Geisterbahn

Freitag, 7. März 2014 – Vierzehnuhrvierundzwanzig, zwölfkommadrei. Frühling.

Ein großes, von einer Schülerin aus Anlass der diesjährigen Abitur- prüfungen gemaltes Plakat im Frankfurter Heinrich-von-Gagern-Gymnasium: “Scheiß auf das Abi! Ich werde Prinzessin.”

Neulich von Atilla: “Frankfurt: Regen. – Paris: Regen. – Nizza: Pizza.”

Sibylle Lewitscharoff hat letztes Jahr jenen Literaturpreis erhalten, der nach Georg Büchner benannt ist. In “Dantons Tod” lässt Büchner seinen Hérault sagen: “Wir alle sind Narren, es hat keiner das Recht, einem andern seine eigentümliche Narrheit aufzudrängen.” Was aber, wenn sich jemand, wie jetzt Frau Lewitscharoff, dieses Recht einfach nimmt.

Bislang ging mir nur der tantenhafte Manierismus ihrer Sprache auf die Nerven und ich begriff nicht, warum nahezu der gesamte Literaturbetrieb vor diesen Texten auf die Knie fiel. Nun habe ich mir ein paar Interviews angesehen und jene Rede gehört, in der sie Onanie verbieten will und Kinder, die aus einer künstlichen, also “abartigen” Befruchtung entstanden sind, als “Halbwesen” bezeichnet. Und hinterher, wie jeder dumpfe Schwadroneur, dieses: “Man wird ja wohl noch sagen dürfen … ” – Es ist schon so: Man muss sie sehen, man muss hören, wie sie da, begleitet vom schnarrenden Ton einer Zuchtmeisterin des schwäbischen Pietismus, die Peitsche knallen lässt, um zu verstehen, warum die Würstchen des Feuilletons sich mit Wonne krümmen. Pardon, Leute, die Dame hat ganz einfach einen Schuss.

Am 7. März 1904 starb in Hannover Alexander Büchner, jüngster Bruder des oben Genannten.

Freitag, 14. Februar 2014 – Neunuhrdreißig, vierkommafünf. Fein, die Sonne.

Im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen Sebastian Edathy findet der Tagesspiegel die Formulierung: “Die SPD hat ihre Unschuld verloren” – Und ich dachte, das sei vor hundert Jahren, nämlich am 8. August 1914 geschehen, als die SPD-Fraktion im Reichstag die Kredite für den Ersten Weltkrieg bewilligte.

Der Deutschlandfunk hat ein Interview mit der emeritierten Strafrechtsprofessorin Monika Frommel geführt, in welchem diese das Verhalten der Staatsanwaltschaft in der Sache Edathy scharf kritisiert und für “verfassungswidrig und rechtswidrig” erklärt. Es habe keinen begründeten Anfangsverdacht gegeben, denn “Bilder von nackten Jungs darf jeder besitzen”. Dies sei legal und sogar “eine Grundrechtsausübung”. Die Durchsuchungen der Staatsanwaltschaft seien mithin ein grundrechtswidriger Eingriff.

Auch Heribert Prantl hält es in seinem bedächtigen und bedenkenswerten Kommentar für möglich, dass hier nur “eine begründete Spekulation” vorgelegen habe, welche die Behörden zu diesem massiven Zugriff bewegt habe: “Wenn die Ermittler (wie man hört) wussten, dass die Filme legal sind, die sich Edathy beschaffte – durften sie dann eine Razzia veranstalten? Reicht dafür die Vermutung, dass eine Person, die moralisch bedenkliche, aber legale Filme betrachtet, auch illegale Filme besitzt? Es gäbe dann künftig einen neuen Zugriffsgrund: den der begründeten Spekulation”.

Schon vor dreieinhalb Jahren hat Detlef Grumbach einen großen Text geschrieben, in dem es um einen neuen Trend in der Arbeit von Staatsanwaltschaften und Rechtsanwälten geht, die sogenannten Litigation-PR, die Öffentlichkeitsarbeit im Zusammenhang mit Rechtsstreitigkeiten: “Die Staatsanwaltschaften erheben für sich den Anspruch, die objektivste Behörde der Welt zu sein. Sie sind verpflichtet, in alle Richtungen zu ermitteln und auch entlastendes Material zu sammeln. Gerade bei spektakulären Fällen entsteht jedoch der Eindruck, dass sie sich zu früh festlegen und die Öffentlichkeit für ihre Sichtweise gewinnen wollen.” Was heißt: die Unschuldsvermutung wird untergraben, es kommt zu einer öffentlichen Vorverurteilung des Beschuldigten und damit oft genug zur Zerstörung seiner bürgerlichen Existenz.
 So gesehen war die heutige Pressekonferenz der Staatsanwaltschaft Hannover zu den Ermittlungen gegen Sebastian Edathy eine – möglicherweise ungewollte – Hinrichtung.

Heute vor 25 Jahren ist James Bond gestorben, ein US-amerikanischer Ornithologe.

Montag, 3. Februar 2014 – Vieruhrachtundvierzig, nullkommasieben. Dunkel. Wach seit halbvier und weiter über die Taten und Untaten des Guy Georges gelesen.

Am Samstag zwei Stunden mit dem Mountainbike in Regen und Schlamm über die Hohe Straße, gestern Lauf am Mainufer. Das Jahr muss endlich beginnen.

Gestern Morgen um kurz nach zehn die Sprengung des AfE-Turms live im Hessenfernsehen. Der Sprengmeister, den man der Reporterin zur Seite gestellt hatte, schwärmte immer wieder von dem “wunderschönen Kollaps”, dem “einwandfreien Kollaps”, dem “Kollaps wie aus dem Bilderbuch”. Auf sächsisch.

Auf HR-online diese schöne Meldung: “Der Gefangene hatte am Freitagabend in seiner Einzelzelle Feuer gelegt, der Wachmann kam ihm zu Hilfe.”

Auf seinem Titelblatt erzählt der “Rhein-Main Extra Tipp” in der Unterzeile, was geschieht – “Männer reiben sich im Gedränge des Berufsverkehrs an ahnungslosen Frauen” – und kann sich nicht die Schlagzeile verkneifen: “Missbrauch zur Stoßzeit”.

Heute ist Schlenggeltag.

Am 3. Februar vor drei Jahren starb die unglückliche Maria Schneider (“Der letzte Tango von Paris”). Ihre Asche wurde am Rocher de la Vierge in Biarritz verstreut.