Januar 2013
Dienstag, 29. Januar 2013 – Zwölfuhrdreiundfünfzig, siebenkommaneun. Um halbdrei aufgewacht und keine Ruhe mehr. Sturm. Regen.
Auf ewig unvergessen jenes Klingelschild an der Haustür der kleinen Pension im Fränkischen: “Annie + Josef Winkler. Nebst Mutter Kunigunde”. Mutter Kunigunde war es dann auch, die mit einem Schreckensschrei reagierte, als sie sah, dass wir die erst ein paar Monate alte Paula vor den Flurspiegel hielten. Tue man das mit einem Kind, das noch kein Jahr alt sei, so wecke man alle bösen Geister.
Was einem so in den Sinn kommt in schlaflosen Nächten.
Stimmt denn, was Guntram sagt, dass es nur abends “dämmert”, morgens aber immer “graut”? Dann wüssten wir auch das.
Heute im Feuilleton der Süddeutschen gleich zwei wirklich gute, wirklich grundsätzliche Texte.
Catrin Lorch relativiert, was überfällig war, die Bedeutung Max Ernsts (und die des Kunstwissenschaftlers Werner Spies gleich mit, dessen “Doppelkopf” mir neulich schon schwer auf den Zeiger ging).
Und von Kia Vahland ein wunderbar entspannter, demokratischer, emanzipierter Beitrag zur aktuellen Sexismus-Debatte. Dort ein kleiner Exkurs zu Sex und Macht und ein schönes Zitat von Hannah Arendt: “Macht entspricht der menschlichen Fähigkeit, nicht nur zu handeln oder etwas zu tun, sondern sich mit anderen zusammenzuschließen und im Einvernehmen mit ihnen zu handeln. … Alle politischen Institutionen sind Manifestationen von Macht; sie erstarren und verfallen, sobald die lebendige Macht des Volkes nicht mehr hinter ihnen steht und sie stützt.”
Wie vorgestrig und geradezu muffig-borniert dagegen Christiane Hoffmanns Doppelseite zum selben Thema im Spiegel.
Es geht nicht um das Brüderle.
Am 29. Februar 1979 erschoss die sechzehnjährige Brenda Ann Spencer an einer Grundschule ihrer Heimatstadt San Diego den Schulleiter und den Hausmeister. Außerdem wurden im Laufe der über sechs Stunden dauernden Schießerei ein Polizist und acht Schüler verletzt. Während die Schützin sich noch in der Schule verschanzt hielt, nannte sie einem Journalisten am Telefon den Grund für die Tat: “I don’t like mondays. This livens up the day.” Der erste Satz hat Bob Geldof und die Boomtown Rats zu deren größtem Hit angeregt.
Dienstag, 22. Januar 2013 – Zwölfuhrnullnull, minus zweikommaneun. Eis, Schnee, Himmel dunstig. Die Tage rutschen so weg.
Am Sonntag zu Fuß auf die Straße, im Ohr Mozarts KV 421 mit dem besten Streichquartett der Welt, dem Quatuor Ebène. Wie diese Musik pulst, wie sie atmet. Alles schön weiß. Und ich fast alleine, fast glücklich. Einmal am Friedhof entlang, auf die Dortelweiler, die Friedberger hoch bis zum Heilsberg. Dann auf den Lohrberg. Und Schluss ist mit Frieden. Alles voll mit diesen jungen, viel zu reichen Eltern, mit ihren viel zu großen Autos und ihren viel zu lauten Kindern, die auf Schlitten gezerrt werden, gar nicht wollen, sondern brüllen. Wirklich alles voll. So habe ich diesen wehrlosen Buckel über Stadt noch nie erlebt, so geschunden, so versaut. Und in mir quillt eine Wut hoch, dass ich ebenfalls brüllen möchte. Und erschrocken bin über mich selbst. Am Ende einsvierzig gelaufen. Und darüber dann doch zufrieden.
Gestern Abend wieder eine Folge Downton Abbey. Hätte nicht gedacht, dass ich noch mal mit solchem Vergnügen Fernsehen schauen würde. Noch dazu eine Adels-Serie. Aber was die auch für Schauspieler haben …
Gerade das munter-verrückte Gespräch mit Baselitz im Spiegel. Dabei war ich eben noch froh, das Abonnement endlich gekündigt zu haben.
Gibt es eigentlich noch einen Politiker, der nicht “ein Ergebnis eingefahren” hat? Merken die noch was?
Kojak ist tot.
Sonntag, 6. Januar 2013 – Siebenuhrsiebenunddreißig, siebenkommadrei. Dunkel. Wach seit halbfünf. In Ordnung.
Vor ein paar Tagen hat Atilla “Johann Holtrup” mitgebracht. Wider Erwarten bin ich gleich gut reingerutscht. Oft glucksend, kichernd über die Volten, die Goetz schlägt. Schon groß. Dann aber auch wieder solche Sätze: “Der Vorgang geschah automatisch und war von stark aufgewühlten Gefühlen begleitet, die aber unterhalb der Verbalitätsschwelle blieben.” So dass man sich fragt …
Aber auf Seite 61 eine gelungene DDR-Ausplünderungszusammenfassung.
“Eine Volte schlagen” – Erst jetzt weiß ich, dass die Redewendung aus der Zauberkunst kommt.
M: “Gibt es eigentlich was Schöneres, Lässigeres, als mit einem tiefsinnigen Freund oberflächliche Gespräche zu führen?”
Das erste Kapitel in Karl Korns Buch über Zola gelesen. Was für ein grauenhaft verstellter Spießer dieser Korn war, der 1949 die FAZ mitgegründet hat, deren Herausgeber und Feuilletonchef er war und der zwei Jahrzehnte lang die Kulturregeln der BRD mitgeprägt hat. Vorher war er Kulturredakteur in Goebbels Wochenzeitung “Das Reich” gewesen und hatte “Jud Süß” gelobt. Das Münchner Landgericht bestätigte ihm noch 1959, ein “Handlanger des Antisemitismus” gewesen zu sein, der “seine Feder dem NS-System verkauft” habe.
Seltsam, dass in der Geisterbahn bisher kein Satz darüber steht, dass ich seit sechs Monaten jeden Tag französisch lerne und seit zwölf Wochen jeden zweiten Tag zum Training gehe. Und wieder angefangen habe zu laufen. Dabei rhythmisiert das meine Tage wie sonst nichts.
Und wie relativ sehr mir doch die Buddenbrooks gefallen haben und die beiden Essays von Thomas Mann über Fontane und Tschechow. Vielleicht sollte ich es mit “Lotte in Weimar” noch mal versuchen.
Und jetzt gefällt mir auch noch Baselitz.
Charlotte von Stein ist tot.