Februar 2010
Dienstag, 23. Februar 2010 – Siebenuhrachtunddreißig, achtkommadrei. Regen.
Am Samstag gegen 19.30 Uhr in der Alten Oper. Aber, Mist, dieses Konzert beginnt bereits um 19 Uhr. Und: “Kein verspäteter Einlass”. Also verpassen wir “Sacre du printemps”, bekommen aber nach der Pause Bruckners Dritte. Die Wiener Philharmoniker und Lorin Maazel. Fast schon erschreckend, wie gut dieses Orchester ist.
Endlich Kupers Grab auf dem Hauptfriedhof gefunden. Ein aufgeschlagenes Buch aus Marmor, darauf sein Spitzname: “Hamlet”, ein Foto und ein buntes Blechschild mit dem Heck eines rosafarbenen Cadillac und der Unterschrift: “Standard of the World”.
Fontanes “Unterm Birnbaum” – Keine sehr reiche Geschichte, das Milieu zu eng gewählt, die Figuren zu beschränkt, der volkstümliche Ton schwer erträglich. Aber zwei schöne Sätze im sechzehnten Kapitel, die klingen wie ein Bibelzitat, ohne eines zu sein: “Wir wandelten in Finsternis, bis wir das Licht sahen. Aber die Finsternis blieb, und es fiel ein Schatten auf unseren Weg.”
Lektüre: Fontane “Unwiederbringlich”.
Stan Laurel ist tot.
Samstag, 20. Februar 2010 – Achtuhrdreiundfünfzig, zweikommasieben. Nach drei sonnigen Tagen wieder grau.
Nach dem Beruhigungsmittel, das mir vor der Narkose verabreicht wird, sehe ich eine Karawane junger Kamele im Abendlicht durch die Wüste trotten. Und später, nach der OP beim Aufwachen und noch für Stunden: die Vision eines riesigen gebratenen Kalbskoteletts.
Abends dann auf dem Gang der Station randaliert, bis mir die Nachtschwester erst eine Ration starker Schlaftropfen verpasst und endlich doch die Fesseln abnimmt … Vom Krankenbett aus mit Ch. telefoniert: “Ich muss hier raus, ich gehe sowieso schon allen auf die Nerven”. – Der Pfleger, der es mithört, von weitem: “Stimmt!”
Wie ich einmal irrtümlich für einen Privatpatienten gehalten wurde und mich für kurze Zeit im medizinischen Himmel fühlte …
Drei bis fünf Monate soll es dauern, bis die Schulter wieder voll bewegungsfähig ist. Wenn es wenigstens jemanden gäbe, den ich dafür schlagen könnte …
“Die mussten weg – Feierabend”, sagte der 72-jährige Rentner aus dem Landkreis Viersen in seinem Geständnis. Er hatte zwei Anwälte und einen Immobiliengutachter erschossen, weil sie – wie er meinte – den Verkauf des Hauses seiner Tochter verzögert hatten.
Gestern Dreh mit Simone Jung und dem HR-Team. Konzentriert, lässig, lustig. Und im Archiv in Wiesbaden wieder die Akten zum Fall Helga Matura. Lese mich sofort aufs Neue fest und komme in denselben Rausch wie vor zwei Jahren. Und der freundliche Herr Pult bietet an, auch mal bei einer weniger spezifischen Suche nach neuen alten Fällen zu helfen.
Gelesen: Piwitts traumhaftes Geschichtenbuch “Heimat, schöne Fremde”. Walsers “Mein Jenseits”. Von Schirachs “Verbrechen”.
John Dowland ist tot.
Dienstag, 9. Februar 2010 – Siebenuhrvierundfünfzig, minus vierkommaeins. Grau.
Nun, da Helene Hegemann entzaubert ist und Willi Winkler in der SZ das Nötige dazu gesagt hat, fragt man sich doch, wie es zu diesem Schub medialen Irrsinns hat kommen können. Es scheint, als seien jene, die noch vor Jahren die “Verschwörung der Idioten” in den Feuilletons beklagten, selbst zu den erfolgreichsten Verschwörern geworden. Und nunmehr auch zu düpierten Idioten.
Gestern im Kammerspiel Racines “Phädra” in der Inszenierung von Reese. Fast schon ein Erweckungserlebnis. Richtiges Theater mit richtigen Schauspielern, die in richtigen Kostümen richtige Texte sprechen. Freilich, so könnte, so dürfte man heute nicht mehr schreiben. Aber warum berührt einen das vor 330 Jahren so Geschriebene dann mehr als die meisten Texte heutiger Autoren?
Heute vor zehn Jahren starb in seiner Hamburger Wohnung der Maler Hans Platschek bei einem Schwelbrand, der durch seine brennende Havanna-Zigarre ausgelöst wurde.
Montag, 8. Februar 2010 – Dreizehnuhrachtunddreißig, minus zweikommanull. Bedeckt.
“Dein Gott und mein Gott sind das gleiche”, sagte Kerbalaj. – “Alle haben nur einen Gott, nur die Menschen sind verschieden. Welche sind Russen, welche Türken oder welche sind englisch – es gibt viele Menschen, aber nur einen Gott.” “Gut. Wenn sich alle Völker vor dem einen Gott verneigen, warum seht ihr Muselmanen dann in den Christen seit Jahrhunderten euern Feind?” “Warum bist du so böse?” sagte Kerbalaj und umfasste mit beiden Händen den Bauch. “Du bist Pope, ich Muselmane, du sagst – ich will essen, ich gebe dir … Nur der Reiche unterscheidet, welcher Gott deiner ist, welcher meiner ist. Dem Armen ist es gleich. Iß, bitte.” Aus: Anton Cechov, Ein Duell
Todestag von Max Liebermann.
Sonntag, 7. Februar 2010 – Siebenuhrneunundfünfzig, zweikommadrei. Der Himmel gefleckt mit was Blau drin. Und vor dem Haus im schrundigen Matsch reckt sich das erste frische Grün.
Vor drei Wochen das erste Mal beim Arzt gewesen und immer noch keine haltbare Diagnose. Wahrscheinlich: Abriss einer Schultersehne. Das ganze Procedere ist absurd. Die Kernspintomographie von Freitag auf Dienstag verschoben – weiter abwarten. Und dann um einen neuen Termin beim Orthopäden betteln.
Über allem Gezeter nicht zu vergessen: Die schöne Moholy-Nagy-Ausstellung in der Schirn, die ich auch wieder verpasst hätte, wenn mich Schimmel nicht verführt hätte.
Mit den beiden Boehnckes zur Vorpremiere der “Akte Rosenherz” in die Sektkellerei Bardong nach Geisenheim. Uff, über zweihundert Leute. Läuft wunderbar. Hinterher noch lange gesessen, gegessen, getrunken. Spät. Schwer. Heim.
“Wer verrückt ist, gehört zu uns”, habe seine Mutter immer gesagt, erzählt Nemec am Telefon.
Beim Aufräumen das Interview mit Sophie Rois gefunden, die einen hübschen Satz von Pollesch zitiert: „Draußen tobt der Konsens, während ich hier drinnen versuche, Tradition und Anarchie gleichermaßen aufrechtzuerhalten.“
Aus Stefan Zweigs “Schachnovelle”: “Mit derselben selbstverständlichen Geste, mit der unsereiner in einer Buchhandlung einen angebotenen schlechten Detektivroman weglegt, ohne ihn auch nur anzublättern, trat er von unserem Tische fort und verließ den Smoking Room.”
Aus Michael Connellys “Nine Dragons”: “There were no surprises left when it came to motivation for murder.” Obwohl die Schlichtheit, mit der Connelly diesen wirklich spannenden Roman auflöst, schon überraschend ist. Und enttäuschend.
Heute vor 31 Jahren starb Josef Mengele beim Baden.