Geisterbahn

Geisterbahn. Tagebuch mit Toten. Roman

Sonntag, 29. Juli 2007 – Vierzehnuhrsechsundfünfzig, achtzehnkommadrei Grad. Windig, wolkig, regnerisch.

Gestern kleine Runde; schwere, schwarze Wolken. Auf dem Heimweg ein Abstecher nach Seckbach, um dort den Friedhof zu suchen. Die erste Frau, die ich nach dem Weg frage, wohnt noch nicht lange hier. Die zweite Frau, deutlich älter, beschimpft mich fast: Sie stehen doch davor! – Ja, aber das ist doch nur der alte Kirchhof der Marienkirche, das sind ja alles uralte Gräber. – Dann weiß ich’s auch nicht; ich bin nicht von hier. – Der nächste, ein alter Mann, weiß es endlich: Die Seckbacher Toten werden auf dem Bornheimer Friedhof beerdigt. Also müßte dort auch Horst Schumann liegen, jener Arzt, der maßgeblich am Euthanasieprogramm der Nazis beteiligt war und der als KZ-Arzt in Auschwitz Sterilisationsversuche mit Röntgenstrahlen durchgeführt hat. Da er als nicht verhandlungsfähig galt, wurde er 1972 aus der Untersuchungshaft in Butzbach entlassen und lebte bis zum 5. Mai 1983 in Seckbach.
Stolpere noch eine halbe Stunde in den bunten Radklamotten über den Bornheimer Friedhof, ohne das Grab zu finden. Und was, wenn er hier gar nicht beerdigt liegt? Und wie kriege ich dann raus, wo?

Lektüre: Joachim Fest, Der Untergang.

Todestag von Cass Elliot, Sängerin, Mitglied von The Mamas and the Papas.

Donnerstag, 26. Juli 2007 – Sechsuhrachtundzwanzig, siebzehnkommasechs. Wird blau heute.

Nachrichten der letzten 24 Stunden: Vinokourov bei weiterer Kontrolle nochmals positiv auf Fremdblut getestet … Fahrer streiken gegen dopende Kollegen … Rasmussen wird ausgebuht … Detonationen entlang der Strecke … Weitere positive Testosteron-Probe bei einem noch ungenannten Fahrer gefunden … Der Sünder heißt: Christian Moreni von Cofidis … Moreni wird festgenommen … Cofidis-Hotel wird durchsucht … Cofidis zieht sein gesamtes Team zurück … Werbekunden meiden die Tour-Berichterstattung bei Sat.1 … Rabobank schmeißt den Träger des gelben Trikots, Michael Rasmussen, raus … Rabobank-Hotel wird durchsucht … Sinkewitz schon fast vergessen …

Warum eigentlich kann ich es nicht lassen? Warum klicke ich alle halbe Stunde die neuesten Nachrichten aus dem Profi-Radsport an? Um der Tour bei ihrem Todeskampf zuzuschauen?

Tot ist Ed Gein, Serienmörder.

Mittwoch, 25. Juli 2007 – Siebenuhrvierundfünfzig, fünfzehnkommaein Grad. Von einer Fensterscheibe im Dachgeschoss gegenüber wird die Sonne reflektiert und blendet so stark, dass ich heute aber auch keinesfalls arbeiten kann …

Der kasachische Rennradprofi Alexander Vinokourov wurde gestern des Dopings mit Fremdblut überführt. Wie sagt man in Frankfurt? “Junge, mach ka Sache!”

Heute vor fünf Jahren starb der Erzbischof von Paderborn Johannes Joachim Kardinal Degenhardt und bescherte damit der Stadt die größte Trauerfeier ihrer Geschichte. In Erinnerung wird er dereinst aber nur deshalb bleiben, weil er ein Cousin von Franz Josef Degenhardt war.

Dienstag, 24. Juli 2007 – Dreiuhrsiebenundvierzig, sechzehnkommaacht, paar Wolken, viele Sterne.

Es ist vollkommen still. Nur dieses sanfte, ferne Rauschen von was weiß ich was. Aber im Haus gegenüber sieht man in einem der Zimmer im zweiten Stock alle zwei Sekunden einen nicht sehr hellen Lichtblitz. Schlafen kann man dabei sicher nicht. Was soll das also? Soll es Einbrechern sagen: Hier ist niemand zu Hause?

Auch lustig, wenn jemand von sich behauptet: “Ich bin der bescheidenste Mensch der Welt.”

Gestern Abend vor Hitchcocks Saboteur eingeschlafen. Das ist mir dann doch zu sehr Agitprop-Kino, unglaubwürdige Twists, Heiligen-Figuren, die jede Wahrscheinlichkeit auf den Kopf stellen, Bekenntnis-Dialoge, Brechtsche Lehrstückästhetik im Dienste des wehrhaften, amerikanischen Patriotismus. – Na komm, so schlecht war der Film nun auch nicht … – Ne, aber eingeschlafen bin ich trotzdem – Ja, aber das tust du doch immer usw.

Peter Sellers ist tot.

Montag, 23. Juli 2007 – Neunuhrelf, siebzehnkommaacht. Bedeckt.

Gerade erst fällt mir auf, dass ich in diesem Jahr erstmals nicht das Sonderheft von ARD und ZDF zur Tour de France gekauft habe. Dabei hatte ich in den vergangenen Jahren schon immer Wochen vor Tourbeginn die Zeitschriftenläden der Umgebung abgeklappert, um wie ein Junkie …

Gestern die schöne Nachricht: “Andreas Klöden zurück gefallen …”

Während der Lesung im Günthersburgpark ging die Auktion des Blumentopf-Stilllebens von Kurt Lauber zu Ende. Einszweidreimeins. Für einen lächerlichen Preis. Und eben finde ich auch noch die Homepage des Fotografen Rüdiger Tantow, der bei Lauber gelernt hat und möglicherweise mehr über ihn weiß als das Netz, das nur äußerst dürftige Informationen bereit hält.

Was eine Zeitschrift von der Intelligenz ihrer Leser hält, kann sich auch in den Fragen offenbaren, die sie ihnen stellt:

Heute vor 99 Jahren wurde in Freiberg die Mörderin Grete Beier öffentlich unter dem Fallbeil hingerichtet. Aus ihrem langen Geständnis: “Ich kann nicht leugnen, dass ich mich zeitweilig als eine Romanheldin betrachtet und damit zeitweilig mein Gewissen beruhigt habe.”

Sonntag, 22. Juli 2007 – Fünfuhrfünf, sechzehnkommaeins.

In der Nachbarschaft bellt ein Hund. Ich werde wach. Der Hund hört auf. Ich kann nicht wieder einschlafen. Stehe auf, schalte den Rechner an, mach mir einen Kaputsch, schlurfe an den Schreibtisch, dämmert gerade erst, recht frisch an den nackten Füßen, weht ein Lüftchen, check die Mails … Is’ aber auch jeden Tag dasselbe.

Vom Nordend mit dem Mazda nach Ober-Mörlen in 25 Minuten. Ja, aber dann schaffen die das mit einem 5er BMW mit Blaulicht und Signalhorn doch in einer Viertelstunde. Oder weniger.
Links MTB-Tankstelle, gegenüber rechts rein in das Wohngebiet. Sportanlagen an der Hüftersheimer Mühle. Auf die Räder. Naturschutzgebiet Magertriften. Linden, Erlen, Wacholder, Schafsgarbe. Ein Schild: Stell dem Wild nicht nach! Hier dann der ausgebrannte Lieferwagen mit der gefesselten, halbverkohlten Leiche auf der Ladefläche. Über den betonierten Feldweg weiter nach Fauerbach vor der Höhe. Vorbei an den Obstbäumen und den silberfarbenen Zwillingstürmen des Hochsilos. Durch den Ort, dann bis Münster kein Auto. Am Ortseingang links, steil hoch bis Wiesental, dort runter, Führerhauptquartier Adlerhorst. Die schmale schöne Talstraße nach Ziegenberg. Ein Reh kreuzt die Fahrbahn. Danke, wie bestellt. Fahrräder anschließen, hoch zum Schloss. Schon schön. Aber überall diese gigantischen Nazibunkerbetonbrocken, aus denen die verrosteten Bewehrungseisen herausragen … Nach Friedberg Eis essen … Heim über die B3 …

Tot ist der Filmregisseur Claude Sautet.

Freitag, 20. Juli 2007 – Dreiuhrsieben, neunzehnkommaacht. Dunkel, aber nicht ruhig. Noch nicht? Nicht mehr?

Aufgewacht, auf die Uhr geschaut. Zweiuhrdreiundvierzig. Nee, oder? Und jetzt. Los, leg dich wieder hin. Da fällt dir doch eh noch nichts ein um diese Zeit. Ja, wirklich, schlafen wär mal wieder schön.

Dass der Fernsehsender SAT.1 seine Nachrichtensparte eingestellt hat, wäre mir nicht aufgefallen und hätte mich nicht gestört. Genau so wenig wäre es mir allerdings aufgefallen und hätte mich gestört, wenn der Sender seinen Betrieb ganz aufgegeben hätte.
Und dass er ausgerechnet jetzt die Live-Übertragung der Tour de France übernimmt, macht ihn etwa so attraktiv, als würde er künftig die Endausscheidungen im Schlammcatchen zeigen.

Todestag von Ernest Mandel.

Mittwoch, 18. Juli 2007 – Siebenuhracht, einundzwanzigkommafünf. Wirklich blau. Ein kleines Wölkchen über der Martin-Luther-Str. 39.

Was war denn da nun los, gestern auf dem Alleenring? Vollsperrung in Richtung Osten, zwanzig, dreißig Einsatzfahrzeuge, Feuerwehren, Notärzte, Polizei. Zwei Männer auf dem Dach, aber sonst nichts zu sehen. Und im Netz ist selbst
fünfzehn Stunden später keine Nachricht über den Vorfall zu finden.

… “unmenschlichste Bedingungen” – Für diesen Superlativ bedurfte es auch erst der Kulturzeit. Aber wirklich amüsant war der Rumpelstilzchen-Auftritt von Rolf Hochhuth. Und die völlige Hilflosigkeit der Moderatorin, mit jemandem umzugehen, der nicht bereit ist, das kulturelle Smalltalk-Einverständnis zu akzeptieren. Von wem stammte noch der Spruch: “Da ging Herrn Hochhuth der Hut hoch”?

Elfter Todestag von Donny the Punk.

Dienstag, 17. Juli 2007 – Vieruhrachtundvierzig, fünfundzwanzigkommadrei Grad. Wie soll man denn bei dieser Hitze schlafen? Oder gar arbeiten?

Gibt es irgend etwas über den Schriftsteller Jörg Fauser zu sagen, das noch nicht gesagt wäre? Wohl kaum. Aber man kann das Gesagte auf niedrigerem Niveau wiederholen und so den Lesern Gewissheit verschaffen, dass es immer noch ein bisschen dümmer geht. Dass der Kolumnist der Bild-Zeitung Franz Josef Wagner dazu bei jedem Thema in der Lage ist, hat er oft bewiesen. Und dass er das jetzt im Spiegel tut, freut mich. Denn damit offenbart der Kulturteil des Nachrichtenmagazins, wo es ihn schon lange hinzieht.
Und weil zwei Seiten zuvor ein Artikel über den Sänger Damien Rice überschrieben wird mit dem Titel: “Dosenöffner der Herzen”, erfährt man auch endlich, was den Hamburger Redakteuren so in der Brust schlägt. Öffnet man deren Dosen, kommt allwöchentlich dasselbe heraus: Futter für die Trottel mit Abitur.
So aber verschafft mir dieser Montag einen ungeahnten Glücksmoment: als ich nun endlich die Kündigung meines Spiegel-Abonnements abschicke. Wo das Ferkel Wagner schreibt, will ich nicht lesen.

Und hier gleich nochmal Wagner, diesmal aus dem Hause amazon: Liebe Kundin, lieber Kunde! Kunden, die sich für “Der Fall Wagner” von Friedrich Nietzsche interessierten, haben “Richard Wagners “Das Judentum in der Musik”” von Florian Görner bestellt. Daher möchten wir Sie darüber informieren, dass “Richard Wagners “Das Judentum in der Musik”” von Florian Görner soeben erschienen ist. Bestellen Sie jetzt Ihr Exemplar!

Todestag von Lovis Corinth.

Montag, 16. Juli 2006 – Sechsuhrachtundvierzig, vierundzwanzigkommazwei Grad. Sonne, paar Wölkchen, mein Lieber …

Ganze letzte Woche: Deportationen, Auschwitz, Sonderkommandos, Todesmärsche …

Aber vorgestern mal endlich wieder eine sonnige Runde durch die Wetterau. Nicht auf die Geschwindigkeit geachtet, also am Ende zufrieden und so erschöpft, als hätte ich nie zuvor auf dem Rad gesessen. Oben auf dem Hühnerberg gibt es rechts direkt neben der Straße einen Parkplatz. Darauf steht ein weißer Kleintransporter mit Anhänger. Auf der Ladefläche liegen ein Mann in Shorts und eine Frau im türkisfarbenen Bikini auf dem Rücken und sonnen sich.

Gestern Finchers Zodiac. Gut gemacht, tolle Schauspieler. Aber am Ende eben doch Leerlauf. Wenn man weiß, dass ein Kriminalfall nicht gelöst wurde, taugt er nur bedingt als Vorlage für einen Film. Jedenfalls für einen Thriller, von dem man verlangen darf, dass er die Gesetze der Erzähldramaturgie befolgt.

Hinterher mit A. und Chr. Heineken und Mojito trinken auf dem Platz zwischen Holzgraben und Bleidenstraße, vor dem ehemaligen Wienerwald. (Hat der eigentlich einen Namen, dieser Platz?) Muskulär aufgerüstete, tätowierte Herren, hochgeschnürte, gestöckelte Dämchen in einer warmen Sommernacht. Vor der uralten Leuchtschrift des uralten Schmuckgeschäfts kreuzen ständig die Cabrios, dumpf röhren die Porschemotoren und rufen: “Guck mal!”. Überhaupt ruft hier alles: “Guck mal!”. Jemand fährt mit einem Fahrrrad vor, dass aussieht wie ein Chopper. Alle gucken. Ein dünnes Dämchen wirft sich in die Titten und führt ihren Pit Bull vorüber. Alle gucken. Tauchte plötzlich die Nitribitt auf, sie würde hier nicht auffallen. War ja auch ihr Revier.

Zweiter Todestag von Dieter Wellershoff. Hatte ich überhaupt mitbekommen, dass er gestorben ist?

Donnerstag, 12, Juli 2007 – Achtuhrvierunddreißig, sechzehnkommanull. Regen.

Am 3. Februar 1998 fand in Los Angeles ein Sicherheitsmann hinter einem leerstehenden Geschäft die halbnackte Leiche der 38jährigen Paula Vance. Die Frau war sexuell missbraucht und anschließend umgebracht worden. Obwohl das Verbrechen von einer Überwachungskamera gefilmt worden war, konnten die Bilder wegen ihrer schlechten Qualität nichts zur Identifizierung des Täters beitragen. Der Fall blieb ungeklärt.
Im Jahr 2001 begann die so genannte “Cold Case Unit” des Los Angeles Police Department sich erneut mit dem Mord an Paula Vance zu beschäftigen. Die am Tatort gefundenen DNA-Spuren wurden ausgewertet und die Resultate in das “Combined DNA Index System” CODIS eingegeben. Am 8. September 2003 erzielte das System einen Treffer. Der heute vierzigjährige Chester Turner wurde des Mordes an Paula Vance und weiteren neun Frauen überführt. Er ist vorgestern zum Tode verurteilt worden.

Vierzigster Todestag des Malers Otto Nagel (nachlesen!).

Mittwoch, 11. Juli 2007 – Fünfuhrfünfundvierzig, dreizehnkommazwei Grad. Regenwolken, schwarzblau.

Gestern Morgen im Fritz-Bauer-Institut. Schon eigenartig, dass das Institut zur Erforschung von Geschichte und Wirkung des Holocaust jetzt in der ehemaligen Zentrale der IG-Farben untergebracht ist. Verirre mich in den Gängen, gerate in die falschen Querbauten, muss wieder runter und wieder hoch, immer mit diesen Paternostern.

Werner Renz, der Leiter der ‘Abteilung Dokumentation’, empfängt mich, führt mich rum, erzählt, zeigt mir Fotos. Er ist freundlich, unglaublich kenntnisreich, konzentriert, ohne Eifer und trotzdem tief beteiligt. Am Ende gibt er mir Kopien mit von den Luftaufnahmen, welche die amerikanischen Aufklärungsflugzeuge 1944 über Auschwitz gemacht haben. Fotos, die erst Jahrzehnte später überhaupt ausgewertet wurden.

Am Abend dann wieder stundenlang in den Tonbandabschriften des Auschwitz-Prozesses gelesen und lange der Stimme Hermann Langbeins zugehört.
Dabei geht mir jenes Foto nicht aus dem Kopf, das mir Werner Renz am Morgen gezeigt hat. Eine Mutter, von der Rampe in Birkenau kommend, geht mit ihren Kindern über die Lagerstraße in Richtung Krematorium – nicht wissend, was ihr Ziel ist.

Heute vor drei Jahren nahm sich Lothar Baier in Montreal das Leben.

Montag, 9. Juli 2007 – Fünfuhrsiebzehn, achtzehnkommaneun. Fast hell. Wolken.

Ende letzter Woche in Kulturzeit die schwedische Jungsband Johnossi mit dem Song Man Must Dance gehört. Seitdem kreist die Melodie im Kopf wie ein Sommergewitter im Tal.

Was soll das eigentlich: eine Tour de France ohne Herbert Watterott?

Markus Lüpertz: “Ich bin der größte Künstler, den ich kenne.” Und immer wieder gibt es Redaktionen, die einen solchen Satz verbreiten helfen.

Petra Roth am Samstag auf der Kundgebung am Frankfurter Römerberg: “Diese Stadt ist die Stadt der Zivilcourage, des engagierten Bürgers, der das Maul auch aufmacht, der auch handelt – ” … und nun kommt er, der schönste Nachsatz seit es engagierte Bürger gibt … “immer im Rahmen der Gesetzgebung.”

Tot ist Wilhelm Kohlhoff.

Freitag, 6. Juli 2007 – Fünfuhrdreizehn, dreizehnkommaacht. Regen? Glaub schon.

Tot ist die elfjährige Bauerntochter Maria Goretti aus Agro Pontino. Am 5. Juli 1902 hatte der 18-jährige Sohn des Gutsbesitzers, Alessandro Serenelli, versucht, das Mädchen zu vergewaltigen. Weil Maria sich wehrte, stach er mit einem Messer auf sie ein. Trotz einer Notoperation starb sie einen Tag später. Schon sterbend verzieh s

ie ihrem Mörder und wünschte sich, ihn im Himmel bei sich zu haben. Serenelli wurde nach 27 Jahren Haft entlassen und trat in das Kapuzinerkloster von Macerata ein, wo er 1970 starb. Maria Goretti wurde heilig

gesprochen.

Donnerstag, 5. Juli 2007 – Fünfuhrsiebenundzwanzig, dreizehnkommaacht. Hell. Frisch. Wolkig. Seit anderthalb Stunden Kopfmüll.

Mengen von Orangensaft. Cappuccino. Mails gecheckt. Aktuelle Nachrichten durchgesehen. Spiegel online. New York Times. Leiche in Bedford Stuyvesant gefunden. Über Scamming auf dem New Yorker Wohnungsmarkt gelesen. Geguckt, ob sich auf dem Lampenmarkt was getan hat. Was ist eigentlich mit Pickton? Mail an Christian. Frau entdeckt in der Kühltruhe ihres Gastgebers zwei Leichen, logisch, in Belgien. Gähnen dient der Gehirnkühlung. Warum Frauen schneller frieren als Männer. Der Krankenschwesternmord in Bayreuth – Wenn schon der Anwalt eines Angeklagten lebenslange Sicherungsverwahrung fordert: “Hier hat die Verwerflichkeit ihren Höhepunkt gefunden”. ebay Suchanfragen. Neue Angebote Ihrer bevorzugten Verkäufer. Papierkorb leeren. Billige DVDs bei amazon. Nee, nix dabei. Überall poppt Bruce Willis auf. Schon wieder ein angebliches Pechstein-Bild in der Versteigerung, und immer fallen ein paar Bieter drauf rein. Könntest dich mal wieder rasieren. Und Friseur? Ja, Friseur! Doch mal in den Radsport geschielt: Petacchi nicht bei der Tour. Klöden fühlt sich erpresst … Ach, Scheiße, halt’s Maul, ich bin schon wieder weg. Mail an Annika. Noch ein Cappuccino … der Tag beginnt …

Heute vor einem Jahr starb an einem Herzanfall der Betrüger, Verschwörer und Freund von George W. Bush: Kenneth Lay.

Mittwoch, 4. Juli 2007 – Vieruhrvierundfünfzig, dreizehnkommaacht. Frisch. Wolkig. Windig. Fast schon hell. Vögel.

In vierzehn von den zwanzig aktuellen Meldungen, die radsport-aktiv gestern unter der Kategorie Profi-Radsport veröffentlichte, ging es um das Thema Doping. Gelesen habe ich weder die einen noch die anderen.

Was macht eigentlich Heike Makatsch? Was macht eigentlich Sophie von Kessel? Was macht eigentlich Anke Engelke? Nicht, dass es mich interessieren würde …

“Sag’ mal, gibt es eigentlich irgend etwas, mit dem du nicht abgeschlossen hast, irgendwas, das dich noch wirklich interessiert …?”

Tot ist Astor Piazzolla.

Dienstag, 3. Juli 2007 – Achtuhrsiebenundzwanzig, siebzehnkommasieben. Wolken.

Statt Nachttischlampe lese ich: Nachtisch-Schlampe.

Genau ein Jahr – von der letzten Tour de France bis zur diesjährigen – haben die Rennradprofis gebraucht, um mein Interesse an ihren Wettbewerben auf Null zu schrauben. Mich interessiert nicht mehr, wer für welche Mannschaft fährt, wer ein Rennen gewinnt und wer wo in den Ranglisten steht. Und schon gar nicht interessiert mich mehr, wer was wann genommen hat. Die Selbstdemontage einer Sportart ist vollzogen.

Gibt es eigentlich etwas, das mehr verblödet als: zu viel Arbeit?

Todestag des grönländischen Schriftstellers Kobuk, der nie geboren worden wäre, wenn es Helmut Qualtinger nicht gegeben hätte.

Montag, 2. Juli 2007 – Siebenuhrsiebenundzwanzig, achtzehnkommazwei. Regen.

Dementi zu den Gerüchten, die durch den Eintrag von Samstag, 30. Juni 2007, ausgelöst wurden: Entgegen allen Vermutungen jener Deutungswilligen, die glauben, jeden Text als Schlüsselroman lesen zu müssen, handelt es sich bei dem genannten A. nicht um Atilla K. (zu dem eine solche Äußerung nicht passen würde) und bei dem ebenfalls genannten St. nicht um Stefan M. (auf den eine solche Äußerung nicht passen würde). Um den Rätselfreunden aber dennoch ihren Spaß zu lassen: Es wurden Nachnamen abgekürzt, nicht Vornamen.
Postskriptum mit den Worten eines gewissen Y. : “Ich habe noch einen anderen Bekanntenkreis.”

Am 2. Juli 1996 nahm sich in Santa Monica Margaux Hemingway das Leben. Durch Selbstmord starben auch ihr Urgroßvater, ihr Großvater, ihr Vater, ein Bruder und eine Schwester.

Sonntag, 1. Juli 2007 – Sechsuhrzweiundfünzig, sechzehnkommasechs. Na klar, Regenwolken

“Berlin (dpa) – Das Bundesarchiv in Berlin hat die NSDAP-Mitgliedschaft der Schriftsteller Siegfried Lenz und Martin Walser sowie des Kabarettisten Dieter Hildebrandt bestätigt. Bei Recherchen über die so genannte Flakhelfer-Generation seien entsprechende Unterlagen aufgetaucht, sagte der zuständige Abteilungsleiter des Bundesarchivs, Hans-Dieter Kreikamp, der dpa. Indirekt zweifelte er Hildebrandts und Walsers Darstellung im Magazin «Focus» an, wonach sie nie einen Mitgliedsantrag unterschrieben hätten.”

Wenn sie doch einfach nur den Mund gehalten hätten, anstatt uns erziehen zu wollen. Oder ihn jetzt endlich halten würden.

Little Joe ist tot.

Geisterbahn. Tagebuch mit Toten. Roman

Samstag, 30. Juni 2007 – Siebenuhrachtunddreißig, fünfzehnkommasechs. Nerv, schon wieder dicke Regenwolken. Wind. Was ist denn jetzt mit Sommer?

Aufgewacht und sofort dem lieben Gott gedankt, dass ich nicht in Berlin lebe.

A. über St.: “Eigentlich ist er sehr charmant, tut aber alles dafür, dass man es nicht merkt.”

“Mit spitzer Feder der Welt einen Spiegel vorhalten, das schafft nicht jeder”. Aber eine solche Vollidioten-Dumpfbacken-Formulierung zu benutzen, schaffte gestern Abend locker und mit links der Nussknacker unter den Kulturzeit-Moderatoren: Dieter Moor – der damit doch eigentlich seine Schuldigkeit getan haben könnte.

Am 30. Juni 1984 starb Lillian Hellman.

Mittwoch, 27. Juni 2007 – Fünfuhreins, zwölfkommavier. Dämmerung, Vögel, Wolken. Siebenschläfer.

“Schuh-City – Wir liefern euch ne heisse Sohle für ganz wenig Kohle. Angesagte Herren innen Leder- Sneaker.
Starten Sie athletisch und top-modern in die nächste Session.
Worauf blickt die attraktive Damenwelt nach Händen und Hintern als nächstes beim Mann? Natürlich auf die Schuhe. Und wenn Sie dann an Ihren Füßen diese topmodischen Herren-Sneaker tragend dann klappt’s auch mit der Nachbarin, mit der Chefsekretärin oder mit den heißesten Strandnixen und Discoqueens.
Was auch in Ihrem Kleiderschrank hängen mag – Franzenjeans, 3/4-Hose, lässige Business-Anzüge oder trendige Stoffhosen – das alles können Sie rausziehen und zu Costa kombinieren. Vor allem in der angesagten Farbe schwarz.”

Und biker-meli hat anzubieten: “Adolf Hittlerportait Gemälde”.

Am 27. Juni 2001 starb nach einer misslungenen Herztransplantation der Napola-Schüler, Designer, Hofbäcker, ehemalige Ehemann von Daphne Wagner und Erika Pluhar, Freund von Oskar Werner, Qualtinger, Hundertwasser … und sechsfache Mörder Udo Proksch (auf dem Foto links; mit Friedensreich Hundertwasser und Hans Neuffer).

Montag, 25. Juni 2007 – Vieruhrzweiundvierzig. Fast noch dunkel. Neunzehnkommazwei. Rasch in die Galeere!

Eine Hütte im Wald, verwahrlost. Im Eingang liegen zwei schlafende Knaben. Weil ich ihren Anblick nicht ertrage, bedecke ich sie mit Laub – als seien sie schon tot. Und weiß sofort, dass ich etwas Unrechtes tue. Dann nähert sich ein Motorengeräusch. Ich beeile mich, unter meinen Wagen zu kriechen. Aber dann steigt schon jemand aus einem dunklen VW-Golf, und ich höre Annika meinen Namen rufen. Mit Herzklopfen aufgewacht.

Tot ist E. T. A. Hoffmann.

Sonntag, 23. Juni 2007 – Sechsuhrdreißig, fünfzehnkommasieben

Gestern Abend Wim Wenders’ alten “Chambre 666”. Na, er sagt es ja selbst; der Film war eine Schnapsidee. Interessanter dann sein Gespräch mit Roger Willemsen, das als Bonus mit auf der DVD ist.

Kurz in “Wetten, dass …”. Dort Dieter Bohlen und sein Zögling Mark Medlock. Zwei Minuten genügen, in mir einen solchen Ekel hervorzurufen, dass ich mich frage, warum es im ZDF keine Kontrollgremien gibt, die verhindern, dass man als Zuschauer mit Kreaturen behelligt wird, bei deren Anblick man sich schämt, zur selben Gattung zu gehören … Schnell wieder an die Arbeit!

Nee, wirklich, da muß sich die Menschenwelt nicht wundern, wenn man nichts mit ihr zu tun haben will, sondern lieber eine Ameise am Strand von Mauritius wäre.

Am 24. Juni 1943 starb im mexikanischen Exil an Herzversagen Otto Rühle. Am gleichen Tag nahm sich seine Frau Alice Rühle-Gerstel das Leben. Weiterlesen … !

Freitag, 22. Juni 2007 – Fünfuhrdreißig, sechzehnkommaeins. Halb und halb.

Am Mittwoch im Autoradio ein Doppelkopf mit dem Psychiater Klaus Dörner. Er erzählt, dass die Euthanasie von der Elite der deutschen Ärzteschaft gegen den anfänglichen Widerstand führender Nazis durchgesetzt worden sei. Man habe – in der Tradition der Aufklärung – das Recht auf selbstbestimmtes Sterben auch für jene gewährleisten wollen, die nicht mehr hätten selbst bestimmen können. Und auch Auschwitz sieht Dörner nicht als Zivilisationsbruch, sondern als einen Höhepunkt der Moderne. Dort seien die Prinzipien Industrialisierung und maximale Produktivität auf das Töten angewandt worden.

Über die documenta. Fridericianum. Ziemlich leer. Wenige Besucher. Leere Wände. Dasselbe wie vor dreißig Jahren. Oder? Nein, diesmal ist alles anders, wie immer. Videomuff. Fotocollagen. Teppiche aus aller Welt. Behauptungen, Beliebigkeiten, Bluff. Dazwischen ein Hauch von Wirklichkeit. Der Zeitgeist fordert eine “neue Politisierung” der Kunst, also bedient man den Bedarf mit leeren Gesten. Politisch? Mein Gott, politisch waren auch die Nazis. Wenn der Mut nicht weiter reicht, als bloß bis ‘irgendwie politisch’ … Viele ratlose Gesichter, die plötzlich zu Leben erwachen, als das Unwetter mit Donner und Blitz über Kassel hereinbricht, Hagel auf den documenta-Pavillon trommelt, das Dach an vielen Stellen undicht wird, schließlich einknickt. Und der Himmel zeigt, was er von der Schau hält. Eimer, Gerenne, Besen, Tücher, hilft nix.

Bettenhausen. Zigeunerlager. Schrottplätze. Noch schnell bei T-Gut eine Ananas für Papa. Bin ja ganz durchgeschwitzt. Richtung Salzmann, alte Textilfabrik. Schimmel, mit Rucksack und Kamera, steht schon da, lächelt mir entgegen. Hast immer noch denselben Gang, sagt er und zeigt, wie ich gehe – breit, rollend. Schöne, versonnene halbe Stunde auf dem Mäuerchen der Tankstelle mit Radeberger und Clausthaler. Und Stefan brieft mich noch, erzählt, dass jetzt die Kreativität und Flexibilität der freien Künstler allen Beschäftigten abverlangt werde, andernfalls man so frei sei, sich von ihnen zu trennen. 200 Jahre Prekariat des Berufskünstlertums als Modell für den Sozialabbau.
Alter Sitzungssaal des Vorstands. Gründerzeitprotz. Lerne endlich Dirk Schwarze kennen, dessen Artikel ich als Jugendlicher immer gelesen habe. Was für für ein nobler, interessanter Herr. Und wie wach, vorsichtig, kenntnisreich er durch den Abend führt … Guter Rotwein. Wo war der noch her? Herault …

Tot ist Susette Gontard.

Donnerstag, 21. Juni 2007 – Dreizehnuhrachtundvierzig, zweiundzwanzigkommaein Grad. Regen, Gewitter, Regen.

Wenn die Mädchen rote Schuhe tragen und sie sagen “Hallo boys”
Wenn die Schule viel zu lange dauert und die Herzen schlagen heiß
Wenn die Mädchen rote Schuhe tragen und der Westwind küsst ihr Haar
Wenn der Ventilator leise summt in der Acapulco-Bar
Dann ist der Sommer da
Dann ist der Sommer da
Und er bleibt das ganze Jahr
Funny van Dannen

Heute vor 17 Jahren starben bei einem Erdbeben im Iran 50.000 Menschen.

Mittwoch, 20. Juni 2007 – Neunuhreinunddreißig, fünfundzwanzigkommdrei Grad. Blau mit Wölkchen.

Heute Morgen schon vor Sonnenaufgang wieder am Schreibtisch, um mich auf die abendliche Veranstaltung zum Thema “Arbeiten als Künstler” vorzubereiten. Es ist halbfünf, und ich lese, gezwungenermaßen, in Paul Lafargues “Recht auf Faulheit” – vollkommen absurd.

“Dumm sein und Arbeit haben, das ist Glück.” – Gottfried Benn

“Wir leben in einem Zeitalter der Überarbeitung und der Unterbildung, in einem Zeitalter, in dem die Menschen so fleißig sind, dass sie verdummen.” – Oscar Wilde

Am 20. Juni 1945 stirbt in seinem Exil in Beverly Hills der Schrifsteller Bruno Frank.

Dienstag, 19. Juni 2007 – Achtuhrachtzehn, neunzehnkommavier. Immer mal wieder Regen.

Verdammt, wenn der Tag schon so beginnt … Da gab es drei Reflex von da Costa – quasi vor der Haustür und quasi geschenkt – und ich lasse mich mitten in der Nacht überbieten.

Vier Meldungen vom selben Tag:
– Neunzehnjährige in München erhängte sich offenbar selbst.
– Drama auf Intensivstation: 17-Jähriger will 76-jährigen Rentner töten.
– Polizei erschießt 19-jährigen Amokfahrer nach Verfolgungsjagd in Speyer.
– Deutsche Jugendliche besser als ihr Ruf.

Am 19. Juni 1953 wurden Ethel und Julius Rosenberg auf dem elektrischen Stuhl im Staatsgefängnis Sing Sing hingerichtet.

Montag, 18. Juni 2007 – Vieruhreinunddreißig, zwanzigkommanull. Noch dunkel, schon Vögel. Regnet’s?

Kleine mühsame Runde. Viel Sonntagsverkehr. Russen: plündern die Kirschbäume auf dem Lohrberg. Ich: helfe mit. Erdbeerfelder: abgeräumt. Klatschmohn: verblüht. Eichhörnchen: plattgefahren. Taube: zerfleddert. Hase: Augen ausgepickt.

An vier Tagen hintereinander ruft jedesmal ein anderer Mitarbeiter des T-Com-Callcenters an, um mir eine gute Nachricht zu überbringen, dass ich nämlich jetzt für noch weniger Geld den noch besseren Call & Surf Comfort Plus Tarif haben kann. Jedes Mal erkläre ich geduldig, dass ich im Moment keine Zeit habe, darüber nachzudenken, aber gerne am Ende des Sommers auf das Angebot zurückkommen werde. Sie wissen alles über mich, sie kennen meine Telefonnummer, sie wissen, wie ich heiße, sie kennen meine Adresse, sie haben meine Telefonrechnung vorliegen. Warum, um Himmels Willen, wissen sie dann nicht, dass sie selbst schon drei Mal hier angerufen haben?

Tot ist der Radrennfahrer André Leducq, der in den Jahren 1930 und 1932 die Tour de France gewann. Bei seinem zweiten Sieg erreichte er das Ziel mit 24:03 Minuten Vorsprung vor dem zweitplatzierten Kurt Stöpel.

Samstag, 16. Juni 2007 – Fünfuhrneunundfünfzig, fünfzehnkommasechs. Schön. Frisch.

Schwäbische Sparsamkeit: Der Besitzer einer Erdbeerplantage aus Donau-Ries ist untergetaucht. Er soll mehr als hundert rumänische Schwarzarbeiter als Erntehelfer eingesetzt und ihnen zum Teil Stundenlöhne von 1,20 Euro gezahlt haben. Aufgeflogen ist der Fall, weil einige der illegal Beschäftigten aus Hunger bei Anwohnern um Essen gebettelt hatten.

Die tägliche Arbeitszeit nähert sich der Sechzehnstundengrenze. Die Verwahrlosung nimmt zu.

Todestag von Nicholas Ray.

Freitag, 15. Juni 2007 – Fünfuhrdreißig, zwanzig Grad. Wolken.

Dummdumm des Tages: “Rosina Wachtmeister ist durch ihre lebensfrohen, ansteckend optimistischen und künstlerischen Arbeiten in aller Welt bekannt. Sie malt und zeichnet, sie erschafft Skulpturen, sie gestaltet, illustriert und schreibt Bücher. Goebel und Rosina Wachtmeister präsentieren in einer einzigartigen Interpretation ihrer Kunst die Serie: Rosinas Sternenwelt. Alle Sternzeichenkatzen mit echten Swarovski Steinen. Sie finden diese Serie in unserem Shop.”

Heute vor zwei Jahren starb der italienische Radrennfahrer Alessio Galletti. Während eines Rennens stieg er an einem Berg in der Nähe von Oviedo vom Rad, fiel um und war tot.

Donnerstag, 14. Juni 2007 – Fünfuhrdreiundzwanzig, neunzehnkommaacht. Regen in der Luft.

Bei ebay stand dieser Tage ein Reiterbild zum Verkauf, das angeblich von Max Liebermann stammt. In den ersten 24 Stunden wurden € 195 geboten. Dann sprang der Preis am 12.06.07 um 16:56:38 auf € 1.000.000.
Signiert ist das Bild nur auf der Rückseite. Und der Verkäufer gibt zu bedenken: “… könnte auch ein Signaturstempel sein!?” Kurz sorgte das Gebot im Forum des Auktionshauses für Aufregung. Dann waren gestern Nachmittag sowohl das Angebot als auch der Verkäufer verschwunden.

Zwölfter Todestag von Rory Gallagher.

Mittwoch, 13. Juni 2007 – Sechsuhrnullnull, siebzehnkommaacht. Grau. Wolken. Regenschwer.

“I am convinced there is only one way to eliminate these grave evils, namely through the establishment of a socialist economy, accompanied by an educational system which would be oriented toward social goals. In such an economy, the means of production are owned by society itself and are utilized in a planned fashion.”
Albert Einstein

Am 13. Juni 1913 starb in Aix-les-Bains der Schrifsteller, Journalist und Politiker Henri Rochefort, der heute vor allem wegen der Porträts bekannt ist, die Edouard Manet und Gustave Courbet von ihm gemalt haben. Rochefort spielte eine aktive Rolle in der Pariser Commune, wurde nach Neukaledonien deportiert, konnte fliehen, entwickelte sich später zum Nationalisten und Antisemiten und war einer der entschiedensten Gegner von Alfred Dreyfus. amazon.de meldet: “Die Suche nach ‘Henri Rochefort’ in Bücher erbrachte keine Treffer.”

Dienstag, 12. Juni 2007 – Fünfuhrsiebenundvierzig, einundzwanzigkommazwei. Himmel regenschwer.

Isst du noch oder kotzt du schon?
“IKEA bittet alle Kunden, die Gläser mit mariniertem Hering gekauft haben, die das Etikett IKEA FOOD tragen und mit dem Mindesthaltbarkeitsdatum 13.02.2008 oder früher versehen sind, diese in ihr IKEA Einrichtungshaus zurückzubringen. Sie bekommen den Kaufpreis erstattet.”

Den Deutschen geht es endlich wieder besser. Wem also geht es dann jetzt schlechter? Ich will nicht, dass es mir besser geht. Ich will, dass es denen, denen es schlechter geht als mir, besser geht. Das würde mich beruhigen.

In der “Welt” ein Text über literarische Gruppen. Geschrieben hat ihn Burkhard Spinnen, der immer und überall mitreden, aber am Ende nie etwas gesagt haben will. Wenn man ihm wohlgesonnen ist, darf man ihn eine brillante Null nennen.

Dazu passend ein Wort von Karl Kraus, der heute Todestag hat:”Ein Feuilleton schreiben heißt auf einer Glatze Locken drehen.”

Montag, 11. Juni 2007 – Fünfuhrsechsundfünfzig, neunzehnkommaein Grad. Grau.

Für den Film:
Raul und die Liebe zur Fußballstatistik.
Auf der Höhe von Kalbach: Blick übers Feld auf die Skyline. Davor die aufgerissene Senke mit den gähnenden Öffnungen dreier riesiger Rohre, die dennoch, auf diese Entfernung, winzig aussehen.
Auf der Eschersheimer Landstraße, stadtauswärts rechte Seite, rechts neben der Shell-Tankstalle: eine wunderbar bunte Wand. Sensationell, wie im Vorspann von Tarantinos Jackie Brown.
Ein Kopf, sonst nichts. Taucht unter, taucht nach viel zu langer Zeit wieder auf – jetzt sind die Haare nass.

Wenn es so würde wie in dem hinreißenden “Prinzessinnenbad”, wäre alles erreicht.

Tot sind John Wayne und Enrico Berlinguer.

Freitag, 8. Juni 2007 – Achtuhrfünfzehn, zweiundzwanzigkommasieben. Windstill. Blau.

Durch die Stadt. Sachsenhausen, Großer Hasenpfad, Südbahnhof, Mainufer, Schauspielhaus – Ich dachte, dieses widerliche, verachtenswerte, abgrundtiefhässliche Eurosymbol vor der EZB sei längst abgerissen.
Dann Römerberg, ein großer Freiluftfronleichnamsgottesdienst, verkleidete Katholiken, Fahnenträger, Ordensschwestern mit Camcordern, Taubstumme, ein Mädchen ohne Schneidezähne, im weißen Kleid, mit weißer Schleife im Haar, mit einem weißen Schuh, der linke Fuß ist verletzt und nackt, hüpft einbeinig über den Platz.

Abends noch eine versonnene Stunde im Park, auf der Wiese, auf dem Rücken, unter einer Platane, mit Wein. Tauben, Hubschrauber, ein Tai-Chi-Mädchen. Bis es dunkel wird.

Schon wieder so ein Anruf: “Sagen Sie, sind Sie der, der unter Pseudonym … Entschuldigen Sie die indiskrete Frage, aber gab es für den Anwalt ein Vorbild … welchen Garten haben Sie denn da gemeint … und das Hotel, gibt es das wirklich … in derselben Bibliothek hab ich fünf Jahre lang gearbeitet … warum wohnen Sie denn nicht in Sachsenhausen … werden Tereza und Marthaler denn irgendwann mal heiraten … wissen Sie eigentlich, dass jemand mit genau demselben Namen in unserer Straße … macht es Ihnen was aus, wenn ich Ihre Nummer einer Freundin weitergebe; die hat nämlich alle ihrer Bücher … Danke für das nette Gespräch.”

Guter Vorsatz: Ich will nicht mehr freundlich sein. Und endlich eine Geheimnummer beantragen.

Ernst Busch ist tot. Günter Amendt hat Geburtstag.

Donnerstag, 7. Juni 2007 – Siebenuhrsieben, zwanzigkommazwei Grad. Schön. Frisch.

Heute vor einem Jahr starb die Schauspielerin und Sängerin Eleonore Zetzsche.

Mittwoch, 6. Juni 2007 – Achtuhrsieben, siebbzehnkommasieben. Wird wieder schön.

Gestern Mail vom Verlag. Holger Weinert will am Abend ein Live-Interview für das hessenjournal zum “Fall Trixi”. Aber ich weiß nichts über den Fall Trixi und bin nicht in der Stadt, sondern …

… auf dem Main, auf der MS Franconia, dem 1. Seligenstädter Literaturschiff, wo ich zusammen mit Silke Scheuermann lese.

“Seligenstadt – Lustvoll Shoppen, Genussvoll Schlemmen”

“Vom Feinsten – Spezialitäten – Genießen + Schenken – ALLES MUSS RAUS”

“Strandgut – Schmuck & Meer”

“Madelaine Princessa-M – La Vie, La Mode”

Noch nie habe ich so viele Menschen auf so engem Raum so viel Eis essen sehen wie hier zwischen Mainufer und Freihofplatz.

Das Boot ist voll, vierhundertfünfzig Leute, alles nett, alles gut. Am Ende vollkommen perforiert. Die Kraft lässt nach. Und das Gehör auch.

Tot ist William Clark Quantrill, Anführer der Quantrill’s Raiders – The bloodiest man in American history.

Dienstag, 5. Juni 2007 – Sechsuhrsiebenundzwanzig, achtzehnkommanull Grad.

Die Kulturzeit-Sendung aus Heiligendamm – ein Eiertanz der Anstaltsinsassen. Wie man so gründlich den Zugang zu diesem Thema verpatzen kann. Die falschen Fragen, die falschen Bilder, der falsche Ton. Immer vor Ort und immer daneben.

Quote of the day: “Als Krimiautor müsstest du mal ‘ne Weile zu mir in die Allerheiligenstraße ziehen. Wenn ich an all die Selbstmorde in meinem Haus denke … Ist halt ‘ne unheimlich lebendige Gegend.”

Tot ist William Sydney Porter, Verkäufer, Cowboy, Bankangestellter, Apothekengehilfe, Gefängnisinsasse und unter dem Namen O.Henry als Schriftsteller bekannt.

Montag, 4. Juni 2007 – Achtuhrneunzehn, achtzehnkommavier. Blau.

Freitag ab nachmittags im Verlag, Autorenstiftung, dann lange über die Zukunft der Filmautoren AG. Am Ende eine kleine Eruption.

Samstag Literaturhaus, Gesellschafterversammlung. Demokratie macht halt doch Spaß. Guter Tag. Dann mit Nina und Rainer über den FILM – beide sind dabei. Freude. Wie oft werde ich das jetzt alles noch erzählen müssen?
Abends Preisverleihung an Harald Bergmann für “Brinkmanns Zorn”. Guter Typ. Und Jochen hält eine Laudatio, die so angemessen, so unprätentiös, so gerecht und erhellend ist, dass sie einen kleinen Glücksschub auslöst. Später mit Eckhard Rohde und seiner Schwester, mit Kerstin Specht und lange mit Kristof Magnusson. Viel Wein. Spät heim.

Sonntag kleine Runde. Auf dem Frankfurter Berg kommt mir Ralf entgegen – mit salzigem Gesicht.

Auf der Bank am Petterweiler Friedhof. Klack, klack, klack, klack, klack. Unsichtbar das Geräusch sich nähernder Absätze auf dem Asphalt. Ein kleiner, weißer Hund kreuzt das Bild. Dann eine junge Frau, untersetzt, straff, frisch, blaues Kostüm. Wendet mir im Gehen kurz den Blick zu, “Hallo”, und – klack, klack, klack, entfernt sich wieder.

Abends Film über den jungen Geiger Sokolov – unerträglich eitel. So jemand kann ein Virtuose werden; Kunst entsteht so nicht.

Erste Reaktion nach den Auseinandersetzungen in Rostock: Manchmal tut es eben weh. Nur Lichterketten und Brot für die Welt werden die Not nicht wenden. Aber gleichzeitig gilt auch Degenhardts: “Lasst nicht die roten Hähne flattern, ehe der Habicht schreit”.

Weil ich mit der Verlinkung dieser Trouvaille keinesfalls bis zu seinem Todestag warten kann, ist Heiner Müller schon heute mal tot.

Freitag, 1. Juni 2007 – Vieruhrvierundfünfzig, vierzehnkommaneun. Dämmerig, Vögel.

Den ganzen Tag geht mir wieder die Helga-Matura-Geschichte im Kopf rum. Aber es gibt nichts über sie im Netz, fast nichts. Nur immer wieder dieses Bild, das Gerhard Richter gemalt hat: Die Matura mit ihrem Verlobten – Rainer Gutherz, hieß der. Wahrscheinlich nach einem Foto gemalt. Wo sind denn die alten gebundenen Stern-Hefte von 1966, die ich irgendwann mal für viel Geld gekauft habe, wo die Geschichten über sie drin waren, über den Mord? Wahrscheinlich im Keller. Und wo ist Peter Kupers Hamlet? Jetzt geht das Gesuche wieder los. Das kann doch nicht wahr sein. Wie oft hab ich das Buch jetzt eigentlich gekauft? Und erst jetzt kommt mir in den Sinn, dass der Kuper natürlich dabei sein muss in unserem Film. Also fang ich an zu schauen, ob ich was rausfinde – Adresse, Telefonnummer … Nee. Selbst die Umkreis-Suche bringt nichts. Einmal Kuper in Gelnhausen, das ist alles. Aber es gibt ja diesen taz-Blog von Jörg Schröder und Barbara Kalender. Ah, tatsächlich, die haben auch eine Kommentar-Maske. Also frage ich: Lebt der Kuper noch? Wo? Adresse? Wäre nett, vielen Dank … Kurz darauf kommt eine Mail. Ja, der lebt immer noch in Frankfurt. Nicht weit von mir. Mit Telefonnummer. Und dann finde ich auch seinen Hamlet und lese darin, bis ich einschlafe. Und jetzt schon wieder seit zwei Uhr …

Vierundzwanzigster Todestag von Anna Seghers.