Geisterbahn. Tagebuch mit Toten. Roman
Dienstag, 30. Januar 2007 – Fünfuhrsechsundvierzig, Sechskommasechs Grad. Dunkel.
Ein Irrsinn besonderer Art ist die T-Net-Box, ein virtueller Anrufbeantworter, den ich nie bestellt habe, der nun aber statt meiner ans Telefon geht – selbst, wenn ich es nicht will. Ich bin zu Hause, das Telefon klingelt, ich gehe ran, aber nein, die T-Net-Box ist schneller. Kurz darauf klingelt es wieder. Ich hechte wieder zum Apparat, nehme ab, melde mich, höre dann aber nur die freundliche Automatenstimme: “Guten Tag! Es liegen neue Nachrichten für Sie vor …”
Eine Viertelstunde lang suche ich im Netz nach einer Bedienungsanleitung für das Ding. Als ich sie endlich gefunden habe, versuche ich, über eine lange Menüführung diesen Dienst abzuschalten. Aber als ich glaube, alles geschafft zu haben, werde ich aufgefordert zur Bestätigung meine Geheimnummer einzugegen. Doch ich habe keine Geheimnummer, denn ich habe diesen Service ja nie gewollt. Also nochmal das Ganze …, aber nein, ich lande immer wieder an derselben Stelle. Schließlich gebe ich entnervt auf, und versuche über eine Hotline Hilfe zu bekommen. Eine weitere Viertelstunde lang hänge ich in der Warteschleife – von Anfang an mit der immer selben sedierenden Melodie und dem Versprechen ruhiggestellt, der nächste freie Mitarbeiter sei für mich da. Endlich meldet sich Herr Kausch. “Herr Kausch, ich will diesen Scheiß loswerden.” – “Okay, wird gemacht.” – “Und ab wann? Wann hört das auf?” – “Ab sofort. Ich gebe Ihre Löschung ein, dann bekommen Sie ab sofort keine Nachrichten der T-Net-Box mehr.” – “Prima, danke!”.
Ich lege auf, bin erschöpft, aber zufrieden.
Zehn Minuten später läutet das Telefon. Ich nehme ab. “Guten Tag! Es liegen neue Nachrichten für Sie vor …”
Heute hat Gene Hackman Geburtstag (Plakat zu The Conversation).
Montag, 29. Januar 2007 – Sechsuhreinundzwanzig, fünfkommaneun. Hört sich an, als ob es regnet. Was hört sich so an? Das Schlurren der Autoreifen …
Es gibt so eine Sorte junger Väter – wenn die in der Öffentlichkeit mit ihren Kindern spricht, spricht sie immer zur Welt. Alles, was diese Männer tun, tun sie demonstrativ. Als müssten sie ihrer Umgebung unentwegt zeigen, welch gute Väter sie doch abgeben. “Guck mal, Lennart, das musst du dir unbedingt ansehen …” Es hat geklappt: Alle, außer dem kleinen Lennart, drehen die Köpfe.
Meldungen, die man liebt: In Kuala Lumpur verspeist eine sieben Meter lange Riesenpython elf Wachhunde.
Oder diese hier: Die Supermarktkette Lidl konnte von den 300.000 Eintrittskarten für die Comeback-Tournee des Schlagersängers Heino weniger als 10.000 Stück verkaufen.
In der SZ ein Interview mit der Kinderpflegerin Alexandra Reisch-Zimmerling aus dem oberbayerischen Trostberg, die im Herbst 1979 für zwei Monate als Haushaltshilfe auf Picktons Schweinefarm in Port Coquitlam gearbeitet hat. Am liebsten würde ich sofort nach Bayern fahren, um mit der Frau zu reden und sie zu bitten, sich an jede Sekunde dieser acht Wochen zu erinnern.
Am Niddaufer ist ein schwerverletzter Radfahrer gefunden worden. Man hat ihn ins Krankenhaus gebracht und erst dort festgestellt, dass er ein Projektil im Kopf hat. Kurze Zeit später war der junge Mann tot. Seine Identität ist noch ungeklärt. Mehr als 50 Polizisten haben die Umgebung abgesucht.
Todestag von Janet Frame.
Freitag, 26. Januar 2007 – Vieruhrsiebenundzwanzig, minus vierkommazwei. Dunkel. Sterne.
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Robert Pickton lacht, als man ihm vorhält, seine Freundin Lynn Ellingsen habe ausgesagt, sie habe gesehen, wie Pickton eine Frauenleiche, die an einem Haken hing, gehäutet habe.
Inspector Adam äußert gegenüber Pickton, die Polizei habe mit Prostituierten gesprochen, die auf seiner Farm gewesen seien. Pickton habe die Frauen beim Sex nicht einmal angesehen.
Todestag von Géricault.
Donnerstag, 25. Januar 2007 – Elfuhrdrei, nullkommasechs Grad. Sonne, blau.
Dritter Tag des Pickton-Prozesses. Die Nachrichten werden spärlicher. Ein Großteil der internationalen Presse ist bereits abgereist.
Das Gewehr, sagt Pickton, habe er gebraucht, um Wildschweine zu jagen. Den Dildo, sagt Pickton, habe er am Gewehrlauf als Schalldämpfer angebracht.
Ein Bekannter Robert Picktons, Andy Bellwood, hat der Polizei gegenüber im Februar 2002 über ein Gespräch mit dem Beschuldigten berichtet. Darin habe Pickton gesagt, er töte Frauen von hinten, lasse sie ausbluten und verfüttere sie an seine Schweine.
Ein anderer Bekannter, Scott Chubb, gab zu Protokoll: Pickton habe ihm die Methode erläutert, wie man am besten eine drogensüchtige Prostituierte los werde. Man müsse ihr Scheibenwischerflüssigkeit in die Venen injizieren, dann halte man ihren Tod für die Folge einer Überdosis Heroin.
Der israelische Präsident Moshe Katsav bestreitet die Vorwürfe, er habe eine Mitarbeiterin vergewaltigt und andere sexuell belästigt. Er werde sich gegen diese Anschuldigungen mit aller Kraft wehren, sagte er, und “koste es einen Weltkrieg”.
Todestag des ungarischen Gitarristen Attila Zoller.
Mittwoch, 24. Januar 2007 – Fünfuhrsiebenundzwanzig, minus zweikommavier.Dunkel.
In Vancouver ist es kurz vor halbneun abends (neun Grad, bewölkt). Der Prozesstag ist längst zu Ende. Als Erstes die Nachrichten auf Global TV. Den Geschworenen und den Angehörigen der Opfer hat man das Video der Vernehmung von Pickton (Foto) vorgespielt, das kurz nach seiner Festnahme vor knapp fünf Jahren aufgenommen wurde. Auf die Frage, was er dazu sage, dass gegen ihn im Zusammenhang mit dem Verschwinden von 50 Prostituierten ermittelt werde, antwortete der Schweinefarmer: “Hogwash! … I’m just a working guy … I’m just a pig man.” Später allerdings: “I’m a bad dude.”
Gerate auf eine Seite (Orato.com), wo eine ehemalige Prostituierte von einem Besuch auf der Farm berichtet. Sie sei dort von Pickton und seiner Freundin erwartet worden. Es hätten Berge von Kokain auf dem Tisch des Wohnwagens gelegen. Sie glaube nicht, dass Pickton die Frauen willentlich umgebracht habe. Sie glaube, dass sie an den Drogen gestorben seien, die er ihnen gegeben habe – und dass er die Leichen dann habe beseitigen müssen. Auf derselben Seite berichten zwei andere Prostituierte als akkreditierte Prozessbeobachterinnen. Eine der beiden, Trisha Baptie, ist sich ebenfalls unsicher über den Umfang von Picktons Schuld. Die Vertreter der Anklage müssten sie erst überzeugen …
Auf den anderen Sendern auch nicht mehr …
Todestag von Ted Bundy.
Dienstag, 23. Januar 2007 – Neunuhrdreiundzwanzig, minus einskommadrei. Der Winter.
Gestern erster Tag des Pickton-Prozesses. Versuche alles mitzukriegen, was die kanadischen News-Stationen bringen. Auf dem Monitor ist ein kleiner Wecker eingeblendet, auf dem ich ablesen kann, wie viel Uhr es gerade in Vancouver ist. Stöpsle ständig hin und her zwischen dem Windows-Notebook und dem Apple. Jeder Sender füttert einen anderen Player. Dann ruckeln und stoppen die Streams. Das viel zu kleine Bild hält an, zerfällt in Pixel, der Ton läuft weiter – oder auch nicht. Das alles ist vollkommene Steinzeit.
Trotzdem, alles, was ich zu sehen und zu hören bekomme, brennt sich sofort ein. Ständig warnen die Sender ihre Zuschauer mit Inserts: “Disturbing Content” … “Horrific Details”. Pickton sitzt im Gerichtssaal in einem Käfig aus kugelsicherem Glas. Anklageerhebung. Er habe die Frauen “getötet, geschlachtet und entsorgt”. Zwei gespaltene Frauenköpfe in einer Gefriertruhe. Hände. Teile von Füßen. Ein Kieferknochen mit Zähnen im Schweinetrog. Ein Gewehr mit einem aufgeschraubten Dildo … Gleich zu Beginn veröffentlicht die Anklage eine Sensation: Einem in die Untersuchungshaft eingeschleusten Undercover-Polizisten habe Robert Willie Pickton 49 Morde gestanden. Dabei hatte er noch im Dezember auf “nicht schuldig” plädiert. Es soll ein elfstündiges Video dieses Gesprächs geben. Einen Mord mehr hätte er gerne noch begehen wollen, habe er gesagt. Aber er sei am Ende zu schlampig geworden – too sloppy.
Bin ich ein Bad-News-Junkie?
Chr. kommt vom Arzt. Der hat ihr einen kleinen Zeitungsausschnitt mitgegeben: die Leserbriefe zu dem FR-Interview. Christian Platen aus Nauheim schimpft, ich sei bloß neidisch, sei bloß deshalb gegen die Großkonzerne und Banken, weil es bei mir nur zum Schriftsteller gereicht habe.
Cyril schickt das Foto, das ich am Freitag mit seiner Kamera von ihm gemacht habe. Ich baue es unter dem 19. Januar ein.
Pierre Bourdieu ist tot.
Montag, 22. Januar 2007 – Achtuhrneun, vierkommanull. Bedeckt.
Heute beginnt die öffentliche Hauptverhandlung gegen Robert Pickton. 350 Journalisten sind akkreditiert. Ab sofort schaue ich nur noch Kanadisches Fernsehen. Was ist eigentlich mit der “Zeit”? Die haben nie auf mein Angebot reagiert, eine große Darstellung des Falles zu schreiben. Auch gut.
Am Samstag “Brinkmanns Zorn” im Malsehn. Eigentlich dachte ich, mit Rolf Dieter Brinkmann nun wirklich durch zu sein. Aber das Stakkato seiner Texte verfängt sofort wieder. Eine Literatur, die sich um Literatur nicht schert. Der Film zeigt, wie weit wir von dieser schönen Rohheit entfernt sind. Wie gut sie tut, wie nötig sie mal wieder wäre. Alles beiseite räumen und wieder anfangen zu registrieren. Sagen, was ist. Dass mal wieder jemand die Brocken einsammelt. Ohne auf den Betrieb, auf das Feuilleton, auf die Jurys, auf die Kritiker, auf die Preise zu schielen.
Gräßlich allerdings die Jünger, die Epigonen, die Fans, die mit dem Brinkmann-Duktus durch die Welt laufen.
Vorgestern und gestern jeweils zwei Stunden durch die Wetterau. Aber dauernd Ärger mit den Laufrädern: Speichen locker, Schläuche defekt, Nabe klackert. Trotzdem gut.
Vor zwölf Jahren starben am selben Tag Telly Savalas und Jean-Louis Barrault.
Samstag, 20. Januar 2007 – Sechsuhrfünfzig, zwölfkommaacht Grad.
Was die Leserinnen von “Brigitte” gerade in ihrem Forum “Liebe und Persönlichkeit” diskutieren: “Du willst immer nur ficken!”, “Wie werde ich zum Fickhasen?”, “Wie weit / hoch spritzt Mann?”, “Onanierende Männer turnen mich an”, “Beim Sex Schlagadern abdrücken”, “Zeigen in der Öffentlichkeit”, “Mein Liebster lehnt Pornos ab”, “Nackthandwerker”, “Rasiert zum Frauenarzt”, “Analverkehr / Microklist”, “Riesige Brüste”, “Verhüten mit dem Verhütungscomputer”.
Todestag hat Audrey Hepburn (Filmfoto aus “Breakfast at Tiffany’s”), die im April 2006 von den Leserinnen und Lesern des Magazins “New Woman” zur schönsten Frau aller Zeiten gewählt wurde. Passend dazu die Meldung, dass das amerikanische Juwelierunternehmen die Billigkundschaft aus den Läden drängen will und stattdessen wieder auf Millionäre und Milliardäre setzt.
Freitag, 19. Januar 2007 – Achtuhrachtundzwanzig, zehnkommavier. Regen. Der Sturm ist weg.
Nachdem wir ein halbes Jahr nichts von einander gehört haben, ruft Cyril gestern Mittag vom Fahrrad aus an. Ausgerechnet während sein Namensvetter Kyrill über Europa fegt. Oh, sagt C., ich muss mal kurz rechts ranfahren; hier stürzen gerade Äste auf die Straße. Um vier ist er da. Er erzählt aus Moskau, wo er am Puschkin-Institut war und für seinen Film über Michail Chodorkowskij recherchiert hat; wir backen Waffeln, reden über Frankfurt und Berlin, über die gemeinsamen Bekannten und über das, was wir ganz bestimmt vielleicht alles zusammen machen werden. Wie schön.
Irgendwann gehe ich kurz in die Küche und höre aus dem Wohnzimmer plötzlich einen Riesenkrach. Der Sturm Kyrill hat die innere Abdeckung des Rolladens aus der Verankerung gedrückt und genau dorthin stürzen lassen, wo ich bis vor zwei Minuten saß. Nix passiert.
Eine Nonne, vor einem H&M-Plakat, die ihren Lieblingswitz erzählt.
Überhaupt: Witze erzählen. Jemand, der immer wieder ansetzt, aber immer wieder die Pointe vergißt oder zu früh erzählt …
Heute hätte Kenneth Lee Boyd Geburtstag. Er wurde am 2. Dezember 2005 als eintausendster Mensch nach Wiedereinführung der Todesstrafe in den USA hingerichtet.
Donnerstag, 18. Januar 2007 – Vieruhrsiebenundvierzig, zehnkommavier. Es regnet. Und angesagt ist schwerer Sturm … Fünfuhrvier: Da ist wieder das Moped.
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Um es mit den Kollegen des Stalburg Theaters zu sagen: Och nö!
Es wird angenommen, dass der hochverschuldete 33-jährige Enkel der Rentnerin den Doppelmord in der Nordendstraße begangen hat. Er wurde am Dienstagnachmittag festgenommen. Vermutlich hat er die beiden alten Leute bereits am 9.Januar erschlagen. An diesem Tag hat er mit der EC-Karte seiner Großmutter 1500 Euro abgehoben und ist dabei von der Überwachungskamera gefilmt worden. In der Wohnung der Frau lag eine aufgeschlagene Zeitung mit demselben Datum.
Todestag hat der bayerische Dichter, Maler und Heimatforscher mit dem schönen Namen Luitpold Schuhwerk.
Mittwoch, 17. Januar 2007 – Fünfuhrneun, sechskommasieben. Da draußen knattert seit zehn Minuten ein Moped durch die Dunkelheit. Fährt, hält an, fährt weiter, kommt zurück … verschwindet. Nee, da ist es wieder. Vielleicht ein Sperrmüllplünderer, der zwischendurch seine Beute in Sicherheit bringt.
Die Arbeit nimmt zu; die Wahrnehmung lässt nach.
Gestern Morgen kurz am Tatort in der Nordendstraße. Aber es ist schon nichts mehr zu sehen. Nur ein paar schwarz gekleidete Reporter lungern mit ihren Riesenobjektiven im Eingang herum. Inzwischen gibt es Hinweise, dass die Tat bereits einige Tage vor ihrer Entdeckung begangen wurde.
Gerate auf die Seite von Radio Neue Hoffnung, wo Bruder Friedrich Vogel einen Vortrag hält mit dem Titel: “Christsein, echt scharf!”
“Let’s do it”, das sollen die letzten Worte des Raubmörders Gary Gilmore gewesen sein, bevor das Todesurteil am 17. Januar 1977 vollstreckt wurde. Gilmore hatte sich für den Tod durch Erschießen entschieden, da ihm dies die Möglichkeit gebe, in Anmut und Würde zu sterben – “with grace and dignity”.
Dienstag, 16. Januar 2007 – Zehnuhrzweiunddreißig, vierkommaneun. Bedeckt.
Aus der Nachbarschaft: Nachdem sie ihre Mutter längere Zeit nicht erreicht hatte, machte sich eine Frankfurterin gestern Abend auf den Weg in die Nordendstraße 57, um nach dem Rechten zu sehen. Dort fand sie die Leiche des 78-jährigen Lebensgefährten der Mutter. Als die alarmierte Polizei kurz darauf das Haus durchsuchte, wurde im Keller auch die 83-jährige Mutter tot aufgefunden. Beide Leichen wiesen Kopfverletzungen auf. Sowohl der Kellerraum als auch die Wohnung waren von außen verschlossen.
Kate Moss hat Geburtstag.
Montag. 15. Januar 2007 – Neunuhrdreißig, zweikommaacht Grad. Froh, bei dem schönen Wetter gestern die lange Ausfahrt gemacht zu haben. Heute eine Stunde Rolle.
Es gibt Männer, die auf eine spezielle Art behindert sind: Sie können nur in Männerritualen denken. Für sie gibt es nur Macht oder Unterwerfung. Gleichzeitig unterstellen sie all ihren Geschlechtsgenossen, die Welt ebenfalls auf diese beiden Kategorien zu reduzieren. Sich vorzustellen, dass jemand anders tickt als sie selbst, dafür fehlt ihnen die Phantasie.
Wie gestern, als mir in der Günthersburgallee dieses Pärchen entgegen kam. Er drehte den Kopf zu mir und taxierte mich mit einem schnellen, aber geradezu brachialen Blick. Dann begriff ich, dass ihn nur interessierte, wie ich auf seine Frau reagiere. Für ihn ist jeder andere Mann ein Konkurrent (muss also getötet werden) oder ein Schlappschwanz (kann also zur Seite geschoben werden).
Wirklich, es gibt Blicke, die grenzen an Körperverletzung.
Franz Fühmann und Martin Luther King haben Geburtstag. Sind aber tot.
Samstag, 13. Januar 2007 – Fünfuhrfünfzehn, elfkommaacht. Der Wind hat nachgelassen.
Von Jochen eine Mail, dass wir uns unbedingt “Brinkmanns Zorn” von Harald Bergmann anschauen sollen. Ich klickere mich so durch die Informationen, gerate an ein Foto der Mühle in Longkamp. Und will sofort dorthin.
Kurz hintereinander zwei tolle SZ-Feuilletons: Am Mittwoch die Seite über Norrington. Und nun der Text über die Umerziehungsmaßnahmen der Amerikaner kurz nach dem Krieg. Als sie Chaplins “Great Dictator” in den Berliner Kinos eingesetzt haben, um zu testen, wie das deutsche Publikum darauf reagiert.
Dort auch die Information: An keiner Stelle in den ersten Aufführungen der “Dreigroschenoper” nach 1945 hat das Publikum mit solch johlender Zustimmung reagiert wie bei dem Satz: “Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral”. Was ja auch nur heißen kann, dass der Spruch schon immer etwas großmäulig-wohlfeil war.
Immer wieder die Iggy-Pop-Stücke aus dem Soundtrack von Arizona Dream.
Nicht ganz klar, warum mir C. kommentarlos ihre neue Mail-Adresse schickt. Noch weniger, dass sie mir auch noch die von Mario Adorf weiter gibt.
Joyce ist tot.
Freitag, 12. Januar 2007 – Achtuhrsiebzehn, achtkommavier. Sehr, sehr windig.
Harald Schröder sagt, er habe im Frankfurter Stadtwald einen Hirschen gesehen.
Finden Sie das Tier!
Donnerstag, 11. Januar 2007 – Achtuhrsechsundvierzig, sechskommafünf.
“Papa!” – Ja? – “Ich hab die ganze Nacht schlecht geträumt” – Na, bestimmt nicht die ganze Nacht – “Doch. Und den Rest der Zeit war ich wach.”
Gestern Lauf in den Abend. Schwerfällig. Unterwegs Lutz auf dem Bianchi. Der Lohrberg ist leer und dunkel. Unten glitzert die Stadt. Sieht dramatisch amerikanisch aus. Hinter dem Bornheimer Friedhof schwirren die Fledermäuse.
Die Achillessehnen sind wieder hinüber. Durch die Glauburgstraße Richtung Stalburg gehumpelt. Dort schön gedröhnt mit Demski, Herl und später Jamal. Darf ich nicht drüber schreiben, vor allem nicht, dass hier Dornfelder aus Wassergläsern getrunken wird. Auf dem Heimweg Wind, klarer Himmel, extraviele Sterne, dazwischen Wolken, die man Wölkchen nennen möchte. Einer dieser Abende, für die es sich lohnt, dass wieder Abend wird.
Im sächsischen Glauchau hat ein Mann versucht, mit einer Armbrust eine Bank zu überfallen. Allerdings war die Armbrust nicht geladen. Der Mann, der selbst Kunde der Bank war, hatte in der Vergangenheit mehrmals versucht, sich dort alte Reichsmarkscheine wechseln zu lassen. Auch bei dem versuchten Überfall trug er einen ganzen Sack dieser Scheine bei sich.
Todestag von Heinz Renner, der 1949 den ersten Ordnungsruf im Deutschen Bundestag erhielt. Der Kommunist Renner war Mitglied des Parlamentarischen Rates, Oberbürgermeister von Essen, Sozialminister und Verkehrsminister in Nordrhein-Westfalen.
Mittwoch, 10. Januar 2007 – Vierzehnuhrachtunddreißig. Ist nicht wahr, oder … dreizehnkommadrei Grad.
Gestern den ganzen Tag in Hermann Langbeins Auschwitz-Buch und auf den Shoa- und Deathcamp-Seiten. Auch wenn ich nur mit zusammengekniffenen Augen lese, weil ich ja nur nach bestimmten Informationen suche, stoße ich unentwegt auf Berichte so ungeheuerlicher Einzelheiten, dass ich manchmal minutenlang wie erstarrt am Schreibtisch sitze.
Beim Versuch, einen Kinderwagen zu stehlen, ist in Hamburg ein 23-jähriger Mann festgenommen worden. Den Polizisten gegenüber gab er spontan zu, dass er sich spezialisiert habe auf hochwertige Kinderwagen – nur solche würden von seinem Hehler abgenommen -, und dass er sich damit seinen Lebensunterhalt verdiene.
Kurze Zeit bin ich versucht, den ganzen Satz mit Kino-Aushangfotos von “So sind die Tage und der Mond” zu kaufen. Gibt’s gerade bei ebay für € 32,90. Kommt bestimmt so schnell nicht wieder. Und ein Filmplakat gibt’s auch. Da es doch immer noch mein Lieblingsfilm ist …
Schöner Zufall. Gerade kommt auch noch die letzte der dicken Kassetten mit Lelouch-Filmen. Und da ist er dabei. Kleiner Jubel.
Todestag des Malers Robert Sterl. Nie gehört. Gilt neben Liebermann, Slevogt und Corinth als einer der Hauptvertreter des deutschen Impressionismus. Bisschen im Netz rumgeklickert, alles hochinteressant. Unbedingt weiter kümmern!
Dienstag, 9. Januar 2007 – Einuhrneunundvierzig, zehnkommaein Grad. Wird jeden Morgen früher.
Treffen mit Melanie Ruprecht am Goetheturm. Sie schreibt über die “Braut im Schnee”. Mist, der Turm ist geschlossen. Fahren wir also zum alten Oberräder Bahnhof. Mist, da kommt so ein Springerstiefeltyp mit Kampfköter. Fahren wir als in die Schwanheimer Dünen. Mist, muss es denn gerade jetzt wieder anfangen zu regnen. Und nun? Ins Lesecafé? Mist, schon zu spät.
Am 27. September 2002 wurde Jakob von Metzler von dem Jurastudenten Magnus Gäfgen entführt und ermordet. Der inzwischen rechtskräftig verurteilte Mörder bemüht sich seit einiger Zeit, mit Hilfe seines Anwalts eine Stiftung für jugendliche Gewaltopfer ins Leben zu rufen. Für die Sendung “Kulturzeit” ein Anlass, in einem großen Beitrag über den Fall zu berichten, ohne etwas Neues mitteilen zu können. Da man möglichst spektakuläre Bilder zeigen will, von dem Mord selbst aber keine hat, stellt man die Tat nach. Ausgiebig wird eine lebensgroßen Puppe gezeigt, der mit schwarzem Klebeband der Mund verschlossen wird, um so den Erstickungstod des Opfers zu illustrieren. “Schon die Simulation mit einer Puppe ist kaum auszuhalten”, sagt der Kommentator. So ähnlich haben auch die “Schulmädchenreports” funktioniert. “Ist das nicht abscheulich, die Mädchen sind ja nackt. Sollen wir’s euch noch mal zeigen?”
Im kalifornischen San Diego steht dieser Tage eine 33jährige Frau vor Gericht. Sie soll ihren Mann mit Arsen getötet haben, weil sie dessen Lebensversicherung dafür verwenden wollte, sich neue Brustimplantate machen zu lassen: “Woman Accused of Killing Husband for Boob Job.”
Heute wäre Rio Reiser 56 Jahre alt geworden.
Montag, 8. Januar 2007 – Zweiuhrneunzehn, sechskommaneun Grad. Mit Herzrasen aufgewacht. Rundum in den Häusern gehen nach und nach die letzen Lichter aus.
Gestern zwei Stunden durch die Wetterau. Klare Sicht, schwere Wolken, dazwischen blauer Himmel. Fast österlich warm. In Obererlenbach gibt es einen Holzweg und ein Auto der Firma Egon Vögler. In Petterweil erst die Schwengelgasse, dann Am Dicken Turm und dann die Pfarrer-Fick-Straße. Nein, stimmt gar nicht, der Mann hieß Flick. Und der Schinkenweg ist nur ein Schlinkenweg. Aber ich bin heute auf seltsame Aufschriften programmiert. Und freue mich, wieder an diesem Schild vorbei zu kommen: Geist – Außenliegend 4.
Zu Hause dann die ersten anderthalb Stunden der Langfassung von “La Belle Noiseuse” geschaut. Aber ich kann Piccoli noch immer nicht leiden und finde die Béart noch immer nicht so attraktiv, wie der Rest der Welt es offensichtlich tut. Einer dieser französischen Filme, die alle Informationen in das gesprochene Wort verlegen.
Gene Hackman in Arthur Penn’s “Night Moves” (1975): “Ich hab mal einen Film von Rohmer gesehen. Das war, als würde man der Farbe beim Trocknen zuschauen.”
Später auf Video ein Interview mit David Lynch, der seinen neuen Film mit einer Sony-Digicam aufgenommen hat. Beim Gespräch flattert er unentwegt mit den Fingern seiner erhobenen Rechten. Und im Ärmel seines Jacketts ist ein riesiges Loch.
Dann ins Bett und noch ein wenig in Grishams “Innocent Man”. Und wieder nach vier Seiten drüber eingeschlafen.
Geburtstag haben heute: José Ferrer, Elvis Presley, Shirley Bassey, David Bowie.
Samstag, 6. Januar 2007 – Sechsuhrfünfzehn, neunkommanull. Dämmert es schon oder ist das noch der Mond?
Manchmal erinnere ich mich an etwas, das nie geschehen ist.
Telefon.
“Ja?”
“Hast du schon gesehen? Die Braut im Schnee ist auf Platz achtzehn bei den Taschenbuch-Bestsellern eingestiegen?”
“Und deshalb weckst du mich?”
“Leg Dich wieder hin! Arschloch!”
“Ja.”
Beim Aufräumen des Kellers einen dicken Plastikbeutel voller alter Audiokassettengefunden. Bevor ich ihn in den Müll werfe, fische ich mir eine heraus – Joe Cockers “Sheffield Steel” von 1982 – lege sie ein und merke, dass ich nach über zwanzig Jahren noch fast alle Texte auswendig kann.
Plötzlich der ebenso deutliche wie seltsame Wunsch, an die Lahn zu fahren.
Tote: Charlotte von Stein (Freundin), Tina Modotti (Fotografin), Gertrud Eysoldt (Schauspielerin, Porträtzeichnung aus “Die Aktion”).
Freitag, 5.Januar 2007 – Zehnuhrvierundzwanzig, achtkommazwei. Bedeckt.
Im brandenburgischen Falkenhagen befindet sich in der Ernst-Thälmann-Straße das “Bestattungshaus Möse”. Da gibt es nichts zu lachen. Witzig wird es erst, wenn man den Werbeslogan des Unternehmens liest: “Wir bürgen mit unserem Namen”.
Christoph Schlingensief wird gerne als unverbesserlicher Provokateur, als enfant terrible und als ewiger Krawallmacher bezeichnet. Dieser Christoph Schlingensief plane, so wird jetzt vermeldet, einen Aufsehen erregenden mehrtägigen Talkshow-Marathon in der Berliner Akademie der Künste. Mitwirken werden: der Aktionskünstler Hermann Nitsch, der Maler Markus Lüpertz, Fernsehpfarrer Jürgen Fliege, der Chorleiter Gotthilf Fischer, die Schauspielerin Katja Riemann und der sogenannte Plakatkünstler Klaus Staeck, der zugleich Präsident jener Akademie ist. Eine Gästeliste, als habe sie der Medienberater der Deutschen Bischofskonferenz zusammengestellt.
Fast täglich lese ich aus dem Augenwinkel Nachrichten über Britney Spears. Heute zum Beispiel, dass sie mit Paris Hilton befreundet sei, dass sie die letzten Wochen viele Nächte lang gefeiert, dass sie zu wenig geschlafen und zu viel Alkohol getrunken habe und dass ihre Eltern ernsthaft besorgt seien. Das alles lese ich. Aber, offen gestanden, weiß ich nicht mal so genau, wer diese Britney Spears eigentlich ist.
Abends die ORF-Dokumentation über und mit Natascha Kampusch. Die Sensation ist der Banalität gewichen.
Vor sechs Jahren sind am selben Tag gestorben: Bernhard Wicki (Foto aus seinem Film “Die Eroberung der Zitadelle”) und Diether Krebs.
Donnerstag, 4. Januar 2007 – Elfuhrneunundfünfzig, achtkommazwei Grad. Aber ich friere, als wären es nur siebenkommaneun. Und schon wieder kein heißes Wasser.
Der Finanzreferent der CSU in Taufkirchen wurde verhaftet, weil er im November vergangenen Jahres zweimal den selben Drogeriemarkt in München überfallen hat.
Mehr aus aller Welt:
“Helge Schneider findet seinen Hitler-Film doof”
“Jugendliche misshandeln Obdachlosen in Hannover”
“So ludert Britney ins neue Jahr”
“Schüler in USA offenbar von Klassenkamerad erschossen”
“Jüdisches Mahnmal in Moabit beschmiert”
“Kleider und Requisiten von Whitney Houston werden versteigert”
“Gefangener schlüpft mit Pflanzenöl durch Zellengitter”
Was ist denn wieder los? Warum kann ich Stefans Lachs-Film jetzt nicht sehen? Hab doch alle Updates für Quicktime heruntergeladen …
Ja, Camus ist auch schon wieder tot.
Mittwoch, 3. Januar 2007 – Siebenuhrzwanzig, sechskommaein Grad.
Auf Spiegel online ein Bericht über den erfolgreichen Dildohersteller Fun Factory. Ich will auf die Internetseite … geht nicht, total überlastet.
Gestern endlich Michael Hanekes “Caché” gesehen. Eine unglaublich spannende Geschichte, dramaturgisch gut gebaut, und von den besten französischen Schauspielern umgesetzt. Aber wie habe ich diesen Film gehasst. Wie obszön und terroristisch Hanekes Ansatz ist. So schockartig wie der Regisseur den Zuschauer mit seinen Gewaltszenen konfrontiert, wird der Film selbst zum Gewaltakt. Und die Geschichte ließ sich nur deshalb mit so vielen Rätseln anreichern, weil Haneke sich um deren Lösung herumdrückt. Er nutzt alle Attraktionen eines Thrillers, verweigert aber die Erklärung und behauptet dann im Interview, das habe ihn ja gar nicht interessiert. Und das politische Tabu – die Ermordung von 200 Algeriern durch die Pariser Polizei im Oktober 1961 – setzt er lediglich als Spekulationsobjekt ein, um seine Story moralisch aufzupumpen. Feigheit und Lüge sind zwei zentrale Themen des Films. Aber “Caché” ist leider selbst: feige und verlogen.
Tot: Der belgische Radrennfahrer Lucien Buysse, Sieger der Tour de France von 1926. Und der niederländische Bierbrauer Alfred Heineken, dessen Nachname mich in Paris einmal zur Verzweiflung gebracht hat, als ich partout nicht verstanden habe, welche Biersorte mir die Kellnerin anbieten wollte: Önnekö.
Dienstag, 2. Januar 2007 – Siebenuhrzwölf, vierkommafünf Grad. Regen.
Na, sooo neu fühlt sich das Neue Jahr nun auch wieder nicht an.
Gestern zweistündige Ausfahrt durch die Wetterau und den Randtaunus. Sehr windig, sehr regnerisch. Umgestürzte Plakatwände, Bäume, Toilettenhäuschen, Müllcontainer. Überall auf den Straßen liegen Äste, Scherben, aufgeplatzte Feuerwerkskörper und dieser braune Brei aus aufgeweichter Pappe. Manchmal dramatisch schöne Momente, wenn die Sonne durch die schnell ziehenden Wolken stößt und dann unverhofft die Skyline zu leuchten beginnt.
“Ricardo, nein. Ricardo, du bleibst hier.” Aber Ricardo kümmert sich einen Scheißdreck um das, was Frauchen beim Neujahrsnachmittagsspaziergang gerne hätte. Ricardo startet, kommt schief, aber eilig auf mich zu gehechelt, springt an mir hoch, wedelt mit dem Schwanz, knurrt, bellt, leckt mich an den Stellen, spürt meine stumme Panik, wird immer frecher. Frauchen bleibt einfach stehen, wo sie stand und schüttelt mit dem Kopf. Ricardo ist ein fetter, kleiner Spitz mit einer fetten, roten Zunge. Ricardo macht weiter. Dann endlich: “Der tut nichts. Der ist noch jung. Der ist nur sehr aufdringlich. Der muss noch viel lernen.” Das sagt sie mir jetzt, da ich bereits gestorben bin vor Angst.
Na klar, und schon kursiert im Internet ein Video, dass die Hinrichtung Saddams vollständig zeigt. Was hilft da eigentlich noch ein Bilderverbot?
“Die Stadt und die Liebe”:
Eine Frau, schütter bekleidet, schüttelt die Betten am Fenster aus, schaut herunter, lächelt.
Die vermoosten Stämme der Bäume an der Bergener Buswendestelle im glühenden Spätnachmittagslicht.
Heftiger Wind, Regen. Ein Schaukasten des Naturschutzbundes: Der Kleiber – Vogel des Jahres 2006.
Gymnastik, Jazzgymnastik.
Himmel & Hölle
Badewanne
Putzen
Im Hörfunkstudio / Im Club
Ein Mädchen, 10 Jahre, erzählt mit großem Ernst und kleiner Verlegenheit von seiner Liebe.
Seilspringen
Jogger im Park
Tot ist die Wagner-Sängerin Therese Malten (deren Wohnhaus in Dresden heute eine schöne Pension ist), die viele Jahre mit der Philosophin und Pessimistin Helene von Druskowitz zusammenlebte, welche allen Frauen riet, ein homosexuelles Leben zu führen, um so “das Aussterben des menschlichen Geschlechts” voranzutreiben.
Geisterbahn. Tagebuch mit Toten. Roman
Sonntag, 31. Dezember 2006 – Sechsuhrsiebenundvierzig, neunkommasechs. Sehr windig.
Fernsehnachrichten: Man hat das Gefühl, dass die Redakteure Mühe haben, nicht die ganze Hinrichtung Saddam Husseins zu zeigen.
Ch: “Ich bin wirklich froh, in einem Land zu leben, das immerhin so zivilisiert ist, dass es die Todesstrafe abgeschafft hat.”
Gestern die Piazzolla-DVD. Was für ein unangenehmer, grundeitler Egomane dieser Mann war. Es gab wohl Leute, die ihn – unglücklich – geliebt haben; aber gemocht, so scheint es, hat ihn niemand. Aber bei fast jedem seiner Stücke gehe ich in die Knie.
Niemand ist so verlogen wie künftige Schwiegersöhne und Schwiegertöchter.
“Kannst du nicht wenigstens an Silvester mal was Nettes schreiben?”
Tot ist Gustave Courbet.
Samstag, 30. Dezember 2006 – Fünfuhrvierundvierzig, zweikommaein Grad.Alles finster.
Aufgewacht, als Saddam Hussein gehängt wurde. Um 4 Uhr MEZ.
Im Traum erhalte ich eine Trauerkarte von K., der mitteilt, dass seine Frau gestorben ist. Ich lese den Text und lasse die Hand sinken. Aber statt der Karte ist es nun die tote Frau selbst, die mir entgleitet und auf den Boden rutscht.
Warum verkaufen die Leute diese Möbel, die doch erst drei Jahre alt und noch wie neu sind? Jürgen: “Weil sie ihrer bereits überdrüssig sind. Weil es ihr größter Spaß ist, immer etwas noch Neueres zu kaufen.” Und wenn auch das nichts mehr hilft? Besuchen sie Swingerclubs. Wenn die Swingerclubs langweilig geworden sind? Lassen sie sich scheiden. Wenn es ihnen dadurch auch nicht besser geht? Lassen sie sich liften. Und wenn sie auch dadurch nicht glücklicher werden? Bringen sie sich um. – Ja, kann sein. Ist vielleicht auch besser so.
Ein offenes Fenster von außen, aber die Gardine ist vorgezogen. Dann wird der Vorhang geöffnet. Ein Mann schaut heraus, sieht erschrocken, dass er beobachtet wird, zieht sich rasch wieder zurück und lugt einen Augenblick später noch einmal hervor.
Tot sind Rasputin, Sonny Liston und Heiner Müller.
Freitag, 29. Dezember 2006 – Viehruhrneunzehn, dreikommasieben. Schon wieder so eine helle Nacht. Drüben in drei Wohnungen Lichter.
Im Traum komme ich nach vielen Jahren zurück in dieses kleine Dorf. Alle, die schon tot sind, leben noch. Aber ihre Kinder, die bei meinem letzten Besuch noch nicht geboren waren, sind nun schon fast erwachsen. Und singen die Lieder von Boney M.
Gestern im Königsberger Bad. Starre eine Weile wie gebannt an die verspiegelte Decke des Schwimmbeckens. Unbedingt aufnehmen! Vielleicht auch draußen die Uhr in den Dampfschwaden. Die Ruine. Seltsame Gesichter. Beschlagene dicke Brillen. Rüschige weiße Badekappen.
Erst nur das leere Becken im Spiegel. Dann durchquert eine Frau brustschwimmend das Bild. Kurz darauf aus der anderen Richtung; jetzt auf dem Rücken. Wieder das leere Becken. Dann ein Kind, wie vor ihr fliehend, mit hastigen Bewegungen.
Diese bewußtlos wohligen Laute, dieser glasige Blick, wenn alles auf körperliche Annehmlichkeiten konzentriert ist. Grenzt an Idiotie.
Dreitausend kommen um, als die deutsche Luftwaffe am 29. Dezember 1940 London bombardiert.
Donnerstag, 28. Dezember 2006 – Vieruhrdreiundvierzig, einskommafünf. Seit einer Stunde wach. So merkwürdig hell draußen.
In Texas hat ein neunjähriger Junge ein zweijähriges Mädchen erstochen.
Der Film:
Callcenter
Witze erzählen
Mädchen mit Zahnspange
Beim Friseur / Hundefriseur
Menschen erklären etwas
Veronika Fischer – Schlager / Schlagerwettbewerb –Tino ???
Im Hintergrund berühmte Zeitungsbilder / Schlagzeilen
Jemand übt immer wieder den gleichen fremdsprachigen Satz
Auf dem Balkon / auf dem Dach
Seltsame Geräte werden erklärt (Sextoys?)
Peinlichkeiten / peinlichstes Erlebnis
Plakate / Plakatwände / Schaufenster
Dessousabteilung / Umkleidekabinen / Mann wartet / peinlich
Wasserkuppe, Andenkenladen. Bronzeadler : Wellensittiche
Am Heiligabend in der Kirche. Wir sitzen neben einer Glasvitrine, in der Kerzen ausgestellt sind: “Diese Kerzen wurden von unseren Behinderten im Tagesstrukturierungsbereich gefertigt.” Ich glaub’s nicht: Tagesstrukturierungsbereich … Kein Wunder, dass das Korrekturprogramm sich wehrt.
Heute ist mal niemand tot; heute hat mal Denzel Washington Geburtstag.
Mittwoch, 27. Dezember 2006 – Dreizehnuhrsechsundzwanzig, einskommafünf. Trübe, bedeckt. Bisschen Schnee.
Gestern eine Stunde Lauf, Günthersburgpark, Huthpark … Schwerfällig.
Mittags im Städel. Gleich an der Kasse Streit. “Gärten”. Ein paar Liebermänner. Ein schöner, lichter Beckmann. Nach Jahren auch mal wieder bei den alten Meistern. Vergesse immer wieder, wie reich die Sammlung ist. Draussen stahlblauer Himmel.
Dann zu Hause in der dicken Truffaut-Biografie den Streit zwischen Godard und Truffaut nachgelesen. Im Mai 1973, nachdem er La Nuit Américaine gesehen hat, schreibt Godard einen Brief an Truffaut, in dem er ihn wüst beschimpft und zugleich um Geld bittet. Ekelhaft. Bin ganz auf Truffauts Seite. Schon damals wirkt Godard ideologisch vernagelt, hochmütig, maoistisch. Truffaut schreibt eine lange, verbitterte Replik.
Abends Gosford-Park. Darüber eingeschlafen.
Tot sind: Max Beckmann, Hal Ashby, Hans Blickensdörfer.
Dienstag, 26.Dezember 2006 – Fünfuhrsiebenundfünfzig, dreikommadrei. Alles dunkel.
Gestern am Morgen machen wir einen Gang über die Wasserkuppe. Die Sonne scheint. Der Himmel ist blau. An windgeschützten Stellen ist es sogar warm. Weiter Blick über die Rhön. In den Tälern hängt Nebel. Im Andenkenladen: Kruzifixe, Patronen, Plastikpanzer, Totenköpfe, Trachtenhüte aus Filz.
Über die mit schwarzen Maulwurfshügeln übersäte Wiese stolpern wir zu dem blöden Riesenadler, dem „Urbild aller nationalsozialistischen Adler“. Am 30. August 1923 waren 100.000 Menschen zur Einweihung dieses Denkmals für die toten Jagdflieger des 1.Weltkrieges gekommen. Unter den Ehrengästen: Tirpitz, Ludendorff, Luckner, Freifrau von Richthofen. Auf der Vorderseite prangt eine Bronzetafel: „Wir toten Flieger blieben Sieger durch uns allein. Volk, flieg du wieder und du wirst Sieger durch dich allein.”
Nach dem 2.Weltkrieg hielt man eine Restaurierung der Figur für notwendig. Man montierte sie ab und brachte sie nach Fulda, wo die Firma Pfeifer 68 Durchschüsse feststellte. Der Adler war zur Zielscheibe der alliierten Soldaten geworden. An jedem 2. Sonntag im August findet an dieser Stelle eine Gedenkveranstaltung statt.
Monolog aus dem Off: Es gibt Menschen, die führen ein Wegwerfleben: alles im Vorbeigehen, unverbindlich, im Stehen, zwischen Tür und Angel. Sie entfachen ein Feuer, aber wenn es groß genug ist, dass sie sich daran wärmen könnten, suchen sie das Weite. Sie verlieben sich leidenschaftlich und halten es nicht aus, wenn die Leidenschaft erwidert wird. Sie besuchen eine Party, aber sind eigentlich schon wieder weg. Sie hassen und lieben, aber meinen es dann doch nicht so. Sie nennen jemanden Freund und haben seinen Namen bei nächster Gelegenheit vergessen. Sie beziehen alles auf sich, und können sich doch nicht leiden … Alles Fastfood. Sie schauen dich mit großen Schauspieleraugen an, lächeln, demonstrieren ihre Präsenz, zeigen, dass sie ganz bei Dir sind. Aber im nächsten Moment erlöschen sie vollständig. Zurück bleiben zwei kleine Häufchen Asche.
Und?
Was und?
Nix. Soll ich dir ‘n Glas Wasser bringen?
M. war jemand, der die Schwächen von anderen, selbst die seiner Freunde, niemals bedauern konnte. Für ihn waren sie immer nur eine Gelegenheit, sich triumphierend seiner eigenen Stärken zu vergewissern. Das war es wohl, was ihn auf Dauer unerträglich machte.
Abends: “Schießen Sie auf den Pianisten”.
Tote: Heinrich Schliemann, Karl Hubbuch, Howard Hawks.
Sonntag, 24. Dezember 2006 – Sechsuhrachtundfünfzig, zweikommaeins. Es dämmert. „In den kommenden Tagen auf den Bergen viel Sonne“.
Gestern mit Jürgen zuerst in die Gerbermühlstraße zu Turtlerent, kleinen Transporter mieten. Dann nach Wachenheim in der Pfalz, um die erstandenen Sitzgelegenheiten zu holen. Lustige Fahrt. Das Reden bei der Arbeit ist eigentlich immer entspannter als wenn man sich trifft, um nichts anderes zu tun als zu reden. Dann Martin-Luther-Straße, dann Niedereschbach, dann …
Dann: Nichts für die Welt.
Weiter für den Film:
Schminken
Wettbewerbe, Proben: Tanzwettbewerb, Jojo-Wettbewerb, Musikwettbewerb (Kronberg?), Tierkonkurrenz, Hunde, Dressur !!!, Quatschwettbewerb.
Zeitung lesen
Baden, waschen
Brücken, Züge
Grimassen schneiden
Rauchen
Strohhut
Reihen: Karten, Fenster, Gräber, Bilder, Autos, Bäume, Gläser mit Embryonen, aufgespießte Schmetterlinge
Spiegel
Krankenschwester
Nie daran denken, ob und wem es – außer uns – gefallen wird!
Godard: „Die Aussenseiterbande“ und „Eine verheiratete Frau“. Beide aus dem Jahr 1964, beide zum ersten Mal. Ganz unterschiedlich, fast gegensätzlich. Aber beide unglaublich sexy. Und eigentlich hat man sofort Lust, alles von Godard zu schauen. Na ja, nee, dieses blöde Selbstporträt, das ich vor zwei Tagen gesehen habe, brauch ich nicht noch mal.
Tot sind Vasco da Gama, Thackeray, Rudi Dutschke, Karl Dönitz, Louis Aragon.
Samstag, 23. Dezember 2006 – Vieruhrsechsunddreißig, fünfkommasechs Grad. Dunkel. Gegenüber im Haus ein einziger Lichtpunkt. Dann schalte ich meine Lampe aus, und im selben Augenblick ist auch dieser Punkt verschwunden. Alles schwarz.
Gestern den ganzen Morgen auf der Suche nach einem kleinen, einfachen Bildprogramm. Es soll wie Irfanview sein, nur halt für den Mac. Nach vier Stunden in den Foren stelle ich fest: Genau das suchen viele, genau das gibt es aber nicht. Aber iPhoto ist ein Krampf!
Frau Bollinger hat den neuen Grisham schicken lassen: The Innocent Man. Würde am liebsten gleich anfangen zu lesen. Geht aber nicht. Grausam hässlicher Umschlag. Fange schließlich doch an …
Abends in den Fernsehnachrichten: Einem japanischen Forscherteam ist es erstmals gelungen, einen Riesentintenfisch zu fangen und zu filmen. Gierig schaut man sich die Bilder an. Dann aber: „Kurz nach dem Fang erlag das Tier seinen Verletzungen.“ Verdammte Scheiße. Forscher? Killer!
Wenn sie seiner habhaft würden, sie würden den Herrgott an den Haken nehmen und verrecken lassen, bloß um ihn kurz vor eine Kamera zerren zu können.
Am selben Tag, wenn auch nicht im selben Jahr, starben der niederländische Flugzeugkonstrukteur Anton Fokker und sein russischer Kollege Andrej Nikolajewitsch Tupolew.
Freitag, 22. Dezember 2006 – Siebenuhrfünf, vierkommanull. Dunkel, aber hinter den Fenstern im Haus gegenüber glimmen schwache Lichter.
Tom Stephens, am Montag von der Polizei in Suffolk festgenommen, ist seit heute Nacht wieder frei. Stattdessen wurde ein Verfahren eröffnet gegen den 48-jährigen Gabelstapler -Fahrer Stephen Wright, der am Dienstag in seiner Wohnung mitten im Rotlicht-Viertel von Ipswich gefasst worden war. Die Polizei hat zahlreiche DNA-Spuren an den Tatorten gefunden, die auf ihn verweisen. Fast sehe es so aus, sagte ein Polizeisprecher, als ob Wright habe gefasst werden wollen. So ist es am Ende einer solchen Mordserie ja fast immer.
Aber was war das jetzt mit Tom Stephens, der ja durch seine Interviews eine Verhaftung nahezu erzwungen hat? Wichtigtuerei? Oder ein mit ihm abgesprochenes gezieltes Täuschungsmanöver der Polizei? Schließlich war er fünf Jahre lang Hilfspolizist. Stephens, so heißt es, habe noch kurz vor den Morden mit acht Prostituierten eine Party gefeiert – darunter alle fünf Mordopfer.
Obwohl eigentlich erst für den Januar angekündigt, sind die Taschenbücher der „Braut im Schnee“ schon gekommen. Nach Oberursel, um bei Bollinger 60 Exemplare zu signieren. Kaufe Merciers „Nachtzug nach Lissabon“. Zu Hause gleich den Anfang gelesen. Erinnert ein wenig an „Erklärt Pereira“ und an „Der Mann der Friseuse“.
Am 22.Dezember 1942 wurden in Plötzensee die Mitglieder der von den Nazis so genannten „Roten Kapelle“ ermordet: Hans Coppi (Foto), Harro Schulze-Boysen, Libertas Schulze-Boysen, Arvid Harnack, Elisabeth Schumacher, Kurt Schumacher.
Donnerstag, 21. Dezember 2006 – Vierzehnuhreins, achtkommasieben. Bedeckt aber hell.
Mal anfangen zu sammeln, was in den „C“-Film soll:
Rolltreppe, Rollband – Blicke
Auf einer Mauer balancierendes Mädchen
Fenstermenschen
Einsamer Strand, Frau, lungernde Männer. Überhaupt: lungern!
Zoo
Großwäscherei
Großküche
Rückseite der Welt: vom Zug aus gesehen, Rückseite Restaurant, Personaleingang, Hotel
Telefonseelsorge
Schilder, Aufschriften: „Reifen-Platt“, „Geist – Außenliegend“, Ärzte: „Mutsch & Dutsch“, „Wir stellen ein: niemanden“, „Nagelstudio“
Straßenhändler – Herdreiniger
Schaukel
Perfektionist – Amateur
Musiker
Stadion oder Rennbahn
Gräber, Friedhöfe
Strand, Schwimmbad
Brautmoden
Kirche
Exhibitionismus / Voyeurismus
Scherzartikel
Katzen
Tanz: Ballett, Tanzschule, Laufsteg, Dorfball, Bauchtanz, Striptease
Aus dem fahrenden AutoIn eine fahrende StraßenbahnVerkleidung, Camouflage
Rummel, Jahrmarkt, Zirkus
Banker mit Ente am Stab (vorher im Spielzeuggeschäft)
Kontraste
Abschiedsbriefe, Texte?
Psalm 23
Dorf, Ernte, Kühe, Sperlinge
Die Skyline
Bahnhof
Mit dem Rad, Fahrräder
Fluß, Schiffe, Kähne, Weite
Heute vor 71 Jahren starb Kurt Tucholsky in einem Krankenhaus in Göteburg an den Folgen einer Überdosis Schlaftabletten. Der letzte Brief, den er geschrieben hat, war an Arnold Zweig gerichtet. Dort schreibt Tucholsky über Deutschland: „Ich habe mit diesem Land, dessen Sprache ich so wenig wie möglich spreche, nichts mehr zu schaffen. Möge es verrecken … ich bin damit fertig.”
Mittwoch, 20. Dezember 2006 – Vierzehnuhrzehn, sechskommaneun. Grau.
Heute vor 38 Jahren wurde in Vallejo, nördlich von San Francisco, der 17-jährige David Faraday durch einen Kopfschuss getötet. Seine Freundin Betty Lou Jensen, die bei ihm war, versuchte wegzulaufen, wurde aber von fünf Schüssen in den Rücken niedergestreckt. Die beiden gelten als die ersten Opfer des sogenannten Zodiac-Killers, dessen Identität bis heute nicht geklärt wurde. Eine Verfilmung der Fälle durch David Fincher ist angekündigt.
Tot sind außerdem: John Steinbeck, Max Brod, Günter Eich und Arthur Rubinstein, dessen fast 1400 Seiten umfassende Autobiografie ich doch tatsächlich einmal durchgelesen habe.
Dienstag, 19. Dezember 2006 – Zwölfuhrachtundfünfzig, siebenkommanull. Bedeckt.
Heute morgen gegen 5.00 Uhr Ortszeit wurde in Ipswich ein 48jähriger Mann verhaftet, der nun ebenfalls im Verdacht steht, die fünf Prostituierten ermordet zu haben.
In der Uhrenabteilung des Kaufhauses ein Paar, offenkundig Russen. Sie hält auf dem Arm einen kleinen Hund, so einen wuscheligen mit langem Fell, wohl einen Yorkshire Terrier. Die beiden führen dem Tier Spieluhren vor. Je nachdem, wie er auf eine Melodie reagiert, entscheiden sie, ob die Uhr in die engere Auswahl kommt oder gleich zurück ins Regal.
Vor mir beim Bäcker drei Schüler – vierzehn, fünfzehn Jahre alt. Ihr Benehmen, ihre Bewegungen, die Laute, die sie von sich geben, machen es unmöglich, sie von Tieren zu unterscheiden.
Tote: Emily Bronte, Alois Alzheimer (begraben auf dem Frankfurter Hauptfriedhof) und Marcello Mastroianni.
Montag, 18. Dezember 2006 – Dreizehnuhrvierzehn, fünfkommasechs. Bedeckt.
Gestern kalte Tour, flach. Hinter dem Preungesheimer Gefängnis eine große Siedlung mit Mietwohnungen. Alles vermüllt, verkommen. Überall Scherben, Kippen, leere Fastfoodpackungen. Kommt hier die Strassenreinigung denn nie vorbei? Lungern überall so Typen rum. Klappern mit den Autoschlüsseln, setzen sich in den Wagen, fahren ein paar Meter, steigen wieder aus. Ständig eine Hand am Sack, die andere am Handy. Dunkelhäutige Familien auf den Parkplätzen. Es wird eingepackt, ausgepackt, große Plastiktüten, prall gefüllt, Möbel, Kartons, auf den Dachgepäckträger, in den Wagen, ins Haus, gibt immer was zu tun. Dann weht plötzlich eine dicke Marihuanawolke herüber. Schnell weg hier, bevor man noch Appetit bekommt.
Später in Petterweil stehen drei Wagen mit Warnblinkern auf der Strasse, die Motoren ausgeschaltet. Davor hocken Leute. Irgendwas ist passiert. Aber es ist alles ganz still. Da liegt was auf der Straße, ein Körper, ein Hund, ein Schäferhund, reglos. Ich schaue rasch weg, aber hab ja schon alles gesehen. Jemand hat seine Hand auf den Hals des Tieres gelegt. Ich sehe den Kopf, die Schnauze, die Zähne gebleckt. Die merkwürdige Ruhe macht alles noch trauriger. Dann das Hinweisschild ins Feld: „Geist – Außenliegend 4“.
Vorgestern auf der Autobahn vor uns ein LKW mit der Aufschrift: Toten Transport Norwegen.
Gerade die Nachricht, dass die Polizei heute Morgen gegen 7.20 Uhr Ortszeit in Trimley/Suffolk den mutmaßlichen Mörder der fünf Prostituierten von Ipswich festgenommen hat. Schnell auf die Seite des Guardian. Der Mann heißt Tom Stephens, ist 37 Jahre alt und arbeitet in einem Supermarkt. Die Straße, in der sein Wohnhaus liegt, heißt Jubilee Close. Am Wochenende sei ein Interview mit dem mutmaßlichen Mörder im Sunday Mirror erschienen. Also auf deren Seite. Dort ist er abgebildet. Schütteres Haar, Vollbart. „Ich bin ein Freund all dieser Mädchen, ich habe kein Anlibi.“ Als seine Ehe vor 18 Monaten geschieden wurde, habe er angefangen zu den Prostituierten zu gehen. Die Polizei habe ihn bereits viermal vernommen. Aber seine Aufgabe sei es gewesen, die Mädchen zu schützen.
Heute vor sieben Jahren starb der als linksliberal geltende Literaturwissenschaftler und zeitweilige Rektor der Universität Aachen Hans Schwerte. Es hat ihn nie gegeben. In Wirklichkeit hieß der Mann Hans E. Schneider, war Haupsturmführer und „Abteilungsleiter im Persönlichen Stab des Reichsführers SS“ Heinrich Himmler. Gegen Ende des Krieges löschte er mit Hilfe des Sicherheitsdienstes seine Identität aus. Seine Frau ließ ihren Mann für tot erklären und heiratete Hans Schwerte, wie sich Schneider nun nannte. Anfang der neunziger Jahre flog der Schwindel nach hartnäckigen Recherchen einiger Studierender und des niederländischen Fernsehens auf. Schneider: „Ich habe mich doch selbst entnazifiziert.“
Sonntag, 17. Dezember 2006 – Zehnuhrvierzig, vierkommadrei. Gestern Abend auf der Autobahn dieser unablässige Regen. Jetzt alles blauweiß und sonnig.
„Sans soleil“ geschaut. Der Text nervt schon – zu theoretisch, zu abstrakt. Verplappert die schönen Bilder. Das machen wir besser. Wenn wir überhaupt irgendwas machen.Und … was gibt’s Neues? – Nichts. Zum Glück.
Du bist aber heute chic. – Ach, das ist nur äußerlich.
Himmel und Hölle: Simón Bolivar, Kaspar Hauser, Leopold II., Edwin Erich Dwinger, Günther Anders.
Freitag, 15. Dezember 2006 – Sechsuhrzwei, dreikommasieben Grad. Dunkel.
Kann mich nicht erinnern, je einen Tag erlebt zu haben, der zugleich so schön und so traurig war wie der gestrige.
Heute vor 116 Jahren haben Polizisten des Standing-Rock-Reservats in North Dakota den Stammeshäuptling Tatanka Iyotanka, genannt Sitting Bull, erschossen und anschließend seine Leiche verstümmelt. Donnerstag, 14. Dezember 2006 – Neunuhrdreiundfünfzig, sechskommasechs Grad. Grau. Sonne im Kopf.
Wie gerne ich mich beschenken lasse. Heute zum Beispiel eine Spieluhr mit einer Melodie aus der „Zauberflöte“. Oh, welch Wunder: Chris Markers „Sans soleil“ auf DVD. Die Violinsonaten von Bartok und Schostakowitsch mit Oistrach und Richter. Und die größte Überraschung: der alte Vierteiler mit der „Schatzinsel“. Das Blödeste, was an einem solchen Tag passieren kann: Dass Tchibo eine Mail schickt und gratuliert. Verdammt, wo haben die das Datum her? Atillas Seite wird immer besser. Die Einträge kriegen Drive, werden federnd, dynamisch, selbstironisch. Selbst wenn er nur eine Zeile schreibt, gelingen ihm kleine, sprachliche Pointen. Man hat den Eindruck, er lebt jeden Tag 48 Stunden. Zeitung lesen geht eigentlich schon nicht mehr richtig. Wie, lesen, ohne zu klicken, zu scrollen, zu tippen? Und versucht man es doch mal wieder, bleibt man meist enttäuscht zurück.
Gibt auch Tote: Carl Philipp Emanuel Bach, Friedrich Dürrenmatt, Johannes Fürst von Thurn und Taxis.
Mittwoch, 13. Dezember 2006 – Fünfuhrzweiunddreißig, fünfkommavier.
Im Traum begegnet mir der große Verleger B. Er erzählt, dass er jetzt, da er in Rente sei, endlich einmal etwas ganz anderes habe machen wollen, etwas, dass nichts, aber auch gar nichts mit seinem Beruf zu tun habe. Etwas, bei dem er in Bewegung bleibe, viel an der Luft sei und von den Eitelkeiten seiner einstigen Branche so weit wie möglich entfernt. Er trage jetzt, sagt er, Werbezettel für eine Supermarktkette aus. Und schaut mich dabei an, lachend und so zufrieden wie ich ihn nie zuvor gesehen habe.
Um 15.40 Blick auf den Kalender. Oh Gott, vor zwanzig Minuten hätte ich bereits bei dieser Benefizaktion auf dem Römerberg sein sollen. Schnell aufs Rad und in die Stadt. Friedberger runter, Bürgersteige, rote Ampeln, Einbahnstraßen, Fußgängerzone, alles egal, einfach drüber und durch. Nach zehn Minuten bin ich da. Nützt bloß nichts, da ich nicht weiß, wohin. Also in die Tourist-Information, nachfragen, telefonieren, wieder nachfragen. Sehr nett, die Damen dort. Absolut geduldig. Dann holt mich ein Karussell-Besitzer ab. Aber ich wollte doch Würstchen braten … Na, nun kommen Sie erst mal mit. Das Karussell steht direkt an der Paulskirche, bisschen blöde Ecke hier, sagt der Mann. Dann drückt er mir einen Stapel Plastikchips in die Hand. Fünf Minuten geht gar nichts, niemand will Karussell fahren. Stattdessen kommen Journalistinnen, die fotografieren und Fragen stellen. So wird das hier nie was. Also spreche ich die Leute an: „Wollen Sie Karussell fahren für einen guten Zweck“. Misstrauische Blicke: Was kostn das? Sindse och keen Betrücher? Immerhin, nach einer Stunde gut 90 Euro kassiert. Aber am meisten beeindruckt hat mich der Besitzer, so gelassen, freundlich, und so stolz auf sein schönes Mary-go-round.
Tot sind Samuel Johnson, Friedrich Hebbel, Kandinsky, Grandma Moses.
Dienstag, 12. Dezember 2006 – Elfuhrachtunddreißig, siebenkommavier. Bedeckt. Was denn jetzt? Die Sonne … Kommt mal wieder kein heißes Wasser aus der Leitung. Dafür läuft die erste mit iTunes erzeugte Vierstundendiskothek auf dem Apple. Und kommt aus den B&W-Lautsprechern. Geht doch!
Ingo ruft an, hat mit dem „Kleinen Fernsehspiel“ telefoniert wegen „Tage und Nächte“. Sieht nicht so schlecht aus. Aber Cyril ist irgendwo in Moskau … und nicht zu erreichen. Cyriiiil, verdammt, ich will mit Dir reden!
Mal irgendwas schreiben, was nur aus schönen Worten besteht: Apfelbaumwiese, Sommernachtstraum, Holunderblüten, Lokomotive, Frühling, tanzende Paare, warme Steine, Wasser, barfuß, Straßenmusikant, Bandoneon, Platane, Mädchen, Schlaf, Friedhof … Die schönste unter den Schönen aber ist die: Mirabelle.
Es geht auch anders – Kopfmüll, Wortmüll: „Einfache Automatisierung mit dem Automator: Sie können Aktionen hierher bewegen oder hinzufügen, um ihren Arbeitsablauf zu erstellen.“ Solche Sätze müssten von der Autokorrektur eigentlich automatisch gelöscht werden.
Tot sind: Yasujiro Ozu, Clifton Chenier, Gyula Trebitsch.
Sonntag, 10. Dezember 2006 – Fünfuhrzwölf, sechskommasechs. Dunkel. Ok, bin mal kurz wieder da. Schwere Kämpfe mit dem Apfel. Ja, ja, sieht schön aus, das Gerät. Aber die Schrift auf dem Bildschirm gefällt mir gar nicht. Verwaschen, zerfranst. Kopfschmerzschrift. Lässt sich auch nicht besser einstellen.Schwere Kämpfe mit t-mobile. Nach drei Stunden hat es Atilla endlich geschafft, ins Netz zu kommen. Dann noch das Textprogramm. Aber nein, weder mit NeoOffice noch mit Pages komme ich zurecht; ich brauche mein altes Word wieder. Wie öde, was für piefige Sorgen. Und draußen regnet es.Zum Glück gibt’s das MacUser-Forum. Idee für ein Filmprojekt. Arbeitstitel „C“. Mehr zu verraten wäre zu viel. Mal gucken, wer dafür zu gewinnen ist. Würde jedenfalls alles ermöglichen und so gut wie nichts kosten. Unbedingt mal wieder schauen: „Sans Soleil“ von Chris Marker und „Step Across the Border“ mit Fred Frith. Wieder Paiers Aufnahme mit dem Radio String Quartett. Ob die mitmachen würden bei „C“? Oder gleich Guntram Freytag fragen … Ja, ja, ich weiß, das alles ist kryptisch. Aber egal …Überall Artikel zu dieser einmaligen Neuauflage von „Tempo“. Aber schon die Reflexe darauf sind so muffig, dass man das Ding selbst gar nicht in die Hände nehmen mag. Perdu.
Tot: Alfred Nobel, Otis Redding, Jascha Heifetz.
Donnerstag, 7. Dezember 2006 – Neunuhrneununddreißig, siebenkommavier Grad.
Blauer Himmel, weiß gescheckt. Warten auf den Apfel. Im Aldi-Markt auf der Berger. Der Geschäftsführer ist ein großer, junger Typ. Gewitzt, immer gut gelaunt, dunkelhaarig, vielleicht türkischstämmig. Er schiebt einen Hubwagen mit Waren durch die engen Gänge. Eine junge Frau kommt auf ihn zu: „Darf ich Sie kurz was fragen?“ – Er schaut sie an, lächelt und sagt: „Ja, ich will!“ – Die Frau, nur kurz irritiert, erwidert: „Dann muss ich mir jetzt nur noch eine gute Frage für Ihre Antwort einfallen lassen.“
Mit Jürgen in die Stalburg. Vor uns an der Kasse Eva Demski: „Es ist eine Schande, dass wir in der selben Stadt wohnen, uns aber nie sehen.“ Echt ewig her. Sie wird überhaupt nicht älter. Herl führt durch das Programm, verschmitzt, charmant, mit fast schüchterner Souveränität. Einmal beugt sich ein Mann zu mir rüber und sagt: „Dann will ich mich mal kurz vorstellen: Pit Knorr“. Er reicht mir die Hand. Nett, ich kannte ihn wirklich nicht. Wie gut die beiden Schauspieler das lesen: Live ist das alles noch besser als auf CD. Der Pianist Thorsten Larbig spricht mich an, erzählt, dass wir quasi Nachbarn gewesen seien. Wieso quasi? Weil er als Student in der Savignystraße im Vorderhaus gewohnt hat, als ich im Hinterhaus als Lektor gearbeitet habe. Er sei auf einigen unserer Sommerfeste gewesen. Später an die Theke, Schnaps trinken mit Herl. Plaudern mit Frank Wolff, der so bescheiden und freundlich ist. Er wird jetzt von Jutta Tempelmann vertreten. Gute Koalitionen sind das. Endlich kommt Demski dazu. Wir reden über Lesereisen usw. Sie sagt, sie rufe in Eisenach an, um mir eine Lesung auf der Wartburg zu vermitteln. Das wäre wirklich scharf. Gegen Mitternacht stehen wir wieder vor der Tür. Ein guter Ort, die Stalburg, macht gute Laune. Eine Burg halt. Ein Kraftwerk. Tot sind Clara Haskil, Thornton Wilder und Nicolas Born.
Mittwoch, 6. Dezember 2006 – Zwölfuhrzehn, elfkommafünf. Bedeckt.
Am Montag um 7.20 Uhr mit dem ICE nach Dresden. Gleich in die Ausstellung in den Brühlschen Terrassen: „Von Monet bis Mondrian“, das Schönste, was ich seit langem gesehen habe – eine „Dame in Rosa“ von Manet, die ich nicht einmal reproduziert kannte, ein französischer Tennisplatz von Liebermann … Dix, Picasso, Corinth, Trübner … Alles Glück der Erde hier versammelt. Die gute Laune, die das macht, wird Tage halten.
Am Abend in die Neustadt, Buchhandlung Kommissariat, unglaublich nett, familiär, engagiert. Eine Dame mit Schlips, sieht aus wie Gertrude Stein. Dann in die „Scheune“, politisiert, spät ins Bett. Das Hotel, ein christlich geführtes Haus, ohne den ekelhaften Wellness-Plunder der anderen Ketten: Martha Hospiz. Man sieht sich wieder.
Morgens am Neustädter Bahnhof dann eine seltsame Szene mit einem teuer, aber unglaublich geschmacklos gekleideten Russen (rosa Seidenhemd, breite rosa Seidenkrawatte, Nadelstreifenhose, kackgelber Ledermantel mit riesigem Pelzbesatz) und seiner Frau. Keine Zeit, sie zu erzählen. Auf der Rückfahrt zum x-ten Mal Ellroys „Schwarze Dahlie“ und Schuberts Klaviersonate Nr. 21 mit Svjatoslav Richter. Ein singender, schreiender Engländer, ein altes schwerhöriges Paar, das Kreuzworträtsel löst, ein bayerischer Geschäftsmann, der die Anzeigendame der FAZ zusammenbrüllt.
Kann sein, dass die bevorstehende Umstellung auf den Apple die Geisterbahn für einige Zeit ins Schlingern bringt. Oder gar zum Halten.
Tote: Monet, Leadbelly, Franz Fanon, Peter Lorenz, Gerhard Löwenthal, Hans Hotter, Charly Gaul, Hans Dieter Hüsch.
Montag, 4. Dezember 2006 – Dreiuhrzweiunddreißig, achtkommasieben. Wolken, Sterne, fetter Mond. Wieder Schostakowitschs Elfte.
Ja was, kennt man sich denn wirklich so wenig? Weiß man wirklich so gar nicht, welch verheerenden Eindruck man macht. Und selbst bei jenen, die einen doch ein wenig kennen …
Eine Woche nachdem er von der Polizei erschossen wurde, ist Sean Bell auf dem Nassau Knolls Cemetery auf Long Island beerdigt worden. Seine Braut kollabierte am Grab. Trini Wright, eine der Tänzerinnen des Kalua Strip-Clubs, wo Bell mit zwei Freunden seinen Junggesellenabschied gefeiert hatte, schickte einen Kranz. Die Trauernden sangen am Grab: „And when the battle’s over / We shall wear a crown!” Was macht eigentlich Natascha Kampusch? Ah, hier ist eine Meldung: Sie wehrt sich gegen das erste Buch („Girl in the Cellar – The Natscha Kampusch Story“), das über sie erschienen ist. Es enthalte nur Lügen, sie habe nie mit den Autoren gesprochen. Der englische Journalist Allan Hall, einer der beiden Verfasser, kam aufgrund seiner Recherchen über den Entführungsfall zu dem Schluss: “Die österreichische Polizei würde nicht einmal eine Bierflasche in einer Brauerei finden.“ Todestag von Adolph Kolping, Georg von Rauch, Hannah Arendt, Benjamin Britten, Frank Zappa.
Sonntag, 3. Dezember 2006 – Sechzehnuhrneun. Dreizehnkommazwei Grad. Schnelle Wolken.
„Seit ich mein Grab sah, will ich nichts als leben.“ (Kleist, Der Prinz von Homburg) „Auch die Toten werden vor dem Feind, wenn er siegt, nicht sicher sein.“ (Walter Benjamin, Geschichtsphilosophische Thesen) Apple gekauft.
Im Fall der Schießerei des New York Police Department im Stadtteil Queens versucht die Polizei nun offenbar die Opfer zu Verdächtigen zu machen. Sie dringt in Wohnungen junger Schwarzer ein, verhaftet sie unter Vorwänden und fragt sie dann nach ihren Beziehungen zu dem erschossenen Sean Bell und seinen beiden schwerverletzten Freunden. Angeblich befinde man sich auf der Suche nach einem vierten Mann, der den Schauplatz der Schießerei fluchtartig verlassen habe. “If you don’t tell us what we want to hear, you know, you can get five years.” Das soll einer der Polizisten zu der 26-jährigen LaToya Smith gesagt haben, als man ihre Wohnungstür eingetreten und sie samt ihrer Familie auf die Wache geschleppt hatte.
Gestern am Nachmittag zwei Stunden durch die dunkle Wetterau. Der roten Sonne entgegen. Schwarze Vögel überall.
Am Abend auf BRalpha den ersten Teil der alten „Schatzinsel“-Verfilmung. Kein anderer Film hat meine Kinderphantasien so auf Trab gehalten. Paula: „Und das hast du mit elf Jahren schon geschaut? Das ist doch viel zu spannend“. – Wieso, Harry Potter ist doch viel gruseliger. – „Nein, da sieht man ja, dass das alles am Computer gemacht wurde. Hier denkt man, es ist alles echt.“ Tot ist heute Robert Louis Stevenson.
Freitag, 1. Dezember 2006 – Neunuhrneununddreißig, siebenkommavier. Bedeckt.
Gestern: Morgens in den HR. Kurzes Interview mit Daniela Baumeister zur Winter-CD. Dann Tengelmann. Dann öde. Dann immer wieder Klaus Paier gehört. Dann hin und her mit Herl wegen der Grafikdatei mit dem CD-Cover. Immer dieser Apple-Nerv. Dann Hubschrauber über der Stadt. Dann Anruf Christiane, dass sie im Stau steckt: Uefa-Cup und Demonstration, alles dicht, kein Wunder. Dann Anruf Atilla, dass er noch beim Zahnarzt hockt. Dann Anruf Jörg, dass er im Stau steckt.
Mit Atilla und Jörg „Da Franco“, kleines italienisches Restaurant in der Saalburgstraße, ganz unprätentiös. Gleich angenehme Stimmung: lässig, viele Abschweifungen, bisschen verzappelt, trotzdem eine gute Spannung. Fühle mich sehr wohl. Stille Hoffnung, dass man mit solchen Freunden nie ganz vor die Hunde gehen kann.
Wir verabreden, irgendwann im Januar oder Februar ins Studio zu gehen, um „Ein kleiner Abend Glück“ aufzunehmen. Ab und zu meldet sich Atis Mobiltelefon, Stefan Müller drängelt; die beiden wollen noch gemeinsam mit Charlotte an dem Johnny-Cash-Song fummeln.
Bin völlig verblüfft, mit welch sorgender Aufmerksamkeit Jörg die „Geisterbahn“ liest. Ob ich mir eigentlich bewusst sei, was ich da mache. Ob mir klar sei, wie nah meine Formulierung von den „ewigen Japanern“ am „ewigen Juden“ sei … Ich wundere mich, dass ein paarhundert Leute jeden Tag lesen, was ich hier schreibe, ohne mich im Gästebuch zu beschimpfen. „Die trauen sich nicht“, sagt Jörg. – Ich schüchtere also die Leser ein? – „Ja“. – Oh Mann.
Ati sagt, ich soll mir einen Apple kaufen.
Google hat ein rotes Schleifchen. Ja, stimmt, ist Welt-Aids-Tag.
Heute vor zwei Jahren starb eine der windigsten Gestalten des an windigen Gestalten nicht gerade armen europäischen Adels: Bernhard Leopold Friedrich Eberhard Julius Kurt Karl Gottfried Peter Prinz zur Lippe-Biesterfeld, besser bekannt als Prinz Bernhard der Niederlande.