Juni 2010
Donnerstag, 24. Juni 2010 – Sechzehnuhrachtundzwanzig, fünfundzwanzigkommasieben. Sehr blau.
Wer wissen will, welch grauen, feuchten Strumpf das Land sich mit einem Bundespräsidenten Joachim Gauck einhandeln würde, mag einfach die Rede des Kandidaten, die er am 22. Juni 2010 im Deutschen Theater in Berlin gehalten hat, auf dessen Homepage nachlesen. Weiß Gott, das ist das Pathos der Leere. Gedankenfreiheit scheint diesem Mann zu bedeuten: frei von jedem Gedanken. Und dafür wirft sich die Hälfte der deutschen Intelligenz ins Zeug.
Am Wegrand: Drei große Krähen hacken nach dem Kadaver einer toten Ratte. Vier unglaublich bunte Buntfinken tummeln sich auf einer Wiese. Ein junger Fuchs – orientierungslos oder tollwütig – springt nervös vor dem sich nähernden Radfahrer auf der Hohen Straße hin und her.
Quote of the day von Götz E.: “Am Edersee kann man Rad fahren, dass es nur so seine Bewandtnis hat.”
Und jetzt auch noch Joachim Löw: “Für so eine junge Mannschaft ist es gut, durch so ein Stahlbad zu gehen in einem Spiel um alles oder nichts.”
Und? Zu wem hältst Du heute Abend bei den Spielen?
Zu allen!
Zu allen?
Ja, ich bin Multinationalist.
Am 24. Juni 1943 starb im mexikanischen Exil der Schriftsteller Otto Rühle. Seine Frau Alice Rühle-Gerstel beging am selben Tag Selbstmord. Am 20. März 1915 hatten Otto Rühle und Karl Liebknecht als einzige Abgeordnete des deutschen Reichstages gegen die Bewilligung der Kriegskredite gestimmt.
Montag, 21. Juni 2010 – Dreizehnuhrvierundvierzig, siebzehnkommavier. Wolkig, frisch.
Gestern kurz auf dem Parkfriedhof Heiligenstock und das “anonyme” Grab von Eberhard Dähne gesucht. Nur ein Fleckchen Dreck ist zu sehen. Wird irgendwann von Gras überwachsen sein.
Dann Burgfestspiele in Bad Vilbel. Vor vierhundert Leuten aus “Die Akte Rosenherz” gelesen. Eine vital aussehende ältere Dame kommt freundlich lächelnd auf mich zu: “Ich kenne einen der Ermittler, der am Mordfall Matura mitgearbeitet hat. Es ist mein Mann … Leider hat er Alzheimer.”
Kurz darauf beim Signieren ein älterer Herr: “Ich habe die Matura gekannt. Allerdings nur in Einzelteilen.” Ich schaue ihn fragend an. “Ich war Gerichtsmediziner, und die Obduktion ihrer Leiche im Januar 1966 war einer meiner ersten Fälle.”
Wie muss man eigentlich jemanden nennen, der ungestraft eine solche Scheiße schreibt wie Malte Lehming vom Berliner “Tagesspiegel”: “Im Überschwang ihrer Gefühle sagte die ZDF-Moderatorin Katrin Müller-Hohenstein in der Halbzeitpause des Spiels Deutschland gegen Australien: ‘Für Miroslav Klose muss das doch ein innerer Reichsparteitag sein, jetzt mal ganz im Ernst, dass der heute hier trifft.’ Natürlich brandete sofort ein Sturm der Entrüstung auf, das ZDF wurde aufgefordert, sich von dem Spruch und dem Nationalsozialismus zu distanzieren. Aber weit gravierender als der sprachliche Lapsus ist doch wohl, dass dieses Klose-Tor, um in der ZDF-Sprache zu bleiben, Deutschlands inneres Auschwitz gewesen sein könnte. Weil dieses Tor den schwachen Klose rehabilitiert, muss er weiter aufgestellt werden, was Deutschland am Ende den Titel kosten wird.”
John Lee Hooker ist tot.
Mittwoch, 16. Juni 2010 – Bloomsday. Vierzehnuhrsechsundzwanzig, zwanzigkommasieben. Bleu. Und … die Schulter? Viel besser!
Nur, damit es ihnen nicht vergessen wird: Inge Höger, Annette Groth und Norman Paech, Bundestagsabgeordnete der Fraktion “Die Linke”, haben am 30. Mai 2010 gemeinsam mit bewaffneten Islamisten versucht, die Blockade des Gaza-Streifens zu durchbrechen und sind daran von israelischen Soldaten gehindert worden. Unversehrt und unbestraft zurück in Deutschland, stellten die drei Politiker Anzeige beim Generalbundesanwalt und entblödeten sich nicht, in diesem Dokument davon zu sprechen, dass sie von den Israelis deportiert worden seien. Ihre Partei, anstatt sich umgehend von diesen Gesinnungsdeppen zu distanzieren, feierte sie als Helden und stellte den Text der Anzeige als pdf-Datei auf die Internetseite der Bundestagsfraktion.
Gerade lese ich, dass Jürgen Weber heute vor drei Jahren gestorben ist.
Mittwoch, 9. Juni 2010 – Zwölfuhrneunundzwanzig, zweiunddreißig- kommafünf. Schlierig der Himmel.
Heute Morgen auf den Seiten der Deutschen Kommunistischen Partei und der Partei “Die Linke” unterwegs. Mein Gott, was sich dort für ein kaum verhohlener Antisemitismus und Hass auf Israel Luft macht. Und damit einhergehend: was für eine selbstvergessene Dummheit. Als könnten sie nicht lesen, als stünden ihnen nicht alle Informationen über Zusammensetzung und Absichten der so genannten Hilfskomitees zur Verfügung.
Dazu noch der bodenlose, wirre Moralismus von Henning Mankell …
Wirklich verlässlich sind eigentlich nur noch “konkret” und haGalil …
Todestag von Johanna Kirchner.
Montag, 7. Juni 2010 – Zwölfuhrdrei, fünfundzwanzigkommavier Grad. Bedeckt. Seit gut einer Woche: dritter Schmerzens-Schub in der Schulter.
Eine Mail von Google-Alerts weist mich auf folgenden Eintrag im Archivalia-Blog zu “Die Akte Rosenherz” hin: “Herr Seghers, die Mutter von Helga Matura wohnte bis vor kurzem in 50825 Köln, Iltisstr. 122. Ich weiss nicht ob sie ins Heim gekommen oder gestorben ist. Meine Mutter wohnte mit ihr auf einer Etage in einem altengerechten Wohnhaus. Lt. meiner Mutter fuhr sie 1 x monatlich nach Aachen ins Spielkasino und kam mit dem Taxi wieder nach Hause. Wo hatte sie ihr Geld her? Ihr wurde auch schon mal nachgesetzt und sollte ueberfallen werden. Das wäre doch ein interessanter Ansatzpunkt gewesen.”
Amokläufe finden fast nie in den so genannten Metropolen des Verbrechens, sondern nahezu immer in kleinstädtisch-aufgeräumten Milieus statt. Und die Täter entstammen fast nie dem als aggressiv geltenden Subproletariat, sondern nahezu immer dem auf Unauffälligkeit erpichten (Klein-) Bürgertum. Dazu zwei interessante Details, den Amoklauf von Derrick Bird aus Whitehaven betreffend, der letzte Woche in der nordenglischen Grafschaft Cumbria zwölf Menschen erschossen hat, bevor er sich selbst das Leben nahm:
1. Die Presse berichtet, das der Täter bei seiner dreistündigen Amokfahrt durch die Küstenregion immer die Vorfahrt beachtet und an jeder roten Ampel gehalten habe.
2. Wikipedia weiß zu berichten, dass die rechtwinklige Anlage der Kleinstadt Whitehaven als architektonisches Vorbild für die Planung von Manhattan gedient habe.
Auch hier war der Täter also wieder ein unauffälliger Provinzbewohner aus einer wohlgeordneten Umgebung, ein verhinderter Anpasser, oder – wie Götz Eisenberg es nennt: ein devianter Konformist.
Lektüre: Mihail Sebastians Tagebücher 1935-1944 “Voller Entsetzen, aber nicht verzweifelt”.
Todestag von Ida Kerkovius. Und ich ärgere mich immer noch, dass ich seinerzeit nicht dieses schöne konstruktivistische Bild von ihr gekauft habe.