starb der Kollege Jean-Claude Izzo.
Sonntag, 24. Januar 2016 – Einundzwanziguhrneunundvierzig, vierkommaneun. Plus, wohlgemerkt. Scheint Frühjahr werden zu wollen.
Der Leser Georg H. Schmitt kommentiert einen Kommentar des FAZ-Redakteurs Daniel Deckers zu den prognostizierten Wahlerfolgen der AFD wie folgt: „Kretschmann ist … der beste Ministerpräsident seit Jahrzehnten! Als 80%iger CDU-Wähler kann mein gesunder Menschenverstand nur Kretschmann sagen.“ Da ist der Georg H. Schmitt wohl einig mit vielen Kretschmann-Wählern, die noch ein wenig Zeit brauchen, ihre Stimme dann doch der AFD statt wie jetzt den Grünen oder wie früher der CDU, der CSU, der SPD oder der Linken zu geben. Kommt Zeit, kommt Rat, kommt Fusselbart, sang Sven Regner, als er noch ein Stück mehr bei Sinnen war. Oder um es mit den Kölner Karnevalisten zu sagen, die gerne wieder Oberhand über die Frauen auf der Domplatte hätten: „Dat krieje mer schon widder hin.“ So oder so.
Caligula ist tot. Immerhin.
Montag, 18. Januar 2016 – Sechzehnuhrnull, minus dreikommaacht. Schön blau noch der Himmel. Am Morgen Lauf auf den Lohrberg. Ganz okay.
Das ganze Ausmaß der Verblödung im Land ist nach den Ereignissen in der Kölner Silvesternacht offenbar geworden. Es scheint, als lasse sich mit kaum noch jemandem vernünftig darüber reden. Als hätten alle nur auf einen solchen Vorfall gewartet. Keiner will abseits stehen, wenn es gilt, öffentlich Tritt zu fassen. Da hört sich die Sahra Wagenknecht an wie der Winfried Kretschmann wie der Sigmar Gabriel wie der Armin Laschet wie der Joachim Herrmann wie die Frauke Petry wie die Tanja Festerling.
Vielleicht ist es ja so: Uns fallen gerade fünfhundert, wenn nicht mehr als tausend Jahre bigotter, heuchlerischer, imperialer, grausamer, vor allem aber: einträglicher europäischer Politik auf die Füße, einer Politik, die uns reich und die anderen arm gemacht hat. Den späten südlichen Opfern dieser Politik, die sich jetzt auf die Reise machen, ist es egal, ob wir sie willkommen heißen oder nicht. Sie kommen, wenn sie irgend können, so oder so. Wer nichts zu verlieren hat, ist angstfrei. Sie sind nicht „gut“. Wir und unsere, an einem „ökonomisch starken“ Europa interessierten Vorfahren haben alles getan, das zu verhindern. Wie soll jemand, der gequält, versklavt, ausgebeutet, missbraucht, erniedrigt wird, wie soll so jemand „gut“ werden? Opfer sind in den seltensten Fällen gut. Sie, die Opfer, tun, wenn sie können, das, was wir mit ihnen getan haben. Wenn sie Männer sind, tun sie mit europäischen Frauen das, was europäische Männer mit den Frauen von ihnen immer getan haben, und sie halten von Frauen das, was europäische Missionare oder deren muslimische Brüder sie gelehrt haben, dass man von körperlich Schwächeren, also von Frauen, von Mädchen oder Knaben halten solle. – Die Regensburger Domspatzen wissen ein Lied davon zu singen.
Mag ja sein, dass wir mehr Sozialarbeiter brauchen, mag ja sein, dass der arabischen Welt eine Aufklärung fehlt. Mag auch sein, dass ein bisschen Zeit gewonnen wäre mit mehr deutschen Ausbildern und Flugzeugen in Syrien und mit mehr Polizisten auf der Kölner Domplatte. Aber wenn es denn überhaupt noch etwas gibt, das das nächste, ganz große Schlamassel (um es nicht Krieg zu nennen) verhindern kann, dann ist es – das sei nicht nur Dir, deutscher wohltätiger Privatbankier, deutscher, das Gesamtwohl im Auge behaltender Konzernchef, das sei auch Dir, deutscher sozialdemokratischer Facharbeiter und deutscher, bis in den Sarg versorgter Lehrer, deutscher duckmäuserischer Lokalredakteur und deutscher gewitzter Gewerkschaftssekretär gesagt – wenn überhaupt noch etwas das Schlimmste verhindern kann, dann ist es einzig: die Umverteilung. Wenn Du, ich, wenn wir alle nicht endlich bereit sind, wieder etwas von dem abzugeben, was wir dem Rest der Welt auf ganz direkte oder kaum merkliche, weil angeblich „tariflich hart erkämpfte“ Weise abgeräubert haben, dann wird uns die ganze Scheiße um die Ohren fliegen. Unsere Banken, unsere Villen, unsere Reihenhäuser, selbst unsere Mietwohnungen, unsere Golfs, unsere Riesterverträge und unsere friedlichen Sonntagsfrühstücke. So wird es sein. Umverteilung oder Untergang! Wer alt genug ist, kann hoffen, vorher zu sterben. Das scheinen die meisten in meiner direkten Umgebung, um nicht weiter nachdenken zu müssen, gerade zu tun. Das ist alles. Mehr ist nicht zu sagen: Umverteilung oder Untergang! Auf Wiedersehen.
Und das heute, an einem Tag, da Oxfam bekannt gibt, dass „62 Personen so viel besitzen wie die Hälfte aller Menschen“.
Tot ist der Schriftsteller Anton Kuh, der sich gerne mit den Worten vorstellte: „Kuh – alle Witze schon gemacht.“