Geisterbahn

Dienstag, 29. Mai 2012 – Neunuhrachtundvierzig, fünfundzwanzig-
kommafünf. Blau. Wach seit halbfünf. Schon gemäht, schon gegraben.

Vor Tagen berichtete Götz, er habe sich im Kasseler Staatstheater “Leonce und Lena” angesehen. Und dann vergnügt einen dieser Schlusssatz Valerios, als hörte man ihn zum ersten Mal: “Und ich werde Staatsminister und es wird ein Dekret erlassen, daß, wer sich Schwielen in die Hände schafft, unter Kuratel gestellt wird; daß, wer sich krank arbeitet, kriminalistisch strafbar ist; daß jeder, der sich rühmt, sein Brot im Schweiße seines Angesichts zu essen, für verrückt und der menschlichen Gesellschaft gefährlich erklärt wird; und dann legen wir uns in den Schatten und bitten Gott um Makkaroni, Melonen und Feigen, um musikalische Kehlen, klassische Leiber und eine commode Religion!”

Lektüre: Helga Einsele, Mein Leben mit Frauen in Haft.

Vor zwei Jahren ist Dennis Hopper gestorben.

Dienstag, 22. Mai 2012 – Vierundzwanzigkommasieben. Wonderful. Blue.

Was für ein schöner Samstag! Noch vor einem Jahr hätte ich nicht geglaubt, dass das noch einmal wahr werden würde. Wenn die Welt so wäre, wie sie sein sollte, wäre sie wohl ein wenig so wie Frankfurt vor drei Tagen: zwanzig-, fünfundzwanzigtausend Leute, die durch die Stadt ziehen, singend, spottend, lachend, skandierend, tanzend, – einander so fremd, einander so nah. Gottlob nicht nur die immergleichen alten Säcke wie man selbst, sondern alles durcheinander: französische Clowns, chilenische Sozialistinnen, deutsche Tierschützer, griechische Kommunisten, spanische Anarchisten, libertäre Sambatänzer, viele Gewerkschafter, Pazifisten, Linke aller Couleur, Lesben, Schwule, Transsexuelle, Umweltschützer, Nackte, Autonome …
Selten habe ich so viele Menschen beisammen gesehen, die auf eine so angenehme Weise anders waren als ich selbst, dass ich bei jedem zweiten gerne gewusst hätte, was ihn treibt, was sie macht, was er ist, was sie will. Ja, es war ein Fest der Andersartigkeit, ein Tag, der die Neugier auf Trab gebracht, der jeden, der ihn erlebt hat, für den Rest seines Lebens freier, offener, stärker gemacht haben dürfte. Und zu bedauern jeder, der nicht dabei war.
Nicht, in dem, was man wollte, war man sich einig, sondern in dem, was man nicht wollte. Aber allein dadurch entstand ein so freisinniger Einklang, der etwas von dem vorweg genommen hat, was man wollen sollte, nämlich wenigstens: sich gegenseitig lassen. Und denkt man an die freundlichen, wachen, fröhlichen Gesichter, so schienen das auch alle begriffen zu haben. Denn endlich einmal war man nicht umgeben von den ewig gleichgeschalteten Dumfpnasen, die alle vier Jahre ihr Kreuz machen, ansonsten ihre Autos waschen und jeden für weltfremd halten, der kein Fernsehen guckt und immer noch nicht glauben will, dass es das Kapital ist, das arbeitet.
Und diesen Tag wollte man uns verbieten, diesen gottgeilen Tag meinte man, durch eine Armee hochgerüsteter Polizisten klein halten zu können: diese andere Welt, diesen Vorgriff, diesen herrlich freien, kurzen Traum. Kaum zu fassen, von welch mickrigen Luschen wir uns regieren lassen! Aber diesmal sind sie nicht durchgekommen. Dieser Tag war stärker. Man kann ihn uns nicht mehr nehmen.

“Natürlich ist das eine Illusion, dieses vermischte Tanzen …” (Franz Josef Degenhardt)

Todestag von Langston Hughes.

Freitag, 18. Mai 2012 – Zehnuhrneun, vierzehnkommaneun. Bedeckt.

Gestern vor der Paulskirche – verboten, aber fröhlich. Halte Ausschau nach Freunden. Niemand da? Jemand verteilt Grundgesetze, die in die Höhe gehalten werden. Aufgebracht, wütend sind vor allem die Älteren. Rundum Polizei, wie immer: “Verlassen Sie den Platz, Sie machen sich strafbar!” Tja, was muss, das muss. Viele kleine, schöne Aktionen. Ein Anwalt, Inhaber einer Wirtschaftskanzlei, der eine Lautsprecheranlage dabei hat und Grundsatzurteile zum Demonstrationsverbot vorliest. Drei Musiker in schwarzen Hosen und weißen Hemden, die ein klassisches Stück spielen und am Ende, als die Touristen ihnen applaudieren, “Solidarität mit Griechenland!” rufen. Eine junge Frau mit einem Baby im Arm stellt sich vor den Kordon der Uniformierten und singt lauthals und gutgelaunt ein Gospel. Leute mit Rucksäcken und Zelten.
Wo sind die Frankfurter Grünen, wo die Sozialdemokraten? Ach, sie sollen sich schämen!
“Die Versammlungsfreiheit ist ein Grundrecht, das wir sehr hoch halten”, erklärt die CDU. So hoch, dass wir nicht mehr drankommen. Man wird sich die Namen merken: Boris Rhein, Christean Wagner, Markus Frank.

Ein Buch, dem man wünscht, es würde Pflichtlektüre im Gemeinschafts- kunde-Unterricht: “Ricardas Tochter – Leben zwischen Deutschland und Israel” von Jutta Schwerin. Charlotte hat es lektoriert und mir letzte Woche geschenkt. Wie frei, wie klug, wie unbeirrbar die Autorin ist. Sie war für die Grünen im Bundestag, hat die Partei dann aber wieder verlassen: “Ich war zu anders als sie, zu links, zu feministisch, zu lesbisch und zu erschrocken über die Wiederherstellung eines großen Deutschlands”. Und wohl auch: zu jüdisch.
In New York besucht Jutta Schwerin ihre Freundin, die dreiundneunzigjährige Fotografin Ellen Auerbach, die sich selbst für gänzlich unpolitisch hält und erklärt: “Ich wähle nie, mein ganzes Leben lang nicht. Allein das Ansinnen dieser Leute, gewählt zu werden, schon ihr Ehrgeiz bringt mich gegen sie auf!”

Live-Ticker der Frankfurter Rundschau, heute: “12 Uhr: Auf der Kreuzung Wilhelm-Leuschner-Straße/Mainluststraße haben sich etwa 25 Personen auf die Straße gesetzt. Die Aktivisten singen auf Holländisch oder Schwedisch die Internationale. Die deutschen Aktivisten antworten mit dem Arbeiter-Einheitsfrontlied . Die Polizei macht sich bereit, die Blockade aufzulösen.”

Todestag von Heinrich Albertz.

Sonntag, 13. Mai 2012 – Fünfuhrachtunddreißig, vierkommadrei. Die Eisheiligen. Hell.

Am Mittwochabend, ein Platz in der Nähe des Bahnhofs Friedrichstraße, der Reisende setzt sich auf eine Bank. Eine ältere Dame, ihr rostiges Fahrrad schiebend, umkreist den Platz und durchsucht die Abfalleimer nach Pfandgut. Ob es denn hier irgendwo ein Lebensmittelgeschäft gebe, frage ich, als sie vorüber kommt. Nein, sagt die Dame, die Großbaustelle habe auch die letzten kleinen Händler im Laufe des Jahres vertrieben. – Was denn gebaut werde? – “Schon wieder eine neue U-Bahn für die Bonzen.” – Für die Bonzen? – “Na, jedenfalls kann ich’s mir nicht leisten.”

Von dem Angler am Großen Wannsee will ich wissen, wie weit denn der Uferweg führe. – Antwort: “Hier kannste loofen bis zur Verjasung.”

Dort auch, auf dem Weg zur Liebermann-Villa, halte ich inne, um eine Siedlung schöner neuer Häuser zu bewundern: aus rotbraunen Klinkern gebaute Kuben mit riesigen Fensterflächen. Am Straßenrand hält ein Mercedes-Kombi, eine große Blonde steigt aus, schaut mich misstrauisch an. Ob es sich hier um private Wohnhäuser handele, frage ich rasch, um mein offenbar verdächtiges Interesse zu erklären. “Um was denn sonst, bitte, soll es sich handeln?” – Na, sage ich, vielleicht um universitäre Institute. – “Das”, patzt sie, “habe ich ja wirklich noch nie gehört!” – Erst jetzt sehe ich im Kofferraum ihres Wagens die beiden spitzmäuligen Kampfhunde. Sie legen die Köpfe schief und schauen mich an.

In der Kundenzeitschrift der Deutschen Bahn ein Interview mit der Fernsehfrau Judith Rakers. Geplapper wie man’s kennt. Dann, auf ihr Engagement in einem Obdachlosenprojekt angesprochen, sagt sie etwas Unerwartetes: “Ist das überhaupt ein Absturz? Oder vielleicht nur ein anderer Lebensentwurf? (…) Die meisten wünschen sich im tiefsten Innern, in ein normales Leben zurückzukehren. Auch wenn sie es nicht so hinkriegen. Aber ich denke auch, dass es viele Facetten gibt, wie man leben kann. Unser Weg ist nicht der einzig richtige. Es muss sich nicht alles an Leistung orientieren und an Geld. Wir leben in einer Gesellschaft, in der das so ist, und ich mache da auch mit. Aber ich könnte auch darauf verzichten.”

Verspätete Ankunft auf dem Frankfurter Hauptbahnhof, die Menge der Passagiere drängt eilig Richtung Ausgang. Entgegen kommt den Reisenden eine Frau, vielleicht Mitte dreißig, die Augen umschattet, die Arme vernarbt, taumelnd, ohne Zweifel drogenkrank. Sie schaut ins Leere, weint, und ruft dann, an niemanden und alle gewandt, mit ganz und gar jämmerlicher Stimme, wie aufjaulend eingedenk einer kürzlich zugefügten Kränkung: “Es können doch nicht alle so schön sein wie ihr.”

Zwanzigster Todestag von Gisela Elsner.

Dienstag, 1. Mai 2012 – Sechsuhrneunundvierzig, vierzehnkommafünf. Bedeckt.

Weißer Kies und nackte Bäuche; die Schultern schon verbrannt. Ja, ja, und eure Tulpen sehn aus wiene Tüte Lutschbonbons. Guckma, der da, mit seiner fleckigen Jogginghose. Das Mädchen verschwindet hinter einer Ecke, ihm folgen fünf, sechs, sieben junge Männer. Mach schön die Tür zu, hörst du! Mensch, wie der Weißdorn wächst und blüht, lauter Marienkäfer drin, hastegesehen. Nichsolaut, nichsolaut! Von dem Kind auf seinem Rädchen ist nichts zu sehen, außer dem Wimpel, der über der Hecke hin- und herschwimmt wie eine Haifischflosse. Soll ja nochma wieder kälter wern. Weißte was, die Katzen, die jag ich. Wo die Rotschwänze wohl dieses Jahr brüten?

Für den Marienkäfer gibt es über 1.500 unterschiedliche regionale Bezeichnungen. Ein einziges Exemplar frisst bis zu 50 Blattläuse am Tag. Marienkäfer sind auch Kannibalen. Hätten Sie’s gewusst?

Heute feiern wir den hundertsechzigsten Geburtstag von Calamaty Jane.

Sonntag, 22. April 2012 – Vierzehnuhrneun, dreizehnkommaneun Grad. Wind, Wolken, Wasser.

“Aber die knappen Zeilen, die Günter Grass unter der Überschrift ‘Was gesagt werden muss’ veröffentlicht hat, werden einmal zu seinen wirkmächtigsten Worten zählen. Sie bezeichnen eine Zäsur. Es ist dieser eine Satz, hinter den wir künftig nicht mehr zurückkommen: ‘Die Atommacht Israel gefährdet den ohnehin brüchigen Weltfrieden.’ Dieser Satz hat einen Aufschrei ausgelöst. Weil er richtig ist. Und weil ein Deutscher ihn sagt, ein Schriftsteller, ein Nobelpreisträger, weil Günter Grass ihn sagt. Darin liegt ein Einschnitt. Dafür muss man Grass danken. Er hat es auf sich genommen, diesen Satz für uns alle auszusprechen. (…) Es muss uns nämlich endlich einer aus dem Schatten der Worte Angela Merkels holen, die sie im Jahr 2008 in Jerusalem gesprochen hat.”
(Holger Apfel, Bundesvorsitzender der NPD)

Richtigstellung: Anders als oben behauptet, stammt das Zitat nicht vom Bundesvorsitzenden der NPD, sondern von Jakob Augstein, Kolumnist bei “spiegel online” und Herausgeber der Wochenzeitung “freitag”.

Yoav Sapir, Deutschlandkorrespondent der israelischen Tageszeitung “Ma’ariv”, kommentiert: “Grass hat eigentlich nur das geschrieben, was die Mehrheit in Deutschland seit Jahren denkt und fühlt. (…) Durch das Loch, das Grass in ihn gebohrt hat, bricht zusehends der Damm der politischen Korrektheit. Das Schlussstrich-Verbot ist dahin. Kein anderer als Walsers leiblicher Sohn, Jakob Augstein, hat es so explizit zum Ausdruck gebracht.”

Käthe Kollwitz ist tot.

Mittwoch, 18. April 2012 – Sechzehnuhreinunddreißig, zwölfkommasechs. Wolkig, sonnig, schaurig, aprilig.

Spiegel online enthüllt: “Tierfreunde ahnen es schon lange, jetzt scheint es bewiesen: Pferde sind wahre Meister im Erkennen von Menschen. Ein Experiment ergab, dass die Vierbeiner allein anhand von Geruch, Aussehen oder dem Klang der Stimme eine fremde von einer vertrauten Person unterscheiden können.”
Da muss die Frage erlaubt sein, anhand von was ein Spiegel-online-Redakteur sich von einem Vierbeiner unterscheiden kann?

Königin Elisabeth I. habe, so wird berichtet, von ihren Hoffräulein verlangt, “so jungfräulich wie möglich zu bleiben”, was nun wirklich eine hübsche Formulierung ist. – “To remain in virgin state as much as may be”.

Hoffmann von Hoffmanswaldau ist tot. Aber schon ziemlich lange.

Donnerstag, 12. April 2012 – Zehnuhrvierundfünfzig, siebenkommadrei. Alles zu.

Ist es eigentlich normal, in diesem Alter umgeben zu sein von ebenfalls in die Jahre gekommenen Freunden und Bekannten, Männern wie Frauen, die immer noch schwer an ihrer Herkunft zu tragen haben? Die von ihren Eltern, den Vätern öfter als den Müttern, vor Jahrzehnten tyrannisiert, gezüchtigt, gedemütigt, misshandelt, missbraucht, verlassen oder einfach ignoriert wurden? Seitdem, was sonst, hat das Leben der Kinder einen Knacks. Die Mütter und Väter sind zumeist längst gestorben, der Knacks ist geblieben und wird nun bis ins Alter hinein analysiert und therapiert auf Teufel komm raus. Und ob er nun rauskommt oder nicht, der Teufel, er arbeitet weiter. Vergällt den Töchtern und Söhnen bis heute das Leben, zerstört ihre Freundschaften und Ehen, macht sie nervös, säuerlich, verbittert, schlaflos, abergläubisch, depressiv, verrückt, krank, unzumutbar.
Und forscht man nach, was denn das für Eltern gewesen sein mögen, findet man heraus, dass es, die Väter öfter als die Mütter, Nazis waren, kleine oder große, solche oder solche – oder sich von den Nazis zumindest ermuntert fühlen durften, ihre schlechtesten Seiten als erwünschte auszuleben.
Was ja heißt, dass diese zwölf Jahre bis heute ihr Gift verbreiten – bis in jede Verästelung unseres Alltags, bis in die nächste und übernächste Generation. Immer neue Opfer produzierend, die zu immer neuen Tätern werden – solchen oder solchen.
Ist es angesichts dessen spinös, sich wenigstens einmal das Andere, Bessere, Schönere vorzustellen? Dass es nicht so gekommen wäre, wie es gekommen ist. Dass Deutschland eine Republik geblieben wäre, ein ziviles, unzerstörtes Land mit unzerstörten Städten und einer reichen jüdischen Kultur. Was wäre dann heute anders? Die Antwort dürfte sein: Alles wäre anders, fast alles. Wir hätte andere Zeitungen, andere Nachrichten, andere Debatten, andere Bücher, eine andere Kunst, ein anderes Theater, andere Tage, andere Nächte, andere Freunde.

Todestag von Heinrich Nordhoff, ab 1942 Wehrwirtschaftsführer, später mit allen Orden der Bundesrepublik ausgezeichnet.

Mittwoch, 4. April 2012 – Fünfzehnuhrdrei, vierzehnkommanull. Wolken.

Mit seinem als Gedicht bezeichneten Text “Was gesagt werden muss” ist Günter Grass wieder dort gelandet, wo er herkam und hingehört – an der Seite seines Volkes. Die so genannte linksliberale Weltpresse druckt heute diesen Text, und in den Internet-Kommentaren johlt die gebildete Leserschaft (hier: der “Süddeutschen Zeitung”):

“Recht hat er.”
“Die Antisemitismuskeule wird wieder geschwungen … Danke für Ihren Mut, Herr Grass!”
“Der Mann hat so was von Recht.”
“Recht hat er, aber da kommt gleich wieder die Nazikeule raus.”
“Danke Hr. Grass und Danke SZ, dass Sie den Mut haben, die Wahrheit so poetisch brillant auf den Punkt zu bringen.”
“Es wird langsam Zeit, dass wir uns aus dem Schatten der Vergangenheit lösen … Die Ausführungen von Herr Grass sind von daher nicht nur richtig, sondern auch ausgewogen.”
“Grass hat Recht. Das zeigt deutlich die Reaktion aus Israel und vom Zentralrat der Juden.”
“Getroffene Hunde jaulen halt auf, umso stärker, umso mehr.”
“Es ist an der Zeit, dass die Welt ihre Stimme erhebt … Eine dieser Stimmen ist Grass. Endlich.”
“Interessant ist übrigens, dass Volkes Stimme, soweit sie hier im SZ-Forum halbwegs repräsentativ ist, zu völlig anderen Ergebnissen kommt als die offiziellen Verlautbarungen.”
“Glückwunsch, Herr Grass, dass Sie aussprechen, was 80% unserer Landsleute denken.”
“Ich freue mich, dass Herr Grass so schreibt … Sagt man etwas, ist man antisemitisch.”
“Endlich – das Schweigen der deutschen Intellektuellen, Literaten, Künstler war und ist skandalös. Gott sei Dank, wagt Grass es endlich zu sagen, was längst überfällig ist und macht sich unabhängig von der Staatsräson des Schweigens und der allumfassenden Manipulation der nackten Kaiser mit ihrer Propagandaabteilung.”
“Ich kann diesen antisemitischen Zirkus langsam nicht mehr hören. Mein Opa hat keinen Juden getötet …, mein Vater nicht und ich kenne noch nicht mal einen.”
“Nobelpreis war gerechtfertigt – Ganz große Poesie. Ich habe geweint. Danke, dass wir so einen großen Dichter haben!”
“Unsere feige Politiker-Mischpoke schweigt, weil sie die Reaktion der (Rothschild-) Zionisten fürchtet.”
“Meine Meinung ist mein menschliches Geburtsrecht – Da ich niemals einem Juden jemals etwas angetan habe, habe ich alles Recht der Welt, Israel zu kritisieren, was ich hiermit tue.”
“Eine unberechenbare, labile Regierung wie die israelische kann sich die Welt jedenfalls nicht leisten.”

Wenn das Volk einer Meinung ist, will auch die Partei “Die Linke” nicht abseits stehen. Deren Bundestagsabgeordneter Wolfgang Gehrcke teilt mit: “Günter Grass hat Recht … Günter Grass hat den Mut auszusprechen, was weithin verschwiegen wurde.”

Am 4. April 1945 starb im KZ Mittelbau-Dora im Alter von 38 Jahren der französische Widerstandskämpfer Jean Burger .

Montag, 2. April 2012 – Neunuhrsiebenundzwanzig, fünfkommanull. Bedeckt.

Am Freitag landet auf dem Dach des gegenüberliegenden Hauses ein Graureiher, rutscht – bedächtig, wie es scheint – die Schräge hinab, bleibt einen Moment auf der Regenrinne stehen, schaut sich um, segelt dann auf die Rasenfläche des Gartens, schreitet hochmütig über den schmalen Weg zwischen den Häusern, erhebt sich schließlich flügelschlagend, um die Enge der Siedlung zu fliehen, ins Offene, den Himmel …

Am Samstag mit dem Mountainbike durch die Stadt. Überall Polizeifahrzeuge, Motorräder, Streifenwagen, zahllose Mannschaftswagen. Im Kaisersack vor dem Hauptbahnhof Fahnen, Menschen, viele dunkel gekleidet, ein Lautsprecherwagen. Breit grinsen wir uns an, als ich überraschend auf Alex treffe. Dann Jutta, die ich frage, wer denn eigentlich aufgerufen habe zu dieser Demonstration. Nun, sagt sie, die reformistischen Kräfte habe man fürs Erste absichtsvoll außen vor gelassen, einfach, um mal zu sehen, wie viele Leute man selbst auf die Beine bringe. Immerhin, einige Tausend sind es geworden, ein Aufgebot, gegen das die Occupy-Aktionen wie ein Streichelzoo wirken. Knallt auch bald. Andrea und Peter sind ebenfalls da, eine Weile sind wir beieinander, verlieren uns aber schließlich. Martialisch, die hochgerüsteten Massen vermummter Polizisten, die in bedrohlich schweigenden Kordons die Straßen säumen. Eine solche Kulisse entschlossener Staatsschützer dürfte die Stadt zuletzt im Mai 1990 gesehen haben – während der “Nie-wieder-Deutschland!”-Demonstration.

Tot seit einem Jahr: Marc Fischer.