Geisterbahn

Donnerstag, 28. Juli 2011 – Zehnuhrachtundfünfzig, achtzehnkommaeins. Wetter? Jeden Tag dasselbe.

Der Publizist Henryk M. Broder, der zu Recht, aber allzu eifrig auf die ideologischen Hintergründe islamistischer Gewalt hinweist, ist von dem norwegischen Attentäter in dessen Manifest mehrfach und ausführlich als Referenz genannt worden. Broder scheint darüber jeden klaren Gedanken verloren zu haben, denn er weist in diesem Fall alle Bezüge zwischen Wort und Tat zurück: “Was aber hat einer, der als Polizist verkleidet Kinder und Jugendliche wie herumfliegende Tonscheiben abknallt? Wie wäre es damit: Spaß am Töten?” Das freilich ist das einzige Motiv, für das es bei diesem offensichtlich intelligenten und kühl planenden Täter weder einen Hinweis, noch gar einen Beleg gibt. Ob er sich keine Sorgen mache, nun in einem solchen Umfeld genannt zu werden, wurde Broder, der sich gerade in England aufhielt, vom Tagesspiegel gefragt. Seine Antwort: “Das einzige, worüber ich mir Sorgen mache, ist, woher ich Ersatzteile für meinen Morris Traveller aus dem Jahre 1971 bekomme. Sogar in England werden die Teile knapp.”

Der gescheiterte und nach einem Jahr scheidende Chefredakteur des Focus sei zuletzt auch von seinen Kollegen fallen gelassen worden, berichtet die SZ. “Das liegt wohl auch daran, dass Menschen, vor allem Journalisten, gerne bei denen stehen, die gerade oben sind”, schreibt Marc Felix Serrao.

Bach ist tot.

Dienstag, 26. Juli 2011 – Elfuhrneunundzwanzig, achtzehnkommavier. Wolken. Prognose: Regen, Regen, Regen.

Wie ruhig und schön diese Tage schwingen. Nach dem Auftritt beim Stoffel das youtube-Video mit Kai Degenhardt und “Weiter draussen”. Am nächsten Tag die freundliche Mail von Kai. Der französische Terrassenabend mit Ute. Am Samstag mit Annika und Rainer in der Maaschanz, während draußen der Regen Blasen wirft, dann in der Harmonie “Nader und Simin”. Und am frühen Sonntagmorgen Paulas Simme von der Île d’Oléron …

Jens Breivik, der Vater des norwegischen Attentäters, ein pensionierter Diplomat, der in Südfrankreich lebt und seit sechzehn Jahren keinen Kontakt mehr zu seinem Sohn hat, steht – wie berichtet wird – inzwischen seit Tagen unter Polizeischutz. Warum brauche ich dann nicht mal eine Minute, um seine Adresse und Telefonnummer heraus zu finden?

Auf Perlentaucher ein langer, kluger Essay von Christina Striewski zum christlichen Fundamentalismus und zur Überwältigungs-Ästhetik in Terence Malicks “Tree of Life”. Unbeabsichtigt liest sich der Text wie ein Kommentar zu den Anschlägen in Norwegen.

Von Götz ein Lichtenberg-Zitat: “Fanatiker sind zu allem fähig, sonst aber zu nichts”.

Lektüre: Nach Heinz Berggruens “Hauptweg und Nebenwege” und dem dümmlich-egozentrischen Buch von Catherine Allegret über das Leben mit ihrer Mutter Simone Signoret und Yves Montand nun Artur Londons “Ich gestehe”.

Heute vor einem Jahr hat Brigitte Schwaiger “den kürzeren Weg” genommen.

Mittwoch, 20. Juli 2011 – Zwölfuhrachtunddreißig, sechzehnkommadrei. Mäßiger Regen, was sonst?

Gestern zusammen mit Komaläufer der Auftritt beim Open-Air-Festival der Stalburg. Irgendwann ist sogar das Wetter egal. Die Leute kommen ja trotzdem. Ist doch sowieso alles ein Rausch. Die Wahrnehmung geschärft und zugleich vernebelt. Ein bisschen wie im Aquarium. So viele Freunde, so viele Gesichter, ein paar Worte da und hier, Leuchten, Lächeln, Lachen, girrender Zuspruch. Man ist selbst nie ganz anwesend und freut sich über jeden, der da ist und verzeiht. Ein alter Mann wird zu den Bänken geführt, er ist unsicher, tappt, das weiße Haupt erhoben, leicht mit den Armen rudernd, er trägt die drei schwarzen Punkte am Revers. Und dann erkenne ich ihn – es ist Kurt; sogar der Genosse Kurt ist gekommen. Und ist jetzt blind. Und kann meine Rosen nicht sehen. Ein guter, sonniger Schub geht aus von diesem verhangenen Sommerabend. Alles grundiert von der lässigen Spannung der Musik. Und immer wieder Hugo, überall Hugo – auf der Bühne, hinter der Bühne, vor der Bühne, mit seiner Fischrassel, auf dem Stuhl in der Künstlerkabine, an seiner Litschi-Bionade nuckelnd, tanzend, trommelnd, Luftgitarre spielend, später schlafend in seinem Kinderwagen. Hugo, über den ich mich schier dummfreuen kann.

Sechzehnter Todestag von Ernest Mandel.

Montag, 18. Juli 2011 – Vieruhrachtundvierzig, dreizehnkommazwei Grad. Beginnt schon zu dämmern.

Weites, offenes Gelände – wie ein riesiges Fußballfeld. Mitten darauf steht ein alter PKW, unter dessen Bodenblech ich mich verkrochen habe. Denn über die Wiese laufen nackte, junge Männer, die sich gegenseitig erschießen. Einer der Jünglinge entdeckt mich, legt sich auf den Bauch und robbt auf mich zu. Bevor er abdrücken kann, erwache ich.
Und schlafe wieder ein.
Nun sitze ich auf dem Beifahrersitz des Wagens. Die Tür steht offen. Eine Frau behauptet, belästigt zu werden von den Männern, die aber nicht mehr zu sehen sind. Geppetto, der zufällig vorbeikommt, soll die Frau beschützen. Als er sich einverstanden erklärt, verlangt sie von ihm, er müsse ihr auch dann beistehen können, wenn sie eine brasilianische Nonne sei. Sofort verwandelt sie sich zu einer Art Sophia Loren in Ordenstracht. Geppetto wirft sich eine Mönchskutte über, legt der Frau den rechten Arm um die Schulter und fasst ihr mit der linken Hand an die Brüste. Die beiden entfernen sich.
Eine andere Frau kommt auf mich zu gerannt. Gut, dass sie mich noch erwische, ruft sie atemlos, ich müsse unbedingt für den Elternbeirat kandidieren. Alles in mir sträubt sich gegen eine solche Vorstellung. Ich fuchtele mit den Armen, stottere, suche nach Ausreden, finde keine und entziehe mich auch dieser Gefahr, indem ich mit dem Schlaf den Traum beende.
Und bin nun wirklich wach. Nebenan gehen bereits die Rollläden hoch. Die Nachbarn verlassen das Haus und steigen auf ihre Räder. Der Tag beginnt.

Gestern die Jubiläumsausstellung des MMK angeschaut: “Zwanzig Jahre Gegenwart”. Erstaunlich, wie viele raumgreifende Belanglosigkeiten in diesen zwei Jahrzehnten zusammen gekommen sind. Beutlers “Outdoor Yellow” – eine variable Spass-Skulptur für den Freizeitpark. Kabakovs “Series of Albums” – kaum mehr als hübsches Briefpapier aus der manufactum-Kollektion. Katharina Fritschs deutungsheischende “Tischgesellschaft” ruft nur noch ein schütteres Achselzucken hervor. Und Balkenhols “Pinguine” sehen auf ihren 57 Stelen aus wie ein Holocaust-Mahnmal fürs Kinderzimmer. Hauptsache harmlos. Dass man trotzdem glücklich und beunruhigt  nach Hause geht, liegt an Isa Genzkens “Oil”, an Clay Ketters “John” und vor allem an Julian Schnabels “The five Graces”, einem der schönsten Stücke der Sammlung.

Vor sechzehn Jahren starb der Radrennfahrer Fabio Casartelli. Bei der Abfahrt vom Col de Portet-d’Aspet in den Pyrenäen geriet er in einen Massensturz und erlag drei Stunden später seinen Kopfverletzungen.

Dienstag, 12. Juli 2011 – Elfuhrneunundfünfzig, fünfundzwanzigkomma- neun Grad. Blauweiß quergestreift.

Zwei Wochen in Kärnten, im Ossiacher Gulda-Häuschen. Viel mit dem Olmo unterwegs. Mit Bernd zwei Mal von Villach aus an der Drau entlang. Die Vermieterin, Frau Jost, bringt Kirschen, Marillen, ein Sträußchen Zitronenverbene. Geräucherte Forellen bei Simone und Leo. Um den Wörthersee herum und über die Tauern zurück. Nach Slowenien, in das Dörfchen Konjsica zum Grab von Stanislava und Carlos Kleiber. Die Holzreliefs im Dom zu Gurk, die das Leben der heiligen Hemma zeigen. Am letzten Tag noch über Tiffen, Himmelberg,  Arriach und Treffen um den Gerlitzen herum. Abends dann am See auf der Terrasse der Stiftsschmiede. Auf der Rückfahrt zwei strahlende Familientage in München, am Steinsee, in den Isarauen – ganz traut, ganz wohlig.

Seltsame Leseerfahrung: Franziska Augsteins „Von Treue und Verrat – Jorge Semprún und sein Jahrhundert“. Ein Buch, das mir mit fortschreitender Lektüre immer besser gefällt, dessen Gegenstand, nämlich Jorge Semprún, mir dabei aber zunehmend fremder und unsympathischer wird, bis ich nur noch einen eitlen, nicht sehr großen Geist sehe, dessen Texte die Grenze zum Kitsch zu oft überschreiten, als dass ich an die Aufrichtigkeit ihres Verfassers glauben könnte. Am Ende interessiert mich Franziska Augstein mehr als Jorge Semprún. Nach seinem Ausschluss aus der Kommunistischen Partei scheint der Spanier den Rest seines Lebens damit zugebracht zu haben, seine Vergangenheit neu zu deuten, sich neu zu positionieren, sich ins Recht zu setzen. Immerhin mache ich noch kurz den Versuch, Semprúns Buch über Yves Montand zu lesen. Aber nein, das ist nicht auszuhalten – sprachlicher Aufputz, nichts als vollmundige Phrasen, stilistischer Machismo …

Dann aber Simone Signorets „Ungeteilte Erinnerungen“ – was für ein Feuerwerk, was für ein Spaß, was für ein Glück. Zwanzig Jahre lang stand das Buch ungelesen im Regal, jetzt gehört es zu den Heiligen Schriften.

Todestag von Slátan Dudow.

Freitag, 24. Juni 2011 – Sechsuhrsiebenundfünfzig, elfkommaneun. Der Himmel: vielversprechend.

Der Künstler Ai Weiwei und die Literaturwissenschaftlerin Birgit Hogefeld sind aus der Haft entlassen worden. Festgenommen wurde nach sechzehn Jahren Flucht James Bulger, der “Pate von Boston”. In Gaston County (North Carolina) hat der bis dahin unbescholtene 59jährige James Verone eine Bank überfallen, lediglich einen Dollar verlangt und sich anschließend widerstandslos abführen lassen. Er hoffe, sagte er, auf eine dreijährige Haft, um im Gefängniskrankenhaus – da er keine Krankenversicherung besitze – sein Rückenleiden behandeln lassen zu können. Aus Franziska Augsteins Biografie über Jorge Semprún ist zu erfahren, dass der spanische Schriftsteller 1992 bei einem Besuch des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald, wo er 1944 und 1945 interniert gewesen war, vor laufender Kamera erklärt hat, es komme ihm vor, als sei er nach Hause zurückgekehrt. Es gebe, schreibt Augstein, sogar ehemalige Häftlinge, die sich erkundigen würden, ob es möglich sei, in Buchenwald beerdigt zu werden.

Die “Sterbekasse der Leichenbrüderschaft Elgershausen 1620 e. V.” hat wie in jedem Jahr das Schützen- und Heimatfest ausgerichet. Diesmal mit dabei: Reiner Irrsinn und die Wild Birds.

Little Tasja ist tot.

Mittwoch, 15. Juni 2011 – Zehnuhrzweiundzwanzig, neunzehnkommazwei. Bewölkt. Neu ist das Wort Blutmond.

Bei Annette und Stefan, viel über Patti Smith, Warhol, Rauschenberg, Julian Schnabel etc. Seitdem noch tiefer im Pop-Universum. Aber so peu à peu wächst auch der Widerwille gegen Warhol. Edie Sedgwick war eines der frühen Wahrhol-Girls, eine haltlose Schönheit aus reichem Elternhaus. Als die Spannungen mit den Factory-Leuten zunahmen, schluckte sie immer mehr Drogen. “Ob Edie wohl Selbstmord begeht?” fragte Warhol. “Ich hoffe, sie gibt uns vorher Bescheid, damit wir es filmen können.”

Lustig die Geschichte, die Patti Smith erzählt. Sie lernte den Drummer einer Folkrockband kennen, stellte sich ihm vor und erfuhr, dass er Slim Shadow hieß. Die beiden freundeten sich an und gingen gelegentlich miteinander aus. Eines Tages lud er sie zum Hummer-Essen ins Max’s ein. Jackie Curtis, eine Bekannte, die am Nebentisch saß, gab Patti Handzeichen, ihr aufs Klo zu folgen. Dort erfuhr die Sängerin, dass ihr neuer Freund nicht Slim Shadow, sondern Sam Shepard hieß.

Jocco Abendroth ist tot.

Samstag, 11. Juni 2011 – Achtuhrnullnull, dreizehnkommafünf. Wolkig. Vom Regen aufgewacht. Spektakel der Sittiche.

Am Nachmittag die Nachricht, dass Birgit Hogefeld nach achtzehn Jahren aus dem Gefängnis entlassen wird. Und wem entsende ich jetzt meinen stummen Gruß, wenn ich an der JVA Preungesheim vorbeikomme?
Mal raus. “Der Oeder Weg ist die schönste Straße in Frankfurt, und im Aroma-Imbiss gibt es die beste Falaffel der Stadt.” Stimmt schon. Aber warum stehen hier so viele junge, geklonte Anzugträger in weißen Hemden und teuren Business-Schuhen? Erdal kommt um die Ecke. Wollen wir Pfingsten mit den Rädern auf den Feldberg fahren? Wir wollen!
Zwanziguhrzwei, Filmforum Höchst, Josef-Emmerich-Straße. Wir sind zu früh. Bier und Wein auf den Treppenstufen. Enge Fahrbahn, alle zweieinhalb Minuten ein Bus. Gewummer aus offenen Autofenstern. Kann man hier wohnen? Man kann einen Film schauen: “Godard trifft Truffaut – Deux de la Vague”. Interessiert nur ein paar Fünfzigjährige. Und ist ja auch schwer zu ertragen, diesem niemals lächelnden, ewig schlecht gelaunten Godard auf die Sonnenbrille zu schauen. Ein Großbürger spielt Stalinist. Es scheint ihm zu behagen, andere demütigen zu können oder wenigstens dumm aussehen zu lassen.
Wieder zu Hause. Angeblich soll Patti Smith in Godards letztem Film mit dem Titel “Film Socialisme” von 2010 mitspielen. Nachschauen …!
Stimmt:
Lalanne: Why did you invite Alain Badiou and Patti Smith to be in your latest film, but ended up filming them so little?
Godard: Patti Smith was there, so I filmed her. I don’t see why I should have filmed her for any length of time greater than I would, say, a waitress.
Lalanne: Why did you ask her to be involved?
Godard: So that there would be one good American. Someone who embodies something other than imperialism.

John Wayne ist tot.

Mittwoch, 8. Juni 2011 – Zehnuhrneunundzwanzig, achtzehnkommanull. Nass.

Die Techniken, sich unbeliebt zu machen, sind zahlreich. Ich scheine die meisten davon zu beherrschen. Es geht mit Lügen so gut wie mit Offenheit. Mit Schweigen so gut wie mit Reden. Aber was ist das für ein unterschwelliger Drang, in der eigenen Umgebung alle paar Jahre abzuräumen? Nicht im ersten, engsten Kreis, aber doch schon im zweiten, weiteren. Platz schaffen. Türen zuschlagen. Das stumme Gehocke beenden, das entsteht, wenn man sich zu lange, zu gut kennt, wenn man mit jedem Wort, mit jeder Geste berechenbar für einander geworden ist. Die Differenz, die schon vorher da war, die vielleicht die Attraktion ausgemacht hat, wird zum Ärgernis. Man muss sie nur ein wenig deutlicher machen, um zu verstehen: jetzt langts!
Wäre es angenehmer, alle könnten sich ein Leben lang entspannt um- kreisen wie Fische, mal näher, mal ferner, irgendwann wieder näher … ?

Vor drei Jahren ist Rühmkorf gestorben.

Samstag, 4. Juni 2011– Sechsuhrfünfundvierzig, siebzehnkommafünf. Strahlend schon jetzt.

Was geschieht, wenn nichts geschieht: Ein Wind kommt auf. Der Uhrzeiger rückt eine Minute weiter. Der Wind bewegt die Blätter. Der Kühlschrank springt an. Der Rettungshubschrauber startet und dreht nach Westen ab. Ein Rosenblatt fällt. Vor dem Fenster geht eine Frau mit Rucksack vorbei. Ein Handwerker sitzt in einem kleinen Lieferwagen und wickelt sein Frühstücksbrot aus. Es beginnt zu regnen. Das rote Standby-Lämpchen leuchtet. Eine Hummel sitzt auf dem Parkett vor der Terrassentür. Das Telefon klingelt. Niemand hebt ab. Es hört auf zu regnen. Ich öffne die Terrassentür und lasse die Hummel ins Freie.

Lektüre: Patti Smith’ “Just Kids”.

Am 4. Juni 1942 starb im Ghetto von Krakau Mordechaj Gebirtig.

Mittwoch, 1. Juni 2011 – Neunuhracht, elfkommafünf. Herbst.

Zum Mousonturm. Charlotte und Atilla winken schon auf der Straße. Das Foyer ist überfüllt. Bier. Annette und Stefan sind auch da, beide so groß und dünn. Wir sind uns einig: So wie die anderen fünfhundert Menschen, die zu diesem Konzert wollen, sehen wir nicht aus, so alt, so von gestern … Aber genau so sehen wir aus. GENAU SO! Patti Smith hat eine Erkältung. Wie immer trägt sie Jeans, weißes T-Shirt, schwarzes Jackett. Sie lacht, sie hustet, sie flirtet, trinkt Tee, krächzt, lutscht Eukalyptusbonbons, entschuldigt sich wieder und wieder für ihre schüttere Stimme. Was für eine umwerfend charmante Hexe. Sie ist vierundsechzig Jahre alt. Sie hält eine kleine Predigt. Dass man auf die Straße gehen muss, dass man seine Stimme erheben muss. Auch wenn es vielleicht vergeblich ist. Use your voice! Und dann fügt sie an: Even such a voice. Lustig. Eigentlich eine gute, einfache Lebensregel. Sag Deine Meinung! Wirf Dich in die Waagschale! Mehr geht nicht, aber das immerhin geht. USE YOUR VOICE! Sie singt: People Got the Power. Wir gehen ins El Pacifico, das es immer noch gibt. Bier. U-Bahn. Regen. Heute erheben wir unsere Stimmen nicht mehr. Heute sinken wir mal nur noch ins Bett.

Aber wo ist der Patti-Smith-Film? Dream of Life. Ich brauche ihn, jetzt, sofort. Aber ich finde ihn nicht, er ist nicht da. Ich bin gerichtet.

Anna Seghers ist tot. Und der Pfarrer Oberlin.