Geisterbahn

Donnerstag, 31. 5. 2007 – Fünfuhrneunundfünfzig, vierzehnkommasechs. Bedeckt. Hell.

Ein Coup wäre es gewesen, wenn die Polizei den 12 Millionen Euro teuren Zaun um Heiligendamm von Christo hätte bauen lassen und ihn so zum temporären Kunstwerk hätte erklären können.

In der neuen FR ein Gespräch von Arning mit Petra Roth. Dass die Oberbürgermeisterin weiß, wer Helga Matura war, ist immerhin eine Überraschung.

Tot ist die Künstlerin Hannah Höch.

Mittwoch, 30. Juni 2007 – Neunuhrachtundzwanzig, zehnkommein Grad. Sonne. Gut geschlafen.

Gefunden im ebay-Forum “Kunst & Antiquitäten”, geschrieben von porzellan_fein, gestern um 15:52: “du miese, perverse und feige ratte, dich kenne ich und dich werde ich verfolgen, bis man dir das genick bricht, und wenn das d i e nicht schaffen, dann komme ich dahin………und werde dich mit einem gebrauchten tennisschläger erledigen, genau dich. kannst schon mit dem zittern anfangen, du debiles perversling, ich kann nicht nur weinen, ich kann auch zuschlagen, und zwar gewaltig, irre dich nicht, so sicher bist du in deinem rattenloch nicht, monster, satan.”
Feingeister halt, in kultivierter Umgebung.

Gestern am Mittag im Gästebuch der Eintrag von Linder: dass in der Süddeutschen Zeitung ein Nachruf von Willi Winkler auf Wolfgang Bächler erschienen ist. Ein paar Stunden später eine Mail von Jörg mit einem Hinweis auf seinen noch viel schöneren, herzschweren Nekrolog …

… der in seinem myspace-Blog zu finden ist. (“Was also will man mehr? Das Internet funktioniert doch”, schreibt Freund Atilla.) Da stöbere ich nun also herum, höre Jörgs Stimme und lese, dass sein Lieblingsfilm “Beautiful Losers” heißt, ein Porträt über Leonhard Cohen, Marianne Faithfull und Willy deVille. Und ich werde ganz fickerig, weil ich diesen Film eigentlich jetzt sofort sehen muß.

Voltaire ist tot.

Dienstag, 29. Mai 2007 – Zweiuhrsechsundfünfzig, zwölfkommadrei Grad. Regen.

In der Süddeutschen Zeitung vom Wochenende eine Todesanzeige: Ich trage Erde in mir – Wolfgang Bächler, Schriftsteller. 22.3.1925 – 24.5.2007.
Ich hätte gedacht, Bächler sei seit dreißig Jahren tot. Und: Gab es irgendwo in einem Feuilleton einen Nachruf?

Jede Nacht um 3.22 Uhr wird die Zugriffsstatistik dieser Seite aktualisiert. Heute kann ich dabei mal zuschauen.

Tot ist der Filmregisseur G. W. Pabst (“Rosen für Bettina”, “Durch die Wälder, durch die Auen”).

Pfingstmontag, 28. Mai 2007 – Zwölfuhrdreiundfünfzig, dreizehnkommadrei. Nass.

Heute morgen mit dem Team von “Hauptsache Kultur” am Haus der Jugend zum Start der Internationalen 3-Etappen-Rundfahrt der Radjunioren. Thema “Doping”, was sonst. Das alles liegt wie Asche über der Veranstaltung. Publikum ist nicht gekommen. Schon jetzt findet der Sport unter Abwesenheit der Öffentlichkeit statt.

Und wieder hat der Tod sein schwarzes Maul geöffnet. Nachdem sie ihm Ende April ein neues Herz transplantiert haben, ist Stefan am Donnerstag in Berlin gestorben. Es hört nicht mehr auf.

Heute vor vierhundert Jahren starb der böhmische Adelige mit Namen Georg Popel von Lobkowicz.

Freitag, 25. Mai 2007 – Dreiuhrdreiunddreißig, zweiundzwanzigkommaneun Grad. Dunkel, was sonst.

Erik Zabel ist Avantgarde: Der erste Radsportler, der während seiner aktiven Laufbahn zugibt, dass er gedopt hat.

Der Innenminister sagt, er sei: “entsätscht”. Oder ist er nur: verlogen?

Denn es war Wolfgang Schäuble, damals noch Staatssekretär im Bundesinnenministerium, der am 28. September 1977 in einer “Öffentlichen Anhörung von Sachverständigen zum Thema leistungsbeeinflussende und leistungsfördernde Maßnahmen im Hochleistungssport” folgende Stellungnahme abgab: “Wir wollen solche Mittel nur sehr eingeschränkt und unter absolut verantwortlicher Kontrolle der Sportmediziner, also unter ärztlicher Verantwortung einsetzen (…) weil es offenbar Disziplinen gibt, in denen ohne den Einsatz dieser Mittel der leistungssportliche Wettbewerb in der Weltkonkurrenz nicht mehr mitgehalten werden kann.”

In Deutschland werden laut Mitteilung des Bundeskriminalamtes 1653 Kinder und Jugendliche dauerhaft vermisst.

Immer wieder Schostakowitschs Sonate für Cello und Piano mit Truls Mork und Lars Vogt.

Um 4.30 Uhr fangen die Vögel an.

Tot ist der Doppelspion Oberst Alfred Redl.

Donnerstag, 24. Mai 2007 – Zehnuhrfünfundzwanzig, zweiundzwanzig Grad. Blau. Von draußen: “Sex Machine”.

Quote of the day – “Zypries: ‘Geruchsproben haben negativen Beigeschmack.'”

Einer der idiotischsten Autoaufkleber, die ich seit langem gesehen habe: “Tschieses laahfs juuh!”
“Jesus liebt dich” wäre dem bekennenden Christen wohl zu hausbacken vorgekommen. Auch “Jesus loves you” hat sich über die Jahre abgenutzt. Stattdessen werden wir nun behelligt mit einer so dreist-verklemmten Witzigkeit, die mich dermaßen aus der Fassung bringt, dass ich kurz davor bin, eine Sachbeschädigung zu begehen.

Am 24. Mai 1945 beging der Kommandeur der Luftwaffe Robert Ritter von Greim in amerikanischer Kriegsgefangenschaft Selbstmord. Er nahm die Giftkapsel, die ihm Hitler Ende April im so genannten Führerbunker übergeben hatte.

Mittwoch, 23. Mai 2007 – Fünfuhrachtundzwanzig, neunzehnkommasiebebn. Fast hell. Regenschwere Wolken.

Gestern um 7.58 Uhr mit dem ICE nach Hamburg wegen Filmplänen. Ganze Fahrt gearbeitet, nichts gesehen, nichts gehört. Ins Jena Paradies am Baumwall. Frau Bleckmann von Rowohlt, Frau Freyer von der Neuen Deutschen Filmgesellschaft und Christian Görlitz. Görlitz schmeißt das Ganze. Eine Mimik wie Degenhardt. Nach fünf Minuten hat er mich. Bin selten in der Branche einem so wachen, klugen Menschen begegnet. Er entwirft ein Marthaler-Psychogramm, das ich am liebsten mitgeschnitten hätte.
Riesiger Hunger. Wie, hier gibt’s Froschschenkel? Darf man das denn wieder? Nee, oder. Frau Freyer erzählt, dass sie dabei immer an den Cartoon von Tomi Ungerer denken muss, wo die amputierten Frösche in Rollstühlen aus der Küche des Restaurants kommen. Spargel mit Kalbsschnitzel. Gott, ist das wenig!
Das Lokal leert sich. Wir sind alleine. Dann sehe ich aus dem Augenwinkel, wie sich jemand reinschiebt. Schildkappe, schulterlange graublonde Haare, Hakenhase. Na ja, Otto Waalkes. Huscht so durch, drückt sich in eine Bank in die Ecke vorm Klo, macht sich klein. Und verschwindet irgendwann wieder. Verstecken kann der sich wirklich nirgends. Andererseits, wenn man auch in ein Lokal geht, das bekannt dafür ist, das sich hier die Leute von Spiegel und Bauer treffen …

Rückfahrt 16.05 Uhr. Handyterror im Abteil. Ein Henning versucht eine Barbara, eine Henriette und einen John anzurufen. Dreimal erzählt er einer Mailbox, um was es geht: zwei Audits in Leipzig mit der Mitteldeutschen Sparkasse … Wenig später rufen nacheinander Barbara, Henriette und John zurück. Bald habe ich die Geschichte zum sechsten Mal gehört. Aber seine Frau muss Henning auch noch anrufen, um ihr zu sagen, dass der Zug Verspätung hat, dass er morgen nach Düsseldorf müsse, dort klugerweise übernachten solle und danach gleich weiter nach Leipzig, wo er zwei Audits … Mensch, Henning, geh mal wieder Matsche spielen!

Am 23. Mai nahm sich das Leben der Generaladmiral Hans-Georg von Friedeburg, Mitunterzeichner der Kapitualationsurkunde im sowjetischen Hauptquartier in Karlshorst und Vater Ludwig von Friedeburgs.

Dienstag, 22. Mai 2007 – Fünfuhrvierzig, ist nicht wahr, oder: zwanzigkommasieben Grad. Hell. Blau mit Wölkchen.

Bei kleinen Mißgeschicken zu Hause jetzt immer der Reflex: Na, das hat ja bald ein Ende. Als würde ich danach keinen Kaffee mehr verschütten. Als würden keine Krümel mehr runterfallen und die Handtücher nicht mehr nass, wenn man sich mit ihnen abtrocknet. Es ist wirklich die unbedachte Vorstellung, es werde sich wirklich alles ändern.

Am 22. Mai 1980 starb im Alter von 98 Jahren die Schweizer Adelige Louise Elisabeth de Meuron, von der der Ausspruch stammt: “Im Himmel sind wir alle gleich, aber hier auf Erden herrscht Ordnung.”

Montag, 21. Mai 2007 – Dreiuhrfünfundfünzig, neunzehnkommadrei Grad. Dunkel. Seit anderthalb Stunden wach.

Freitag. Unser Hotel liegt in der für den Autoverkehr gesperrten alten Oberstadt von Marburg. Direkt am Markt. Casa di Dingsbums. Italienisches Fachwerk? Bloss, wie hinkommen? Erster Anlauf: Nee, hier ist gesperrt, da quellen schon die ganzen Japaner aus der Idiotengasse, fotografieren den Spiderman, irgendwelche Comicbärchen, dafür reisen die so weit. Zweiter Anlauf: hier nix weiter, hier Sackgasse. Dritter Anlauf: Endlich, ein Polizeiauto mit einem Polizistenpärchen drin. – Nee, hier sind Sie am Schloss, hier geht’s nicht weiter. Aber so genau wissen wir das auch nicht, wir kommen nämlich aus Gießen. – Na prima, vielen Dank für das nette Gespräch. – Vierter Anlauf: Komm, egal, jetzt versuchen wir’s von unten! Einfach rein in die Fußgängerzone! Steinweg, Neustadt, Wettergasse hoch. Gemaule, Proteste, dicke Familien, Franzosen, Touristen, evangelische Birkenstockdamen, blinde Stockklapperer. Dass wir nicht gelyncht werden, ist alles. Da isses. Casa di Dingsbums. – Sie haben Zimmer G. Das ist ganz oben, aber unser schönstes. – Na dann. Römischer Muff an den Wänden. Matratze zu weich. Na ja, okay. Wir gehen ja eh gleich wieder. Aber hier, der Ausblick: Rathaus, Schloss, alte Steine überall. Erst mal bißchen rumlaufen. Neustadt wieder runter. Elisabethkirche. Schöne, gotische Trauer. Neustadt wieder hoch und schlechten Cappuccino vor dem Rathaus. Wieder runter ins Domingo, Tapas, Kaninchen, Fischplatte, Crema catalana, dann Julie Delpys “Zwei Tage Paris” im Filmkunsttheater, ziemlich klamottig, manchmal ganz lustig, aber der Hauptdarsteller karikiert seine Rolle und macht sie dadurch kaputt. Wie heißt der? Keine Ahnung, will ich mir nicht merken. Müde.
Am Morgen dann dieser Gang durch die wirkliche alte Oberstadt, da, wo es keine Geschäfte und keine Touristen mehr gibt, sondern nur Mittelalter und Häuser und Mauern mit kleinen blaurotgrünen Gärten – zum in die Knie gehen …

Amöneburg. Und was soll hier jetzt so schön sein? Keine Ahnung. Wahrscheinlich die Lage. Mmh.
Dann zurück. Nach Goßfelden. Im Otto-Ubbelohde-Haus soll eine Ausstellungseröffnung sein. Liegt außerhalb des Ortes, wunderschön, der Garten … Aber es ist niemand da außer uns, auch der ehrenamtliche Museumswärter nicht, den es hier geben soll, auch nicht die Großnichte des Malers, die hier wohnen soll …
Durch den Kellerwald, über Gemünden, Dodenhausen, Haddenberg, Fischbach kurz ins Schneewittchendorf Bergfreiheit, zurück über Arnsfeld – irgendwo, zwischendurch ein regelrechter Brüder-Grimm-Schock: ein Tal, ein Bach, eine alte Mühle, eine Wiese mit Butterblumen übersät, darauf vier tollende junge Ziegen – Hundsdorf … bis zum Edersee und quer über die Langen Berge nach Baunatal. Wieder Garten, Pflanzen, Blumen, Bäume.

Am Grab.

Gestern die Marköbel-Runde. Und zum ersten Mal in diesem Jahr das Gefühl, nicht diesen Schwächevirus im Leib zu haben.

Jetzt, um 5.10 Uhr, ist es schon fast hell.

Am 21. Mai 1942 wurden Arthur Emmerlich, Kurt Steffelbauer, Johann Gloger und Alfred Grünberg in Plötzensee hingerichtet.

Freitag, 18. Mai 2007 – Zehnuhrnull, zwölfkommavier. Die Heizung ist wieder an.

Gestern “Ray”. Schon bemerkenswert, wie die nordamerikanische Kultur sich alles einverleibt und anverwandelt. Da haben sie alles, was man braucht, um eine aufregende, unkalkulierbare Geschichte zu erzählen: einen schwarzen, blinden Musiker (Ray Charles), einen türkischen Musikunternehmer (Ahmet “Omelette” Ertegün, dessen Vater der Rechtsberater Atatürks war) und einen jüdischen Plattenproduzenten (Jerry Wexler, Sohn eines aus Polen eingewanderten Fensterputzers.) Aber am Ende wird wieder alles auf die immer gleiche rührselige, weiße, patriotische Mittelstands-Dramaturgie herunter dekliniert. Was bleibt: Perfektion, Tränen, Langeweile und, na ja, diese umwerfende Musik.

Tot ist Gustav Mahler

Mittwoch, 16. Mai 2007 – Siebenuhrvierundfünfzig, elfkommavier Grad. Regen.

Was war das nun gestern, außer einem Rausch aus Reichtum und Rhododendron und einem unterirdischen Film mit einer interessanten alten Dame? Ich kau noch dran.

Dass unser Erziehungssystem so verändert werden müsse, dass wir – gemeint ist: Deutschland – wieder eine international konkurrenzfähige Elite aufzubieten hätten, sagt R. – der sich gewiss zur Elite des Landes zählt – in einem Ton, als sei es das Selbstverständlichste. Und ich: verstehe gar nichts. Weiß nicht, wofür eine Elite gut sein soll. Weiß nicht, warum wir, die wir doch sowieso eines der reichsten Länder sind, die anderen Länder immer noch mehr in die Defensive drücken müssen. Weiß auch gar nicht, ob mir nicht ein geschmackvoller Inder lieber ist als ein gut ausgebildeter Deutscher. Warum Elite? Warum nicht Augenhöhe, Demokratie? “Wo was groß ist” sang Degenhardt, “ist es drum herum meist klein.”

Am 16. Mai 2005 starb Rosa Winter (Foto), die als einzige ihrer Sinti-Familie den Holocaust überlebt hatte.
Hingerichtet wurde am 16. Mai 1946 der Chemiker Bruno Emil Tesch, der als Leiter der Hamburger Niederlassung der Deutschen Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung die deutschen Vernichtungslager mit Zyklon B belieferte.

Dienstag, 15. Mai 2007 – Neunuhrneunzehn, dreizehnkommaeins. Bedeckt. Gefühlte Rückkehr des Winters.

Gestern zum ersten Mal Beckmann. Dort ist Boris Becker zu Gast. Jede seiner Gesten, seine Mimik, sein Lachen, sein Zähneblecken, sein Augenzwinkern – all das strahlt eine so abgrundtiefe Verkommenheit aus …
Danach wie ein entgegengesetzter Lebensentwurf die alte Ruth Westheimer. 1928 in Frankfurt geboren, Eltern in Auschwitz ermordet, sie selbst überlebt in der Schweiz. In Palästina zur Scharfschützin ausgebildet, studiert Psychologie an der Sorbonne, geht 1956 in die USA und wird dort in den achtziger Jahren Dr. Ruth, eine der bekanntesten Sexualtherapeutinnen. Beherzt, vital und lebensklug, mit einem Gesicht, von dem man nicht genug bekommen kann. Alles richtig gemacht.

Am 15. Mai 1381 wird der fränkische Raubritter Eppelein von Gailingen hingerichtet.

Montag, 14. Mai 2007 – Zehnuhrvier, achtzehnkommanull. Bedeckt. Allein.

Focus-online meldet: Bei der Groß-Razzia bei militanten G8-Gegnern hat die Polizei nach FOCUS-Informationen in Berlin am Mittwoch Zubehör für Brandsätze mit Zeitzündern, wie „Wecker, Drähte, Uhren und größere China-Böller“ sichergestellt.
In meinem Haushalt würden sich darüber hinaus finden lassen: Feuerzeuge, Grillanzünder, Terpentin, Waschbenzin, explosive Reinigungssprays, hochprozentiger Alkohol, Stricke, Klebebänder, Fleischklopfer, Scheren, Äxte, Sägen, Hämmer, Messer, Bücher …

Gestern einsame 70 Kilometer. Schwach. Tote Igel. Viele Rennradrentner. Nixpassiert.

Heute vor zwanzig Jahren starb an den Folgen der Alzheimerschen Krankheit Margarita Carmen Cansino, genannt Rita Hayworth, eine, wie es heißt, im Privaten äußerst zurückhaltende Frau.

Sonntag, 13. Mai 2007 – Fünfuhrfünfundfünzig, zwölfkommavier, bedeckt, hell, frisch.

Auf dem Rad. Sturm, Regen, Wolken, Sonne. Aprilwetter. Kurz Unterschlupf im Chinesischen Pavillon des Bethmannparks. Hinter mir ein lautes Platschen. Drehe mich rasch um zu dem Teich, wo nun zum zweiten Mal für eine Sekunde ein unglaublich fetter Karpfen aus dem Wasser steigt, nach irgendwas schlappt und platschend zurück fällt.
Zwei Rotkehlchen, nervös, immer wieder jene Stelle unter dem Dachfirst anfliegend, wo sich wahrscheinlich ihr Nest befindet. Aber dort sitzt eine müde Taube, die endlich ihre Ruhe haben will.

In Dietzenbach, auf dem Weg zurück vom Hexenberg, an der Ampel stehend, rechts ein Garten, wieder ein Teich. Was für einen Lärm die beiden fetten Frösche machen, die dort auf den Blättern der Seerose sitzen. Man kann verstehen, das um so etwas Nachbarschaftskriege entbrennen.

Eine Frau mittleren Alters, – Gummistiefel, Barbour-Jacke – will den greisen Retriever, mit dem sie gerade einen langsamen Spaziergang hinter sich gebracht hat, dazu bewegen, in den Kofferraum ihres Kombis zu klettern. Als das Tier keine Anstalten macht, der Einladung zu folgen, schüttelt sie lachend den Kopf, seufzt resignierend und hebt den schweren Hundekörper ins Wageninnere.

Hauptfriedhof: Unter einem gemeinsamen Grabstein die Familien Fuchs und Wolf. Und auf einem Urnengrab der fast unglaubliche Name: Rosa Puff.

Schnell eine große rosafarbene Blüte geklaut und auf das Grab von Beltz gelegt.

Heute vor fünfzehn Jahren stürzte sich die Schriftstellerin Gisela Elsner aus dem Fenster einer Münchner Klinik. Gespenstisch der Besuch in ihrer Wohnung in der Giselastraße 4 in Schwabing, wo sie mir als erstes die Fenster des gegenüberliegenden Hauses zeigte, hinter denen sich angeblich BND und CIA postiert hatten, um sie Tag und Nacht zu überwachen.

Samstag, 12. Mai 2007 – Sechsuhreinundzwanzig, zwölfkommaneun. Hell. Eben noch hat es eine Stunde lang geregnet. Leuchtende Wolkenränder über Seckbach. Guten Morgen, Atilla!

Man sollte ein Anliegen nie nach denen beurteilen, die dafür eintreten. – Hä? Auf welche Marmortafel willst du das denn schreiben? – Na, ist doch wahr, es hat schon so viele Idioten gegeben, die sich für eine gute Sache eingesetzt haben …

Was einen großen Teil der Künstler, Schriftsteller, Schauspieler so langweilig macht, ist ihr mühsam verhohlenes, aber unentwegtes Bestreben, sich auf dem Markt zu positionieren. Bei vielen ist kaum mehr auszumachen, um was es ihnen sonst noch geht. Gestern Abend Dominique Horwitz in “Kulturzeit”, redet über den Bürgerkrieg in Ruanda, dabei zuckt sein Gesicht regelrecht vor Eitelkeit …

Und was, wenn es die einfachste Lösung wäre, die Telekom zu re-sozialisieren?

Egal des Tages: DJ Bobo verpasst das Grand-Prix-Finale.

Tot ist Eugène Ysaye.

Freitag, 11. Mai 2007 – Sechsuhrzweiunddreißig, sechzehnkommneun. Bedeckt. Schweres Reissen in der Schulter.

Philipp Müller, ein einundzwanzigjähriger Arbeiter aus München, nahm am 11. Mai 1952 in Essen an der “Jugendkarawane gegen Wiederaufrüstung” teil. Obwohl die Veranstaltung kurzfristig verboten worden war, fanden sich 30.000 Demonstranten ein. Polzeikommissar Knobloch gab den Schießbefehl. Zwei Demonstranten wurden schwer verletzt, Philipp Müller erhielt eine Kugel ins Herz. Alle drei Opfer wurden von hinten getroffen. Das Dortmunder Landgericht stufte die Schüsse als Notwehr ein.

Donnerstag, 10. Mai 2007 – Neunuhrachtunddreißig, fünfzehnkommasechs. Bedeckt. Trocken.

Aus der Münchner Galerie Bernd Dürr ist die Gouache von Kurt Lauber gekommen. “Liegende weibliche Akte am Strand.” Um 1955.

Tot sind Fritz Wehrmann aus Leipzig, Alfred Gail aus Kassel und Martin Schilling aus Ostfriesland. Sie verließen am 2. Mai 1945 in Svendborg ihr Bataillon der Kriegsmarine, um nach Hause zurückzukehren, wurden aber von dänischen Hilfspolizisten festgenommen und dem Kapitän zu See Rudolf Petersen übergeben. Am 9. Mai, einen Tag nach der Kapitulation, wurden die drei zum Tod durch Erschießen verurteilt. Petersen ließ das Urteil am 10. Mai 1945 vollstrecken. Nach dem Krieg strengte die Mutter von Fritz Wehrmann einen Prozess gegen Petersen an, der wie die beiden Folgeprozesse mit Freispruch endete. Anna Wehrmann starb nach 20 Jahren in einem Pflegeheim in geistiger Umnachtung. Die Mutter von Alfred Gail nahm sich nach dem letzten Prozess das Leben. Kapitän Petersen machte Karriere als Geschäftsmann und beim Militärischen Abschirmdienst. Er starb am 2. Januar 1983. Er überlebte nicht den Schreck, den er bekommen hatte, als ihm Jugendliche am Silvestertag 1982 beim Öffnen der Wohnungstür Feuerwerkskörper ins Gesicht geworfen hatten.

Mittwoch, 9. Mai 2007 – Dreiuhrachtunddreißig, vierzehnkommazwei. Seit fast anderthalb Stunden wach. Stürmisch, nass draußen. Schöne Formulierung: Durchziehende Regengebiete.

Immer eine Freude, wenn jemand die eigenen Götter in Frage stellt. Wie heute im Hifi-Forum der kluge Angriff auf Schuberts Quintett, das ich so ganz unhinterfragt zu meinen Lieblingen zählte. Sofort entsteht Neugier, kommt etwas in Bewegung …

Warum geht mir gerade alles Perfekte, Gestylte, Durchgearbeitete so auf die Nerven? Stattdessen werde ich sofort wach, wenn etwas improvisiert ist – scheinbar nebenbei entstanden, amateurhaft, aus dem Handgelenk.

Kurzer Hoffnungsschimmer, dass das Wettdopen mit Bassos Geständnis ein Ende haben könne. Gestern dann sein kläglicher Rückzieher. Wieder einer, der nur zugibt, was ihm schon nachgewiesen wurde. Jämmerlich.

Tot ist der luxemburgische Radrennfahrer Francois Faber, der 1909 als erster Nichtfranzose und mit 91 Kilogramm als schwerster Fahrer aller Zeiten die Tour de France gewann. Er starb 27-jährig an der Front in Clarency.

Dienstag, 8.Mai 2007 – Sechsuhrzwei, zwölfkommaneun. Himmel: macchiato

Gestern, 12.45 Uhr: Das Mailprogramm gibt mit einem leisen “Plopp” das Eintreffen einer neuen Nachricht bekannt. Eilmeldung der Tagesschau-Redaktion: “Der Bundespräsident hat entschieden, von einem Gnadenerweis für Herrn Christian Klar abzusehen.”
Seltsam, ich bin regelrecht geschockt.

Und was jetzt? Nicht mehr nach Frankreich in Urlaub fahren? Kann ja wohl nicht sein. Sarkotzi.

Todestag von Gustave Flaubert. Könnte eigentlich mal wieder die “Éducation sentimentale” lesen. Zum zehnten, zwölften Mal?
Dort der Satz: “Es gibt Lebenslagen, in denen auch der am wenigsten grausame Mensch so losgelöst von allem anderen ist, dass er ohne Herzklopfen das ganze Menschengeschlecht zugrunde gehen sehen könnte.”

Montag, 7. Mai 2007 – Fünfuhrvier, siebzehnkommafünf. Dunkel. Zwitschern.

Göring bei seiner Festnahme am 7. Mai 1945 zu den amerikanischen Soldaten: “Wenigstens zwölf Jahre anständig gelebt.”

Gestern beim Aufstehen plötzlich das Gefühl, es hänge alles Glück davon ab, dass ich noch heute Iosselianis “Günstlinge des Mondes” sehen kann. Schaue in den ersten Band des alten Pariser Telefonbuchs, das ich mal an der Metrostation Belleville mitgenommen habe. Na klar, hier ist er doch verzeichnet, der Regisseur. Mit Adresse und Telefonnummer: 13, rue Feaubourg Montmartre, 701758. Wenn ich jetzt anriefe, könnte er eine DVD zum Gare de l’Est bringen, und ich könnte sie hier am Hauptbahnhof abholen. Aber nein, natürlich rufe ich nicht an. Sondern steige in den Keller und grabe ihn um. Nichts. Ist nicht da, die VHS-Kassette. Bestimmt vor Jahren verliehen und nie zurück bekommen.

Fahr ich halt in die Wetterau. Fünfzig Kilometer. Forciert.

Hast Du ‘ne Ahnung, wo “Die Günstlinge des Mondes” sind? – Fünf Minuten später: Ja, hier sind sie doch, waren ganz hinten im Regal; aber komm bloß jetzt nicht auf die Idee, dich vor den Fernseher zu setzen, bei dem Wetter, wir fahren jetzt mit den Rädern raus. – Aber ich bin doch heute schon …
Na gut, in die Nidda-Auen. Ins Gras. Auf den Rücken. Unter eine Buche. Schön. Verklebt hinterher vom Harz. Zurück mit einem Schlenker über den Campus. Einmal um den Poelzig-Bau. Nach Hause. Grüner Spargel mit Riesengarnelen. Wo hab ich denn jetzt die Kassette hingelegt? Das kann doch nicht wahr sein, oder? Erneute Suche, halbe Stunde. – Dann: Hier liegt sie, mitten auf dem Tisch, unter den anderen. Schieb sie rein! – Na bitte. Das Glück meines heutigen Lebens ist gerettet. Der Film läuft und ich schlafe fast umgehend ein.

Tot ist Willi Brundert, 1935 in die Sozialistische Jugend eingetreten, Widerstand gegen die Nazis. Nach dem Krieg Professor in Halle, als westlicher Agent inhaftiert, nach der Haftentlassung in die BRD geflohen. Oberbürgermeister von Frankfurt geworden.

Samstag, 5. Mai 2007 – Sechzehnuhrfünfundvierzig, dreiundzwanzigkommasechs Grad. Bewölkt, regenschwer.

Gestern Mittag mit Ati in die Freitagsküche. Immer Scharlottes scharmante Schürzen vor dem Bauch: mit den anderen gekocht, gelacht, getrunken, gegessen. Wenn alles immer so wäre, würde ich nie mehr etwas anderes tun wollen. Als? Als alles! Angefüllt – in jeder Beziehung – um Mitternacht nach Hause, eine Flasche weichen Grappa unterm Arm.

Merken für den Film:
Krähe, wundersames Tier.
Rabe auf einem Leichenwagen.
Ameisen.
“Etwas Besseres als den Tod finden wir überall.”
Ankunft Hecker auf dem Frankfurter Hauptbahnhof.

Heute hat mal jemand Geburtstag: Jean-Pierre Léaud (auf dem Foto zusammen mit Godard).

Freitag, 4. Mai 2007 – Elfuhrfünfzehn, achtzehnkommafünf. Blau. Sonne.

Chr. entdeckt in den Briefen Richard P. Feynmans einen Satz von Niels Bohr: “Drück dich nie klarer aus, als du denkst.”

Dazu Robert Musil: „Stil ist für mich die exakte Herausarbeitung eines Gedankens. Ich meine den Gedanken, auch in der schönsten Form, die mir erreichbar ist.“

Und die Einstein zugeschriebene Äußerung: “Man soll alles so einfach machen wie möglich, aber nicht einfacher!”

Tot ist Gino Bartali, zweifacher Gewinner der Tour de France, dreifacher Gewinner des Giro d’Italia.

Donnerstag, 3. Mai 2007 – Zehnuhreinundfünfzig, fünfzehnkommaein Grad. Sonne. Blau. Gut geschlafen wie lange nicht mehr.

Tchibo, jede Woche eine neue Welt: “Lieber Herr Altenburg, der Sommer regt zum Träumen an. Mit Sommermode für die Schönsten aller Frauen. Luftigleichte Kleidung, die ein frisches Aussehen in den heißen Monaten garantiert. Genießen Sie diese Zeit – Sonnenstrahl für Sonnenstrahl. Moment für Moment.”
Wie soll man da nicht zum Amokläufer werden?

Am 3. Mai 1998 erhängte sich der Schauspieler Raimund Harmstorf, einen Tag nachdem die Bild-Zeitung berichtet hatte: “Seewolf Raimund Harmstorf in der Psychiatrie”. Harmstorf litt an der Parkinsonschen Krankheit und nahm starke Medikamente, um das Leiden vor seiner Umgebung zu verbergen.

Mittwoch, 2. Mai 2007 – Fünfuhrvierundzwanzig, zehnkommanull Grad. Einsetzende Dämmerung.

Gestern gegen drei Uhr aufgewacht. Das wars. Um kurz nach sieben runter. Rad ins Auto, auf Atilla warten. Im Radio Beethovens Streichquartett nach der Klaviersonate op. 14 Nr. 1.
Zum Main-Taunus-Zentrum. Startunterlagen abholen. Vor dem Kinopolis Aufstellung zum Gruppenfoto. Christian, Gerolf, Hilmar sind da. Yvi auf den Stufen, lacht in der Sonne und macht Support.
In die Blöcke. Unglaublich, wie viele verkniffene, wild entschlossene Fressen hier rumstehen. Startschuss um 9.18 Uhr. Ati bolzt los, als wären wir bereits im Schlusssprint. Schon auf der Flachstrecke bis Eppstein merke ich, dass ich das Tempo nicht halten kann. Der Schulberg geht leidlich. Oben hinter der Spitzkehre, wo voriges Jahr ein Fahrer aus der Kurve getragen wurde und gegen eine Hauswand geprallt ist, sind jetzt Strohballen aufgestapelt. Aber direkt dahinter liegt schon wieder einer vor dem Garagentor. Sieht nicht gut aus.
Kurz hinter Eppstein blockiert Atillas Tretkurbel. Und der schwarze Pickup, auf den vorher alle geschimpft haben, kommt jetzt gerade recht. Während der Mechaniker schraubt, textet mich ein Zuschauer voll: dass sein Sohn ja Triathlon mache, dass das Wetter heute ja ideal sei, dass es doch ein Wahnsinn sei, dass es so viele Arten von Ventilen gebe und er schon geglaubt habe, seine Luftpumpe sei kaputt … Logorrhoe. Schaden behoben. Weiter.
Aber schon kurz danach ist Atilla abgezogen und ich allein. Mit all den anderen. Ein paarmal höre ich meinen Namen und das Wort “Ritzel”, ohne jemanden zu erkennen. Oben auf dem Ruppertshainer dann Alex und Tobias, winkend, anfeuernd, fotografierend. Dann kommt die lange, flache Bolzerei nach Frankfurt. Gegen den Wind. Und ich hab’ keine Gruppe. Zieht alles an mir vorbei. Oder ist zu langsam, so dass ich weiter springe. Bei Kilometer 75 bin ich kurz davor aufzugeben. Stopfe alles rein, was in den Taschen ist: Riegel, Banane, Gummibärchen. Und fahre weiter. Am Henninger-Turm ziehen die Juniorinnen links locker an uns vorbei. Großer Hasenpfad – winke Hauptkommissar Robert Marthaler zu, der mit Tereza am Fenster steht. Aber außer mir kann die beiden niemand sehen. Die letzten zwanzig Kilometer suche und finde ich den Windschatten einer leidlich schnellen Gruppe. Lustlos ins Ziel gerollt. Mit einem Schnitt von knapp unter 32 km/h. Der in der offiziellen Wertung wegen Atis Panne nochmal kräftig nach unten korrigiert werden wird. Und schlecht ist mir auch.
Im Auto zurück. Auf der Hamburger Allee tapert uns Jürgen entgegen, finsteren Blickes. Kein Wunder, er kommt ja vom Römerberg. Bis gleich im Albatros! Dort in den Garten…; aber das ist ja ein richtiges Kleinod. Wenn der bei uns im Viertel wäre, würde ich doch noch zum Caféhaus-Literaten werden. Chr. kommt, und gleich geht’s mir besser. Und Ralf ist inzwischen auch dazu gestoßen. Dann an die Strecke zu den Profis: Schloßstraße, Ecke Adalbert. Eine Gruppe von zehn Ausreißern kommt, Sinkewitz dabei. Drei Minuten später das Peleton, angeführt von Jens Voigt, der irgendwas flucht. Weg sind sie.
Und wir rasch in Tobis Wohnung vor den Fernseher. Sinkewitz kommt durch, fährt durchs Ziel, merkt aber nicht, dass er bereits die letzte Runde hinter sich und gewonnen hat. Dann erscheint Marcel Wüst auf dem Schirm; ein Aufschrei geht durchs Zimmer: “Wie sieht denn der aus?” – Wie Costa Cordalis. – “Purer Sex”, sagt Alex. Ja, aber es ist dieser Ballermannfriseusensex. Und Sinkewitz mit seiner Fistelstimme hört sich an wie Willy aus der Biene-Maja-Serie: “Komm, Maja, lass uns über die Klatschmohnwiese fliegen!”

Schon lustig, dass Joseph McCarthy und J. Edgar Hoover den selben Todestag haben.

Jan Seghers liest aus “Die Braut im Schnee”
Eppstein, Sonntag, 22. April 2007, 18 Uhr, auf Burg Eppstein
Darmstadt, Montag, 23. April 2007, 20 Uhr, Central-Station, Im Carée
Frankfurt, Freitag, 25. Mai 2007, 20 Uhr, Luthergemeinde, Martin-Luther-Platz (Nordend)

Geisterbahn. Tagebuch mit Toten. Roman

Montag, 30. April 2007 – Vieruhrachtundvierzig, elfkommasechs.

Nervöses Rumgezackere in den Kunstangeboten. Orlik, Pechstein, eine wirklich schöne Liebermann-Lithografie. Mehrmals auf dem Sprung, dann wieder Rückzieher. Nee, schnell wieder vergessen! Wo soll man das alles hinhängen? – Muss ja gar nicht alles hängen. – Nee, muss man aber auch nicht alles haben. – Aber eine Schönheit ziehen lassen, einfach so …

Dann doch: Eine kleine Gouache von Kurt Lauber. Fünfziger Jahre. Zwei weibliche Akte am Strand. Expressionismus in die Abstraktion getrieben. Kurz vor Auktionsende bietet noch ein Amerikaner mit.

Gestern von Praunheim aus auf den Feldberg, dann Oberhöchstädter Weg zu W. und H.

Tot ist Édouard Manet, den ich, wenn ich nur einen nennen dürfte, nennen würde. Damit es mal gesagt ist.

Freitag 27. April 2007 – Vieruhrsechsundzwanzig, siebzehnkommaacht.

12:37 Uhr: Gerade die Meldung, dass Rostropowitsch gestorben ist.

170 Kugeln in neun Minuten hat Cho Seung-Hui im Hörsaalgebäude von Blacksburg verschossen.

Gott, ist das langweilig, Recht zu haben.

Für das deutsche Fernsehspiel fehlt mir das entscheidende Gen.

Jedesmal diese bodenlose Wut, wenn jemand nicht gut findet, was ich gut finde, weil es gut ist.

Peter-Jürgen Boock war Fürsorgezögling im Beiserhaus in Rengshausen, 15 km entfernt von Atzelrode, wo Achim Meiwes bis zu seiner Verhaftung wohnte.

Ein langes Interview mit der Cellistin Marie-Elisabeth Hecker und zwei Links auf ihre Musik.

Kleines Glück. Bei ebay gibt’s die viel gelobte, aber äußerst rare Aufnahme der beiden ersten Sinfonien von Prokofiev unter Dimitri Kitaenko für € 13,50. Dieselbe Aufnahme wird bei amazon gebraucht für fast 50 Euro gehandelt.

Tot ist Carlos Castaneda, der mich vor fünfunddreißig Jahren entschieden zu viel Zeit gekostet hat.

Donnerstag, 26.4.2007 – Vieruhrsechsundfünfzig, sechzehnkommacht.

ADAC-Motorwelt: “Die neue Lust am Cabrio”.
Welt online: “Die neue Lust am Geldausgeben”.
amazon.de: “Die neue Lust der Frauen. Vom entspannten Umgang mit der Pornographie”.
stern.de: “Die neue Lust am Frivolen”.
mens health: “Neue Lust am alten Job”.
zeit.de: “Die neue Lust aufs Krankenhaus”.
Maggi Kochstudio: “Die neue Lust am Kochen!”
Gartentechnik.de: “Die neue Lust an Schrebergärten”.
abendblatt.de: “Die neue Lust auf Familie.”
St. Maria-Frieden: “Neue Lust am Essen für Patienten mit Schluckbeschwerden”.
viviano.de: “Hormonpflaster für neue Lust”.
ONEtoOne: “Die neue Lust am Alten”.
hr-online: “Die neue Lust am Hören”.
hr-online: “Die neue Lust am Zuhören”.
lernzeit.de: “Die neue Lust am Trivialen”.
Gudrun Markmann: “Die neue Lust am Führen”.
graswurzel.net: “Die neue Lust an der Fahne”.
Focus.de: “Die neue Lust am Nationalstolz”.
Cregg: “Die neue Lust am Ei”.
sexspielzeug-finden.de: “Die neue Lust an der Angst”.
rtl.de: “Die neue Lust am Ekligen”.
tidenet.de: “Die neue Lust am Altern”.
hitflip.de: “Die neue Lust am Jüngerwerden.”
faz.net: “Die neue Lust an schmutzigen Worten”.
Zukunftsinstitut: “Die neue Lust am deutschen Wort”.
bimbel.de: “Die neue Lust am Bein”.
Fahrzeugbau Heinz Böse: “Die neue Lust am Laster”.
VW Crafter: “Die neue Lust auf Last”.
elektro-herbert: “Die neue Lust am warmen Wasser”.
homesolute: “Die neue Lust am Lümmeln”.
Jusos Heilbronn: “Die neue Lust der Jusos”.
Sven Papcke: “Die neue Lust auf Ungleichheit”.
Friseur Erichsen: “Die neue Lust auf Luxus”.
anders-besser-leben.de: “Die neue Lust an der Askese”.
Herder Verlag: “Die neue Lust für Gott zu streiten.”
lust-auf-genuss.de: “Die neue Lust auf Sauerkraut”.
swissmom: “Die neue Lust in der Schwangerschaft”.
gulli:board: “Die neue Lust am Saugen.”
Geisterbahn: “Die neue Lust auf Lustlosigkeit”.

Tot ist Hubert Selby.

Mittwoch, 25. April 2007 – Vieruhrsiebenundvierzig, siebzehnkommanull. Dunkel …, aber wahrscheinlich ist es um vieruhrsiebenundvierzig immer dunkel.

Von Peter Brunner kommt dieser Hinweis: “Also – Josef Dietrich hatte sicher zahlreiche Sympathisanten, ein S t a a t s b e g r ä b n i s hatte er nicht. Das ist – WIKIPEDIA weiß das – ein durchaus formaler Akt, und das Innenministerium zählt auf, wer eins hatte.
Ich denke, da war der eine oder andere Nazi darunter, aber schon die Alliierten hätten einen offiziellen Akt für einen in Nürnberg Verurteilten nicht geduldet. (Was uns dann auch wieder viel zu denken gibt)
Also: Vor dem Einsatz der Waffe der Kritik bedürfen wir immer der Kritik der Waffen…!”
Warum macht mich dieser RAF-Hype so misstrauisch? Wer muss da eigentlich was mit wem ausmachen? Es bleibt der Verdacht, es gehe allein darum, dass das Bürgertum seine aus dem Tritt geratenen Sprösslinge heim ins Reich holen will – um endlich Frieden mit sich zu schließen. So wäre ein Gnadenerlass eben auch ein Akt der Selbstgerechtigkeit. Und damit ein zweiter Sieg.
Aber nein, ich will das alles nicht bedenken; es geht mich nichts an. Wie es die Linke auch damals nur insofern etwas anging, als jede Aktion der RAF immer der Gegenseite genutzt hat. Die Entdifferenzierung war gelungen; die Bevölkerung hat nicht mehr unterschieden: “Es war doch einer von euch, der da hinten auf dem Motorrad gesessen hat”, sagte ein Onkel nach dem Attentat auf Buback.

Ginger Rogers ist tot.

Dienstag, 24. April 2007 – Siebenuhrneunundzwanzig, achtzehn Grad. Bedeckt.

“Words are things”, hat Lord Byron geschrieben. In nächster Zeit mal ausprobieren, diesen Gedanken.

Mag ja sein, dass es Geisteskranke unter allen Umständen gab, gibt und geben wird. Die Frage ist nur, was die Umstände aus ihnen machen? Hätte in einer weniger individualfixierten, waffenverrückten, aufstiegsorientierten Gesellschaft als der amerikanischen – sagen wir auf Sardinien im 19.Jahrhundert – aus Cho Seung Hui nicht auch ein harmlos-bestusster Ziegenhirt werden können? Und warum fragt sich das niemand?

Gestern Lesung in der Centralstation, Darmstadt. Riesiges Backsteingebäude, das ehemalige Hauptdepot der Straßenbahn. Sieben Buchhandlungen haben sich – gegen die Übermacht von Habel und Thalia – zusammen getan: Die Gewerkschaft der Einzelnen, so muss es sein. Und Brigitte ist wirklich gekommen; ich freue mich riesig. 160 Leute. Alles rund. Hinterher esse ich meinen Nachbarn die Tapas weg, weil ich irgendwas nicht richtig kapiert habe. Kurz nach Mitternacht zu Hause. Tot.

Am 24. April 1966 starb Josef Dietrich – Fleischer, Polizist und Befehlshaber der Leibstandarte Adolf Hitler, fanatischer Nazi bis zu seinem Tod. An seiner Beerdigung auf dem Neuen Friedhof Ludwigsburg nahmen 7000 Menschen teil. Es handelte sich um ein Staatsbegräbnis. Ministerpräsident von Baden-Württemberg war damals Kurt Georg Kiesinger, der im selben Jahr Bundeskanzler wurde.

Montag, 23. April 2007 – Siebenuhrachtunddreißig, zwölfkommasechs. Hell. Wird wieder warm.

Gestern bei Beltz am Grab. Dann bei Heinz-Herbert Karry vorbeigekommen. Dann an einem Grabstein, unter dem gemeinsam die Familien Kalbfleisch und Bauch liegen.

Fünf Mal die Röhrborngasse hoch. Ein Dicker in Jogginghose und Schlabber-T-Shirt steht auf seinem Balkon. Als ich zum dritten Mal vorbeikomme, schüttelt er noch den Kopf. Beim vierten Mal schimpft er: “So ein Idiot, bei dieser Hitze …” Beim fünften Mal ist er verschwunden.

Abends in der Kemenate auf Burg Eppstein. Das Wetter, diese Landschaft, die Mauern, die Leute … Allein, das Wort Kemenate zu schreiben … Darf ja auch mal irgendwas rundum schön sein.

Zweiunddreißigster Todestag von Rolf-Dieter Brinkmann.

Sonntag, 22. April 2007 – Fünfuhrachtundzwanzig, neunkommanull. Dunkel.

Hinter dem Gefängnis in Preungesheim, wieder mal im Ruderal. Zwischen den alten Mietskasernen und einem Neubaugebiet ein asphaltierter Weg, für Autos unpassierbar gemacht, mithin für wertlos erachtet. Ein kleines Müllparadies. An den Rändern Brombeerhecken, Brennnesseln, Holunder. Falter schaukeln, Blüten fallen schräg, schwarzrote Käfer auf dem Boden, der mit Abfällen bedeckt ist. Leuchtend weiße Eimer mit Farbresten, Plastiksäcke, aus denen alte Tapetenreste quellen, Scherben, Hundescheiße. Auch benutzte Präservative, hier, wo man allenfalls im Stehen vögeln kann. Warum auch nicht.
Dann ein Feldhase von rechts, macht Halt, lauert, kippt auf die Hinterläufe, stellt die Ohren auf, lauscht. Was will er hier, an diesem verkommenen Ort in der Stadt? Was will ich hier? Im Dreck in der Sonne?

Eine halbe Stunde später in der Wetterau: Petterweil, Stadt Karben. Wie oft bin ich schon an diesem Stein vorbei gekommen, der in dem lichten Hain gegenüber dem Friedhof steht. Ein Kriegerdenkmal, dachte ich, was sonst.
Gestern bleibe ich zum ersten Mal stehen und lese: “Hier sprach zum Volke Robert Blum”. Geboren 1807 in Köln, Revolutionär, Demokrat, Mitglied der Nationalversammlung von 1848, in Wien von den Kaiserlichen zum Tode verurteilt und erschossen.
Wieder zu Hause erfahre ich, dass dieses Dorf sich etwas zugute hält auf seine widerständige Tradition: Nest der Aufständischen schon in den Bauernkriegen, Schwerpunkt der Hexenverfolgungen, in Vormärz und 48er Revolution Heimstatt und Zuflucht der Demokraten. Und sehr viel später dann, als Zeichen gegen die Eingemeindung, die umgestalteten Ortsschilder: “Peterweil statt Karben”.

Aber der Titel dieses Celan-Gedichtes ist doch wirklich schön, oder: “Bahndämme, Wegränder, Ödplätze, Schutt”.

Vor fünf Jahren starb Linda Lovelace.

Freitag, 20. April 2007 – Fünfuhrneunzehn, elfkommaein Grad. Dunkel. Seit einer halben Stunde wieder das dröhnende Gewummer des Subwoofers aus der Wohnung über uns.

Dass Michael Moore ein verdächtig großmäuliger Medienmann ist, hat jeder, der es merken wollte, merken können. Dass er die Wahrheit allzu oft an die Pointe verkauft, hat ihm jetzt seine kanadische Kollegin Debbie Melnyk in einem Dokumentarfilm nachgewiesen. Damit dürfte dieser Fall erledigt sein. Und die Ahnung zur Gewissheit werden: Dass die Methoden der Schurken nicht geeignet sind, die Schurken zu entlarven. Eine linke Bildzeitung kann es nicht geben.

In der Galerie Sperl eine Ausstellung des nahezu vergessenen Bernhard Klein, eines Mitbegründers der “Novembergruppe”.
Und gerade wird ein Großteil seiner Gemälde, Aquarelle und Zeichnungen bei ebay verkauft.

“Was als ‘Die moderne Kunst’ nach 1945, ehemals von Europa ausgegangen, als eine Rückwelle von Übersee zu uns zurückkehrte, nachdem Amerika daraus ein imponierendes Riesen-Brillant-Feuerwerk der abstrakten Malerei veranstaltete, nahm seinen Anschluss nicht bei etwa 1930, sondern bei den expressionistisch-abstrakten Grundlagen der Jahre vor dem ersten Weltkrieg. Die Auswirkung der 20er Jahre müsste, wenn überhaupt, noch erst kommen.” Bernhard Klein, 1966

Heute vor 16 Jahren verbrannte Steve Marriott in seinem Haus in Essex.

Donnerstag, 19. April 2007 – Vieruhrfünf, achtkommafünf. Dunkel.

“Man darf die Mehrheit nicht mit der Wahrheit verwechseln”, soll Jean Cocteau gesagt haben.

Gestern in der Frankfurter Rundschau ein Interview von Peter mit dem Medienwissenschaftler Joseph Vogl zum Phänomen “Amok” – der einzige Text, der nicht in das immer gleiche haltlose Gestammel einstimmt. Ansonsten: auf CNN, Foxnews etc. nur ein Schwall von Tränen, verwackelten Bildern, falschen Tönen, falschen Fragen, Spekulationen. Die Fernsehsender sind schnell – ansonsten sind sie: nichts.

Sehr geehrte Christine Adelhardt, ARD-Auslandskorrespondentin in Washington! Der Schütze von Blacksburg hatte möglicherweise psychische Probleme; “psychologische Probleme” – auch wenn Sie es noch so oft wiederholen – hatte er nicht.

Doch, es gibt den heiligen Mittwoch noch.

Tot ist George Gordon Noel Byron, 6. Baron Byron of Rochdale, genannt: Lord.

Mittwoch, 18. April 2007 – Sechsuhrzehn, neunkommasieben. Dämmerig.

Bergtraining in Bergen. Komme dreimal mit Mühe die Röhrborngasse hoch. Das war’s dann aber schon. Muss noch werden.

An der Ampel neben mir ein junger Mann, ebenfalls auf dem Rad, kopfschüttelnd. In der Nähe eine Gruppe Schülerinnen. Ich frage den Mann, was los ist. “Ach, die Mädscher! Die mache misch ganz dorschenanner.”

Den ganzen Tag die Nachrichten über den Amoklauf von Blacksburg – Spiegel online, CNN, Foxnews … Spektakulär ist nur die Zahl der Opfer. Ansonsten dasselbe Muster wie immer. Ein Langweiler gibt sich den letzten Kick.

Todestag von Christian Hofmann von Hofmannswaldau: “Der schultern warmer schnee wird werden kalter sand”.

Dienstag, 17. April 2007 – Dreiuhrachtundzwanzig, sechzehnkommanull Grad. Dunkel.

Jetzt also doch: Knut ist tot.

Die verspätete Todesanzeige aus der deutschsprachigen Ausgabe des norwegischen Dagens Aftenbladet vom 17. April 1952.

Montag, 16.April 2007 – Sechsuhrvierzehn, sechzehnkommanull. Dämmerig.

Gestern um 8.30 Uhr an der Deutschen Bibliothek. Atilla kommt, sonst niemand. Ein Frühling wie Sommer. Über Heddernheim, Praunheim, Niederursel aus der Stadt. In Oberursel: eine U-Bahn hupt uns an. Der Fahrer ruft irgendwas durch sein Mikrofon: verkehrswidriges Verhalten … Stimmt. Feldberg hoch. Runter ins Tal bis Schmitten. Hoch nach Seelenberg, na ja, die ganze alte Hügelrunde: Glashütten, Schlossborn, Ruppertshain, Königstein, und wieder auf den Feldberg. Reichlich PS-Faschisten unterwegs. In Glashütten Überfall auf die Tankstelle: Cola Lemon light, Laugenstangen, Lakritz, Hauptsache “L”. Der letzte Anstieg hört nicht auf. Wenn Ati nicht wäre, würde ich umkehren. Aber so: Geschafft. Kurz glücklich. Muskeln schreien. Hundert Kilometer. 1770 Höhenmeter.

Abends bei Rainer und Annika. Käse, Salami, Brot Wein. Wie schön, wie entspannt. Zwei Mitbewohner sind da. Er hat einen Film über den Mordfall “Tristan” gemacht; sie bildet Flugbegleiterinnen für die Condor aus. Muss man dabei was vorführen? Wär das was für den Film? Eine Stewardess, die Trockenübungen macht?

Heute vor einem Jahr starb Schnuckenack Reinhardt.

Sonntag, 15. April 2007 – Sechsuhrachtundfünfzig, fünfzehnkommazwei Grad. Hell.

Nicht vergessen: diesen deutsche Morgen am Karfreitag. Alles sah nach Caspar-David Friedrich aus. Hinter uns der Mond, vor uns die aufgehende Sonne. Im Lahntal der Nebel, die Kirchtürme und Zinnen, die daraus auftauchen und einmal auf einem kleinen Hügel ein mächtiges Gipfelkreuz, das dann doch ein Strommast ist. Und an den Rändern der Autobahn im Zwielicht lange nicht zu erkennen, ob das helle Glitzern in den Büschen nun Rauhreif ist oder ob es die Blüten des Weißdorn sind.

Nicht, dass eine 17-jährige in Minnesota ihr Neugeborenes getötet hat, ist die Meldung, sondern dass sie es mit 135 Messerstichen tat. Und dass ein Gerichtsmediziner die Wunden zählen mußte.

Am 15. April starben: Robert Musil, Jean-Paul Sartre, Jean Genet, Greta Garbo, Joey Ramone.

Samstag, 14. April 2007 – Siebenuhrsechsunddreißig, fünfzehnkommavier. Hell.

Die Magnolie steht im frischen Grün der neuen Blätter. Die Blüten sind – bis auf ein paar wenige – abgeschüttelt.

Am Abend Altmans “Last Radio Show”. Selten einen so entspannten Film gesehen. So gelassen in der Nähe des Todes. Am längsten in Erinnerung bleiben wird mir wohl das Duett mit den schlechten Witzen. Und das Motto des Detektivs, der ausgerechnet Noir heißt: “Immer schön am Rand bleiben und die Augen offenhalten!” Und der unglaubliche Garrison Keillor.
Später dann zuhause noch das heutejournal und am “Kriminaldauerdienst” hängengeblieben. Was für ein Kontrast. Bei Altman eine respektvolle Hinwendung zu den Figuren und hier … huh, dieses schamlose Hineinkriechen, dieses Bloßstellen, diese Tchibo- und Duschgel-Ästhetik, aufgemotzt mit Wackelkamera. Andererseits: die Außenaufnahmen sind oft so ungewöhnlich, dass man aufmerkt … Naja, bestimmt besser als das Meiste …

Und wer ist tot? Hermann Etzel – nie gehört. Deutscher Politiker, Jurist, Mitglied der Bayernpartei. Von den Nazis zwangspensioniert, Gründer der Bamberger Symphoniker, Mitherausgeber der “Blätter für Deutsche und Internationale Politik”. Wollte die Todesstrafe wieder einführen.

Freitag , 13. April 2007 – Fünfuhrdreizehn, vierzehnkommavier Grad

Die Einwände: “Aber das stimmt doch gar nicht, du warst doch dann und dann gar nicht dort, sondern hier. Und warum hast du da nichts drüber geschrieben? Außerdem war A. nicht dabei. Und B. hat das doch gar nicht gesagt.” Freilich, das gehört zu einem Blog-Roman dazu: das Spurenverwischen, die Camouflage, das In-andere-Häute-schlüpfen. Die Lüge. Womöglich: um der Wahrheit willen.

Der Ministerpräsident von Baden-Württemberg Günther Oettinger: “Hans Filbinger war kein Nationalsozialist. Im Gegenteil: Er war ein Gegner des NS-Regimes.”
Vielleicht möchte Günther Oettinger ja dem Israelischen Obersten Gerichtshof vorschlagen, Adolf Hitler posthum den Ehrentitel eines “Gerechten unter den Völkern” zu verleihen.

Völlig gaga ist allerdings die Forderung des Grünen-Politkers Fritz Kuhn, der Oettinger aufforderte, seine Äußerungen zurückzunehmen.

Tot: Christian Stock, der Zigarrenarbeiter in Pfungstadt war und später der erste gewählte Mininsterpräsident von Hessen wurde.

Donnerstag, 12. April 2007 – Fünfuhrdreizehn, elfkommasechs Grad. Seit vier Uhr wach. Kopfschmerzen, viele Gespenster.

Einbruch aller Quoten während der Ostertage.

Lektüre: Quer durchs Netz die Sachen über den BTK-Strangler Dennis Rader. BTK – bind, torture, kill. Und gerate schließlich an eine Sammlung mit Video-Streams seiner Geständnisse vor Gericht. Schon seltsam, einen Serienmörder über seine Taten reden zu hören, seine Gestik und Mimik anschauen zu können. Und er wirkt tatsächlich wie jeder durchschnittliche, amerikanische Mittelstandsspießer. Erzählt von den Morden in einer Weise, die man ‘aufgeräumt’ nennen könnte.

Und auch noch Elizabeth George “With no one as Witness”. Lese mich zwischendurch immer wieder im Wörterbuch fest.

Heute verbindet man sie so sehr mit ihren Auftritten in den zwanziger Jahren, das man gar nicht glauben will, dass sie erst am 12. April 1975 gestorben ist: Josephine Baker, Unterstützerin der Resistance und der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, Adoptivmutter von zwölf Waisenkindern unterschiedlicher Hautfarbe, sechsfache Ehefrau, Schlossbesitzerin, Tänzerin, Sängerin. Begraben in Monaco. Warum eigentlich in Monaco? Stöbern im Netz … Ah, hier: Sie war befreundet mit Grace Kelly, die ihr ein Appartement zur Verfügung stellte, als sie Chateau des Milandes verkaufen musste … Ob es wohl irgendwo ein paar Videos mit den Tänzen der Baker zu sehen gibt? Ja, klar, hab sie schon gefunden.

Donnerstag, 5. April 2007 – Fünfuhrachtundfünfzig, fünfkommaeins. Dunkel. Das Rätsel ist gelöst. Der Mopedfahrer, dessen Motor ich jeden Morgen höre, ist der Zeitungsausträger.

Mehr Blicke in die Hölle als man ertragen können muss, versammelt die Seite rotten.com.

Im Homicide Report der Los Angeles Times wird laufend über die Morde in der Stadt berichtet. Um die Vielzahl der Fälle übersichtlicher zu machen, wird jedes Mordopfer auf einem Stadtplan mit einem so genannten Reiterchen versehen. Braun sind die Fälle aus dem März 2007 markiert, schwarz die Fälle aus den Monaten Januar und Februar. Klickt man eines der Reiterchen an, so erfährt man den Namen des Opfers und die Umstände seines Todes.

Abends Ozons “Swimmingpool”. Warum muss man einen ansonsten so fein ausbalancierten Film durch so viel keimfreie Nacktheit und schließlich noch durch einen Mord aus dem Gleichgewicht bringen? Freilich, bei Almodovar würden diese Einwände nicht gelten.

Drei Tote gab es am 5. April 1986 beim Anschlag auf die Diskothek LaBelle in Berlin-Friedenau.

Mittwoch, 4. April 2007 – Neunuhrvierzig, siebenkommadrei. Grau.

Gestern um halbsieben Treffen mit Chr. vor dem Va Piano am Goetheplatz. Gott, ist der Laden voll. Am Eingang sitzt eine Frau hinter einer Kassenfestung und verteilt Plastikkärtchen. Sie ist freundlich, aber von dieser glatten, teilnahmslosen, amerikanischen Arschlochfreundlichkeit, die dich im Zweifelsfall mit einem Lächeln den Securityleuten übergibt und die sich jetzt überall im Dienstleistungsgewerbe breitgemacht hat. Ja, verstehe, so sind sie hier alle. Und jetzt? Jetzt mußt du dich anstellen. Wo? Kommt drauf an, was du willst. Pasta oder Pizza. Ich will aber lieber Döner. Gibts hier nicht. Okay, also Pasta, auf keinen Fall will ich heute Pizza. Aber ich steh und steh vor der Pasta-Theke, und die Schlange wird und wird nicht kürzer. Also? Also nehm ich doch Pizza. Welche soll’s denn sein? Was weiß ich, geben Sie mir halt die Salsiccie. Jetzt wird der Betrag in meinem Plastikkärtchen gespeichert, und ich bekomme eine Art Tellermine, ein kleines Ufo mit ganz vielen kleinen, roten Lämpchen, die irgendwann leuchten werden, wenn die Pizza irgendwann mal fertig ist. Nächste Theke: Zwei kleine gemischte Salate, bitte. Mit Balsamico-Dressing oder mit Rucola-Senf-Dressing? Balsamico, bitte. Und dann spritzt die Dame aus einer großen Plastikflasche diese Flüssigkeit auf die zarten Salatblättchen und auf die sowieso schon zermatschten Cherry-Tomaten und hört gar nicht mehr auf zu spritzen, bis alles schwimmt und ertränkt ist in dieser verdammten viel zu süßen Balsamico-Soße. Ihr Kärtchen, bitte. Ach so, ja. Dann setzt man sich an einen Tresen, der viel zu hoch ist, auf einen Barhocker, der viel zu weich gepolstert ist, so dass einem schon nach kurzer Zeit der Rücken wehtut, und dann wartet man und wartet und wartet – bis irgendwann endlich dieses Scheiß-Ufo leuchtet und man sich wieder durchdrängeln muss, um seine Pizza zu holen, die viel zu hart gebacken ist, so dass man sie mit diesem stumpfen Messer gar nicht schneiden kann, sondern sie stattdessen zerreißen muss. Ach, verflucht. Komm, ich bin satt, gehen wir! Ja. Aber erst noch in die Schlange stellen und warten, dass man zahlen darf bei der Kassenlächlerin.
Wieder draußen. Durchatmen.
Wollen wir noch was trinken? Café Karin? Okay, gute Idee. Puhh, ist das voll. Also weiter. Aber alle diese verdammten Innenstadt-Dinger sind voll mit all diesen verdammten jungen Bankern und Maklern und Anwälten, die jeden Abend ihren Feierabend feiern müssen, die alle gleich aussehen mit ihren Brillen und Frisuren und Jacketts und die alle viel zu gut gelaunt sind und dauernd irgendwen lachend begrüßen, der auch wieder so ein viel zu gut gelaunter, viel zu gut bezahlter Proll mit Abitur ist. Oh je, wenn wir schon mal ausgehen … Ja, nicht wahr, man kommt sich vor wie ein Hinterwäldler. Dabei sind es die Hinterwäldler, die sich hier bestens auskennen und alles bevölkern und versauen, weil sie hier ihr Geld machen und ihr Geld ausgeben und dabei dauernd Weltstadt spielen müssen. Komm, gehen wir ins Kino. Ja. Resnais: “Herzen”. Endlich. Frieden.

Heute vor siebzig Jahren wurde der Berliner Kommunist und Widerstandskämpfer Heinrich Thieslauk von den Nazis ermordet.

Dienstag, 3. April 2007 – Sechsuhrvierzig, elfkommaeins. Dämmerung.

Bild: “Deutschland feiert Henry Maske und lacht über Thomas Gottschalk.” Was ja nur heißen kann, dass ich nicht Deutschland bin.

Apple und EMI haben sich darauf geeinigt, ihr gemeinsames Musikangebot künftig ohne Kopierschutz ins Netz zu stellen. Ausgenommen von dieser wie von allen anderen früheren Regelungen ist einzig die Musik der Beatles. Trotzdem schafft es die “Kulturzeit”, ihren Kurzbericht über den Apple/EMI-Deal ausgerechnet mit einem Cover der Beatles zu illustrieren und mit einem Beatles-Song zu unterlegen.

Im Hof einer Moschee im westtürkischen Mugla war eine herrenlose Tasche gefunden und darauf hin die Polizei benachrichtigt worden. Sicherheitshalber beschloss man, die Tasche zu sprengen. Erst als der Zünder bereits angebracht war, hörten die Polizisten das Weinen eines Babys. Das Krankenhauspersonal, in dem das sechs Tage alte Mädchen jetzt gepflegt wird, taufte das Findelkind auf den Namen “Ravza” – Paradiesgarten.

Der ehemalige baden-württembergische Ministerpräsident Hans Filbinger ist gestorben. Und mit ihm einer der Letzten, die durch ihre Person dokumentieren, dass es eine politische Stunde Null nie gegeben hat. Damit die Kontinuitäten aber auch künftig gewahrt bleiben und klar ist, welche Maßstäbe im Lande gelten, gibt es solche wie Günther Oettinger, der dem furchtbaren Juristen nachruft, er sei ein “Landesvater im besten Sinne” gewesen.

Kurt Weill ist auch tot.

Montag, 2. April 2007 – Fünfuhrvierundvierzig, neunkommasieben Grad.

Ein hübscher Gedanke, die Greifvögel würden am Rande der Autobahnen sitzen, um Autos zu beobachten und über Geschwindigkeit zu philosophieren. Und nicht, um billig Beute zu machen.

Gestern um halbacht kommt Ati. Räder in den Kofferraum, zum Bahnhof. Alex ist mit seinem superleichten Cyclomanix aus Ludwigshafen angereist. Zu dritt nach Eppertshausen. Auf dem Parkplatz: Wieso hab ich jetzt einen Platten? Schlauchwechsel. Zum Start. Dort große Runde der Lokomotive Rotes Ritzel. Aber erstmal Brötchen, Kaffee, Kuchen. Dann los, lange flach. Schaafheim, Groß-Umstadt, Bieberau, Spachbrücken, dann wie jedes Jahr die Schleife über Rossdorf, Ramstadt, Rodau. Sehr schön Otzberg-Oberklingen und das Modautal. Zum Schluß mit Andi an eine starke Gruppe angehängt, gebolzt und trotzdem nur mit Mühe drangeblieben. 111 Kilometer. Fast ein Schnitt von 30 km/h. Nicht schlecht, angesichts der vielen Stopps. Ausgepowert. Schön.
Nach Hause. Soignieren. Ausgiebig.

Die Worte “abholen” und “Lager” sagt man schon jedes für sich nicht so ganz unschuldig. Dafür liest man das Wort “Abhollager” allerdings ziemlich häufig.

Todestag des italienischen Schauspielers und Regisseurs Aldo Fabrizi.